Выбрать главу

»Bevor ich in Ausschweifung und Sünde versinke«, antwortete Cranston, »berichte mir doch von der Sache in Blackfriars.«

Athelstan fuhr mit der Fingerspitze über den Rand seines Bechers. »Sir John, dieser Fall ist einzigartig. Ist Euch klar, daß wir keinerlei Beweis haben? Nicht einen Fetzen Material, mit dem wir jemanden anklagen, geschweige denn verhaften könnten. Noch nie haben wir es mit einer derartigen Angelegenheit zu tun gehabt. Ich glaube, alles steht und fällt mit dem Namen Hildegarde. Jetzt kommt, Sir John.« Cranston brauchte keine zweite Aufforderung, und als sie zwei Stunden später zur Tür hinauswankten, grölte er ein hübsches Liedchen über das Strumpfband einer jungen Lady, bei dem Athelstan lieber nicht zuhörte. Auch er war höchst unsicher auf den Beinen. So taumelten sie die Cheapside entlang; Cranston kümmerte sich nicht um Athelstans Mahnungen, still zu sein, und fuhr fort, die Beine der jungen Dame zu schildern. Zwei Büttel kamen herbei, aber als sie Sir John erkannten, machten sie kehrt und ergriffen die Flucht.

Lady Maude erwartete sie. »Oh, Sir John!« klagte sie. »Was ist denn das?«

Sie half ihrem Mann durch die Tür. Sir John glotzte lüstern die Amme an, die mit den schlafenden Kerlchen im Arm am Fuße der Treppe stand, und warf ihr Kußhände zu. Cranston, gestützt von Lady Maude auf der einen und Athelstan auf der anderen Seite, taumelte in die Küche und kletterte auf den Tisch.

»Ihr seht hier«, lallte er, »Sir John Cranston, den königlichen Coroner der Stadt London, den Schrecken der Diebe, die Heimsuchung der Halunken, den Vorkämpfer für verlorene Fälle, den Entwirrer von Geheimnissen.« Lady Maude stand mit gefalteten Händen da und schaute zu ihrem Mann auf, der schwankend auf dem Tisch stand. Dann sah sie Athelstan durchdringend an. »Bruder, hat Sir John das Geheimnis aufgeklärt?«

»Jawohl, Mylady. Er war großartig. Er ist wahrlich der Coroner des Königs. Reicher, wenn auch nicht klüger geworden.« Athelstan hatte plötzlich das Gefühl, daß der Raum ins Schwanken geriet, und er bereute bitterlich, daß er Cranston beim letzten Becher Wein geholfen hatte. Müde setzte er sich hin, der Coroner strahlte wie ein jovialer Bacchus auf seine Frau herab und breitete die Arme aus. »Du hast nicht an mich geglaubt, Weib!« donnerte er. »Ach, Sir John«, wisperte Lady Maude und berührte sanft sein Knie, »ich glaube stets an Euch.« Sie machte ein demütiges Gesicht. »Wie ich Euch nachher beweisen will«, fügte sie leise hinzu.

Sir John kam polternd vom Tisch und deutete auf Athelstan. »Natürlich hat mein Schreiber mir geholfen.« Sir John schwankte gefährlich und schaute die Amme an. »Oh, meine Kerlchen«, murmelte er. »Ihr wärt so stolz auf euren Vater. Reizende Bengel«, fuhr er fort. »Ganz, ganz reizende Bengel. Sie werden Dominikaner, wußtest du das schon?« Dann sank er auf den Tisch und schlief gleich fest ein. Lady Maude machte es ihm bequem; Athelstan segnete die Kerlchen, und die Amme und die schlaftrunkenen übrigen Bediensteten wurden aus der Küche gescheucht. Lady Maude servierte Athelstan einen großen Humpen vom kühlsten Wasser und ein wenig Zwiebelsuppe, und dabei löcherte sie ihn mit Fragen und gab sich erst zufrieden, als er ihr in allen Einzelheiten von Sir Johns großartigem Triumph im Palast berichtet hatte. Mit großen Augen hörte sie zu und ging dann zu dem Tisch, auf dem Sir John, alle viere von sich gestreckt, lag und schnarchte wie ein Donnerwetter. Sie beugte sich über ihn und küßte ihn sanft auf die Stirn. »Bruder Athelstan, er trinkt zuviel«, sagte sie leise. »Aber das liegt an der Bürde des hohen Amtes, an seiner Verantwortung für die Kerlchen und an den schrecklichen Dingen, die er zu sehen bekommt.«

Athelstan war inzwischen nüchterner geworden; er lächelte, stand auf und ging hinüber. »Er ist ein guter Mann, Lady Maude. Er ist einzigartig. Es gibt nur einen Cranston. Gott sei Dank.«

»Sollten wir ihn nicht wegbringen?« fragte sie. Athelstan rieb sich die Augen. »Lady Maude, ihm ist doch ganz behaglich. Vielleicht noch ein Kissen unter den Kopf und eine dicke Decke, denn die Nacht könnte kalt werden.« Er zeigte auf den Stuhl. »Ich schlafe hier, zur Buße für meine Sünden.« Er tätschelte Lady Maudes Schulter. »Geht nur zu Bett«, sagte er. »Sir John wird nichts passieren.«

»Seid Ihr sicher, Bruder?«

»Er schläft den Schlaf des Gerechten, Lady Maude.«

»Ach, Bruder!« Sie schlug die Hand vor den Mund. »Es tut mir leid - der Kurier ist aus Oxford zurückgekommen und hat ein Paket für Sir John gebracht.«

Sie huschte hinaus und kam mit einem kleinen Lederbeutel zurück, der oben zugebunden und versiegelt war. Athelstan erbrach das Siegel, während Lady Maude es ihrem Mann plaudernd, als wäre er hellwach, für die Nacht bequem machte. »So, so, mein Liebster«, gurrte sie. »Ja, ja, noch den pelzgefütterten Mantel. Und herunter mit den Stiefeln.« Athelstan blickte auf. Lady Maude führte zärtliche Reden, wie sie sie niemals benutzen würde, wenn Sir John wach wäre. So gern er das Buch durchgeblättert hätte, das er jetzt in den Händen hielt, war er doch plötzlich traurig und ziemlich einsam, als er zusah, wie sie ihren schlummernden Gatten wie ein Schmetterling umflatterte. Er mußte an Bruder Pauls Worte denken: »Die Liebe ist seltsam, Athelstan, und sie nimmt viele Formen an. Manchmal läßt sie uns erfrieren, und manchmal verbrennt sie uns. Aber sei niemals ohne sie, denn es gibt einen Schmerz, der schlimmer ist als der, den die Liebe uns zufügt, und das ist die furchtbare Einsamkeit, wenn die Liebe gegangen ist.« Athelstan dachte an Benedicta und wußte im Grunde seines Herzens, daß es die tiefe Freundschaft zwischen Lady Maude und Cranston war, wonach er lechzte: berührt zu werden, umschwärmt und umsorgt.

»Fehlt Euch etwas, Bruder?«

»Nein, nein.«

Er wandte sich ab, schlenderte zum Feuer und betrachtete aufmerksam den verblichenen Einband des Buches. Er warf einen Blick auf den Streifen Pergament, der zwischen den Blättern steckte und Grüße von einem Mit-Dominikaner aus der theologischen Fakultät zu Oxford übermittelte. Dann setzte er sich und blätterte gründlich in dem Buch; es war das gleiche wie das, das er und Cranston in Blackfriars gefunden hatten. Behutsam blätterte er die gelben, knisternden Seiten um, bis er bei denen ankam, die in dem ersten Exemplar gefehlt hatten. Sein Kollege in Oxford hatte Hildegarde gefunden. Ein kalter Schauer durchrieselte Athelstan.

»Bruder?«

»Ja, Lady Maude?«

»Ihr seht aus, als hättet Ihr einen Geist gesehen.«

»Nein, Lady Maude. Ich habe gerade das Gesicht eines Mörders erblickt.«

VIERZEHN

Am nächsten Morgen wurde Athelstan roh aus dem Schlaf gerissen; der Coroner hockte vor seinem Stuhl und grinste wie ein Dämon auf einem von Huddles Gemälden. Er wirkte so frisch wie ein Gänseblümchen. »Hoch mit dir, Bruder!«

Cranston richtete sich auf und streckte sich, bis die Knochen in seinem mächtigen, fetten Körper knackten. »Ihr habt gut geschlafen, Sir John?«

»Selbstverständlich, Bruder. Ein hartes Bett ist das beste Bett, wie ich immer zu meinem Herrn, dem Schwarzen Prinzen, sagte, als wir zusammen in Frankreich im Felde lagen.« Athelstan schob die Decke beiseite, mit der Lady Maude ihn am Abend zuvor zugedeckt hatte. Er fror ein bißchen und war verkrampft, und im Mund hatte er den bittersüßen Geschmack des Weines, den er so fröhlich getrunken hatte. »Das Buch!« rief er plötzlich aus. »Wo ist das Buch?« Cranston deutete auf den Tisch. »Keine Angst, Bruder, dem ist nichts passiert.«

Athelstan schaute den Coroner mißtrauisch an. »Sir John, Ihr seid ja schon gewaschen und rasiert.«

Tatsächlich sah Cranston prächtig aus in einem weißen, am Halse offenen Leinenhemd und Wams und Hose aus dunkler Maulbeerseide, die mit einem Silberfaden durchwoben war. Er hatte sogar schon die Stiefel an, und Athelstan sah einen Mantel und den Schwertgurt auf dem Tisch bereitliegen. »Aye, Bruder, ich bin bereit für den Tag. Ein warmes Bad, ein scharfes Rasiermesser, frische Kleider und ein Kuß von Lady Maude - dann würde ich sogar zur Hölle gehen!«