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»Was ist?« fragte er noch einmal und verschloß die Ohren vor dem Zank in seinem Haus und dem Lärm der Handwerker in der Kirche.

»Pater, Ihr wißt, daß ich seit drei Jahren Witwe bin.« Athelstan nickte.

»Nun …« Benedicta blickte zur Seite und biß sich auf die Lippe. »Ich habe Nachricht aus Frankreich.« Sie holte tief Luft. »Es kann sein, daß er noch lebt.«

Verblüfft machte Athelstan einen Schritt rückwärts. »Dein Mann war Kapitän eines Schiffes. Ich dachte, er sei auf See umgekommen?«

»Ja. Er hatte einen Kaperbrief und war auf Kaperfahrt im Englischen Kanal. Er wurde von einem französischen Kriegsschiff angegriffen und versuchte, nach Calais zu entkommen, als plötzlich ein Unwetter losbrach und sein Schiff mit der ganzen Besatzung unterging. Aber jetzt habe ich Nachricht bekommen, daß er vielleicht in Gefangenschaft geraten ist.«

»Wie denn?«

»Ein Bekannter, ein Tagelöhner, ist vor kurzem aus Frankreich zurückgekommen, nachdem der Waffenstillstand erneuert wurde. Er behauptet, er hätte meinen Mann in einem Gefangenenlager in der Nähe von Boulogne gesehen.« Sie verschränkte die Finger ineinander. »Was soll ich tun, Pater? Ich kann nicht nach Frankreich, denn dadurch würde eine schlimme Situation womöglich noch schlimmer; und dem Rat eine Petition zukommen zu lassen kann Monate dauern.«

Athelstan holte tief Luft und stählte sich gegen geheime Wünsche und Gedanken.

»Die Dominikaner haben ein Kloster in Boulogne«, sagte er. »Ich werde ihnen heute abend schreiben und Cranston bitten, einen der königlichen Kuriere den Brief überbringen zu lassen. Cranston wird ihm sicheres Geleit verschaffen können.« Athelstan lächelte. »Wir heißen nicht umsonst Dominikaner, Benedicta. Wir sind buchstäblich das Haus des Herrn. Wenn dein Mann noch lebt, dann wird dieses Haus einschreiten und vielleicht an die französischen Behörden appellieren. Womöglich wechselt etwas Wertvolles den Besitzer - und binnen eines Monats könnte dein Mann wieder zu Hause sein.«

Er tätschelte sanft ihre Schulter und bekam Gewissensbisse ob des reinen Wohlgefühls, das ihre Nähe ihm bereitete. Benedicta wandte sich ab, als wolle sie ihr Gesicht verbergen; dabei berührte eine Strähne ihres Haars Athelstans Wange, und er roch den Duft ihres Parfüms. Über die Schulter hinweg lächelte sie ihn an.

»Ihr geht besser wieder ins Haus, Pater«, sagte sie leise. »Watkins Frau hegt Mordgedanken!«

Athelstan verstand den Wink und kehrte zurück in sein Haus. Benedicta hatte recht; die Suppe hatte ihnen lediglich neue Kraft gegeben, und jetzt war die Gruppe aufgestanden; alle brüllten, und niemand hörte zu. Athelstan klatschte laut in die Hände, so lange, bis alle verstummt waren. Er schaute sie streng an.

»Wir haben alle das Sakrament genommen«, verkündete er, »und den Friedenskuß ausgetauscht; also werden diese Streitereien jetzt aufhören. Wenn wir wieder zusammenkommen, verlange ich eine Abstimmung über den Friedhof, und wenn eine Mehrheit zustande kommt, ist unsere Entscheidung getroffen.« Er schaute zu dem Bettler hinüber, der immer noch auf seinem Schemel hockte. »Leif!« rief er. »Hör auf, meine Suppe zu essen. Die soll für einen Monat reichen!« Er streckte die Hand aus. »Und ihr übrigen, geht auf eure Plätze, setzt euch und haltet den Mund!«

Er ging in die Speisekammer und holte eine Flasche Wein, ein Ostergeschenk von Cranston. Er goß jedem ein kleines Schlückchen ein. Seine Gemeindemitglieder bedankten sich murmelnd, und heimlich grinsten sie und zwinkerten einander zu, denn es kam sehr selten vor, daß ihr Gemeindepfarrer die Geduld verlor. Auch Benedicta kam wieder herein, und alle gingen zu ihren Plätzen. Nach einer kurzen, witzigen Rede, in der sie zur Einigkeit aufrief, lenkte Athelstan das Gespräch geschickt auf die Vorbereitungen für das Fronleichnamsfest.

»Die Kinder«, erklärte er, »werden ihr Stück im Kirchenschiff aufführen.«

»Und es gibt eine Prozession«, fügte Watkin hinzu. »Und vielleicht ein neues Bild?« wollte Huddle erwartungsvoll wissen. »Gleich neben der Tür, Pater. Christus und die Speisung der Fünftausend.«

Athelstan lächelte und hob die Hand. »Eins nach dem anderen, Huddle.«

»Was wichtiger ist«, warf Cecily mit engelhafter Miene ein, »wir müssen einen Vorhang zwischen dem Pfeiler und der Wand vor dem Chor spannen. Vergeßt nicht, Pater, Ihr müßt uns vor dem großen Festtag die Beichte abnehmen und die Absolution erteilen.«

Athelstan schloß die Augen. Seinen Pfarrkindern die Beichte abzunehmen, hätte er gern vermieden, denn er wußte, was unweigerlich herauskam. Am Ende würde Watkins Frau zu ihm kommen, um ihn über die Sünden ihres Mannes auszufragen, und natürlich würde Athelstan sie beruhigen müssen, ohne dabei aber zu lügen oder das Beichtgeheimnis zu verletzen. Benedicta, die seine bange Sorge gespürt haben mußte, kam ihm eilig zu Hilfe mit der Idee, am Mittwoch vor Fronleichnam ein Blumenfest zu veranstalten, und sie waren mitten in einer friedlichen Diskussion, als die Tür aufgerissen wurde und einer der Arbeiter hereingestürzt kam. »Pater! Pater! Kommt schnell!« Die Augen des Mannes waren angstvoll geweitet. Schweißperlen rannen ihm über das staubige Gesicht.

»Was gibt es?« rief Watkin. »Ich bin hier der Küster und Vorsitzende des Gemeinderates …«

»Halt's Maul, Fettsack!« schrie der Arbeiter. »Pater, Euch brauchen wir. Ihr müßt kommen.« Erregt fuchtelte er mit den Händen. »Bitte kommt. Wir haben die Steinplatten weggenommen …« Der Mann schluckte und starrte in die Runde. »Wir haben die Steinplatten unter dem Altar weggeräumt und eine Leiche gefunden.«

Athelstan überlief es kalt; er schlug mit der Faust auf den Tisch, um den Aufruhr zu beenden. »Eine Leiche?« fragte er. »Unter unserem Altar?«

»Na ja, Pater, um ehrlich zu sein, da liegt ein Skelett, makellos geformt. Liegt einfach da! Es hält ein kleines hölzernes Kruzifix in der Hand.«

Angeführt von ihrem Priester marschierten die Ratsmitglieder aus dem Haus hinaus und in die Kirche; alle Feindschaft war vergessen. In der Kirchentür blieb Athelstan plötzlich stehen, und die ganze Gruppe rumpelte und stolperte ineinander.

»O nein«, stöhnte er.

»Keine Sorge, Pater«, erklärte Watkin fröhlich. »In einer Woche ist das alles wieder in Ordnung.« Athelstan starrte das Chaos an. Der Lettner war abgebaut, und der Altarraum sah aus wie ein Bauhof. Die alten Steinplatten waren zu unordentlichen Haufen gestapelt, und als sie jetzt durch das Kirchenschiff nach vorn gingen, sah Athelstan das große Loch dort, wo der Altar früher gestanden hatte. Die anderen Bauarbeiter umstanden jetzt dieses Loch und schauten hinunter in die Dunkelheit. Der Mann, der ihn geholt hatte, anscheinend der Vorarbeiter, winkte Watkin und die übrigen wichtigtuerisch zurück.

»Ihr seht, Pater«, begann er und schaute sich Zustimmung heischend unter seinen Kollegen um, »der Altar stand auf einer Steinplatte, die ihrerseits auf einem Block ruhte, unter dem sich Kies und Erde befanden. Nun« - der Mann räusperte sich und wischte sich mit dem Handrücken über den staubigen Mund -, »wie Ihr befohlen habt, wollten wir den Boden des Altarraums absenken und haben deshalb einen Teil der Erde entfernt. Tja, und unter dem Altar brach der Boden einfach ein, und das da haben wir gefunden.« Umdrängt von seinen Pfarrkindern, trat Athelstan an den Rand der Grube, während einer der Arbeiter behutsam hineinkletterte und eine Segeltuchplane entfernte. Athelstan schnappte verblüfft nach Luft. Dort ruhte ein Skelett, und in den knochigen Fingern hielt es ein kleines Kruzifix, dessen Holz schon ganz verrottet und weich aussah. Die Handgelenke waren gekreuzt, die Beine lagen ausgestreckt nebeneinander.

»Das ist ein Märtyrer!« erklärte Watkin plötzlich, als gebe er einen großen Triumph bekannt. »Pater, schaut, es ist ein Märtyrer! St. Erconwald hat seinen eigenen Heiligen, eine kostbare Reliquie!«