Выбрать главу

Sir John spielte sich warm; er ging auf der Estrade auf und ab und wartete, daß das Gemurmel verstummte. Er fing erst an, als er die Aufmerksamkeit aller Anwesenden hatte. Dann drehte er sich um, und seine blauen Augen schauten den jungen König an.

»Euer Gnaden, ich glaube, mit dem Geheimnis verhält es sich folgendermaßen.« Cranston fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und hob die Stimme, damit ihn alle hören konnten. »Ein junger Mann schlief in der scharlachroten Kammer und wurde tot am Fenster aufgefunden. Ein Priester aus dem Dorf, der durch den Schnee heraufgekommen war, starb desgleichen. Am rätselhaftesten aber war der Tod zweier Soldaten, die in der Kammer Wache hielten.« Cranston wandte sich halb um. »Ihr erinnert Euch vielleicht, daß der eine den anderen mit seiner Armbrust erschoß, bevor er selbst zusammenbrach und starb.« Er ließ eine wirkungsvolle Pause eintreten. »Niemand sonst hat das Zimmer betreten. Es gab keine geheimen Türen oder Gänge. Kein vergiftetes Essen oder Trinken wurden gebracht. Vier Menschen starben, einer davon durch eine Armbrust. Drei aber« - Cranston hob die Hand - »wurden vergiftet.«

»Wie denn?« fragte Cremona. »Mylord, der Mörder war das Bett.«

Athelstan sah den überraschten Blick des Italieners. Cranston war auf der richtigen Fährte. »Erklären! Erklären!« rief König Richard. Gaunt hielt die Hand vor den Mund und drehte den Kopf leicht zur Seite. In der Halle herrschte Totenstille; die Herablassung auf den Gesichtern verschwand zusehends. Athelstan schaute sich um. Sogar die Bannerträger und die Gardesoldaten in ihrer königlichen Livree starrten Cranston an, und der Dominikaner erkannte, daß er so sehr in die Angelegenheiten in Blackfriars und in St. Erconwald vertieft gewesen war und nicht erfaßt hatte, wie weit das Interesse an Cranstons Wette ging. Jetzt erst begriff er endlich, weshalb Lady Maude so besorgt war: nicht nur, weil Cranston tausend Kronen aufs Spiel gesetzt hatte, sondern auch, weil er hier seinen Ruf riskiert hatte, und der war sehr viel wert. Er hatte riskiert, als eine Art Hofnarr abgetan zu werden, statt weiterhin als Coroner des Königs in der Stadt London Anerkennung und Achtung zu genießen.

Cranston stand da mit gespreizten Beinen, hatte die Daumen hinter seinen Gürtel geschoben und genoß das erwartungsvolle Schweigen.

»Sir John«, blaffte Gaunt, »wie kann ein Bett ein Mörder sein?«

»Schon manch einer ist im Bett gestorben, Mylord.«

»Wir warten auf Eure Erklärung«, war die knappe Antwort. Cranston trottete schwerfällig zum Tisch, hob seinen Weinbecher und schlürfte geräuschvoll.

»Das Bett«, begann er dann und wandte sich in die Halle, »war anders als jedes andere. Ein Kissen oder eine Matratze stopft man mit Stroh aus - bei den Armen jedenfalls. Bei den Reichen nimmt man Schwanenfedern.« Cranston ging plötzlich zurück zu seinem Platz und hob seinen Mantel auf, den er dort hatte zu Boden fallen lassen. Er rollte ihn zu einem Bündel zusammen. »Wenn ich auf meinen Mantel klopfe, steigt Staub auf. Seht Ihr - ein gewöhnliches Ereignis. Im Frühling hängen die braven Bürgerinnen von London ihre Teppiche und Wandbehänge hinaus, um sie kräftig auszuklopfen. Ihr, Sir« - Cranston deutete auf einen Soldaten -, »nehmt Euer Schwert.« Cranston grinste Gaunt an. »Mit Mylords Erlaubnis - schlagt so heftig, wie Ihr könnte, mit der flachen Seite Eures Schwertes auf den Wandteppich hinter Euch.«

Der Soldat legte eine Hand auf den Schwertgriff und schaute Gaunt an.

»Sagt es ihm, Onkel«, befahl der König. Gaunt bewegte herablassend die Finger. Athelstan schaute zu; Cranston hatte einen Wandteppich und einen Soldaten ausgesucht, den jedermann sehen konnte, hell beleuchtet von den Fackeln in den Wandhaltern und den hohen Kerzen auf den Tischen. Der Soldat schlug auf den Wandteppich. »Fester, Mann!« rief Cranston.

Der Soldat gehorchte mit Vergnügen, und noch von seinem Platz aus konnte Athelstan die Staubwolken sehen, die durch die Halle wehten.

»So«, fuhr Cranston fort. »Mit dem Bett in der scharlachroten Kammer verhielt es sich ähnlich. Es war durchsetzt von einem giftigen Staub. Jeder, der im Zimmer stand, war ungefährdet.« Cranston grinste und breitete die Arme aus. »Aber wir alle wissen, was im Bett geschieht, selbst wenn man allein ist.«

Leises Gelächter erhob sich.

»Das erste Opfer lag also im Bett und drehte und wälzte sich hin und her, ohne zunächst zu spüren, wie sich der Staub in Nase und Mund setzte. Endlich aber bemerkte der Mann, daß etwas nicht stimmte und daß er dem Tode nahe war. Er lief zum Fenster und wollte es öffnen. Aber die Kammer war ja seit Jahren nicht mehr benutzt worden. Fensterriegel und Griffe ließen sich nicht bewegen, und der junge Mann starb, wo er stand.«

Cranston drehte sich um und sah den Italiener an. Der Edelmann starrte mit offenem Mund zurück, und in seinen dunklen Augen lag Resignation. »Und der Priester?« fragte Gaunt.

»Nun, Mylord, überlegt doch einmal. Er kommt in die Kammer. Er tut, was er tun muß, aber er ist müde, und er friert. Er ist ja eben durch tiefe Schneeverwehungen hergekommen. Was macht er also?«

»Er legt sich aufs Bett! Er legt sich aufs Bett!« schrie der junge König.

Cranston deutete eine Verbeugung an. »Euer Gnaden, Ihr seid überaus aufmerksam. Auch er legt sich dort nieder und treibt das Gift hervor. Er wacht auf und macht alles noch schlimmer, indem er um sich schlägt. Er kämpft sich aus dem Bett, bricht zusammen und stirbt auf dem Boden.«

»Und die beiden Soldaten?« fragte Cremona verzweifelt. »Erinnert Euch, Sir John, nur einer lag auf dem Bett.« Cranston spreizte die Hände. »Mylord, Ihr sagtet doch, der Schütze lag auf dem Bett und hatte einen Bolzen in der Armbrust, ja?« Der Italiener nickte.

»Er war ein geschickter Bogenschütze?«

Wieder nickte Cremona. Cranston wandte sich den übrigen Gästen zu.

»Stellt Euch also die Szene vor. Mitten in der Nacht erwacht der erfahrene Bogenschütze, der alte Soldat, weil er erstickt. Er macht ein Geräusch, weckt seinen Gefährten, aber er liegt schon im Sterben. Er versteht nicht, warum er nicht atmen kann. Er sieht eine dunkle Gestalt, die sich bewegt, und in den letzten Augenblicken des Todeskampfes, als geborener Schütze« — Cranston wandte sich um und schwelgte in dem leisen Applaus, den seine Schlußfolgerung hervorrief-, »schießt der Mann. Sein Kamerad ist tot, und der Bogenschütze taumelt vom Bett und stirbt neben ihm.«

Cranston drehte sich um und verneigte sich vor dem König; lauter Beifall brandete los, die Höflinge klatschten jetzt heftig und trampelten mit den Füßen. Cremona legte sich auf seinem Stuhl zurück und starrte zur Decke. Gaunt stützte das Kinn in die Hand und blickte in die Halle, aber der junge König war so aufgeregt, daß er kaum stillsitzen konnte. Seine Hand schwebte über dem weißen Dokument auf dem scharlachroten Kissen. Cremona erhob sich. »Sir John, wie könnte ein Bett denn ein derartiges Gift enthalten?«

Der Coroner zuckte die Achseln. »Mylord, danach war nicht gefragt. Aber es gibt Gifte, Tränke, Pulver, die stark genug sind, einen Menschen zu töten, wenn er sie nur einatmet.« Cranston richtete sich auf. »Was ich sage, ist wahr. Jegliches Gift, sei es Digitalis, Belladonna oder Arsen, ist gleich tödlich, wenn man es zu feinem Staub zermahlt. Das Problem besteht nur darin, genug davon zusammenzubekommen. Ich vermute, die Matratze dieses Bettes war mit Gift im Werte eines Vermögens vollgestopft.«