«Tut ihnen gut.» Louise formte den Sand mit größter Sorgfalt, damit die Türme
eckig wurden.
«Sie sind Kinder.»
«Wir haben auch gearbeitet.»
«Aber keinen Sand für Sandburgen geschleppt. Sie leisten ihren Anteil.» Als Mutter sah, dass ich zurückschaute, winkte sie. Ich griff nach Leroys Hand, aber er zog sie weg. «Ich bin kein Baby.» «Du bist eine Laus.»
PopPop, der im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte, hatte uns von Läusen erzählt. Wir kannten auch ein Spiel, bei dem man würfelte und entsprechend der Augenzahl ein Stück Laus bekam. Gewinnen tut, wer die Laus als Erster zusammengesetzt hat. Das löste jedes Mal Streit aus.
«Dann bist du 'ne Nisse. Das ist zehnmal schlimmer als 'ne Laus.» «Kackpunkt.» «Kuhfladen.»
«Dampfender Hundehaufen.» Meine Phantasie erwachte.
Seine blauen Augen wurden rund, und er haute mich auf die Schulter.
«Arschloch.» «He.» Ich haute zurück.
Damit waren wir quitt und setzten unseren Weg fort, ohne die Leute zu beachten,
die ihrerseits die zwei Kinder nicht beachteten.
«Wenn ich groß bin, traust du dich nicht, mich zu schlagen.»
«Was du nicht sagst.»
«Dann bin ich größer und stärker als du.»
«Kann sein, aber ich bin immer noch schneller und schlauer.»
Er plapperte mir nach. «Was du nicht sagst.» «Und ob ich das sage.»
«Du hast das Fasten gebrochen, war das etwa schlau?»
Die Fastenzeit schien Lichtjahre zurückzuliegen, und ich hatte das Fasten
wirklich gebrochen. «Na und?»
«Du kommst in die Hölle.»
«Weil ich Schokolade gegessen habe?»
«Du hast das Fasten gebrochen.» Stur bestand er darauf, mir meinen Sündenfall vorzuhalten.
«Was sollte das Jesuskind mit meiner Schokolade anfangen?»
«Darum geht's nicht. Versprochen ist versprochen.»
«Du hast mich angestiftet.» «Hab ich gar nicht.»
«Hast du wohl. Du hast vor meiner Nase ein Snickers gegessen.»
«Du sollst halt stark sein.»
«Weißt du was, Leroy, du wirst schon genau so 'ne fromme Eule wie Tante Wheezie.»
Seit seine Mutter tot war, lebte Leroy bei Louise. Wenn Ken von der Arbeit kam, aßen sie zusammen, dann ging Ken ins Bett. Er war total erledigt. «Du glaubst an gar nichts.» Seine blonden Bürsten-schnitthaare sahen in der Sonne fast weiß aus.
«Ich geh in die Kirche.» Er hatte jedoch den Nagel auf den Kopf getroffen; denn schon mit sieben bewies ich wenig Neigung zu gelenkter Frömmigkeit. «Nicht in die einzig wahre Kirche.» «Willst du Priester werden, oder was?»
«Gar nicht.» Die Aufsässigkeit ging mit ihm durch. «Tante Louise hätte das gern. Ich will Marineinfanterist werden wie Dad. Dad sagt, die geben einem Unterkunft, man kriegt Anziehsachen und Essen. Das gefällt mir. Ich marschier auch gerne.»
«Du musst tun, was andere dir sagen.»
«Tu ich jetzt auch.» Ein resignierter Ton hatte sich in seine piepsige Stimme geschlichen.
«Ich auch, aber so bleibt es nicht immer. Wenn wir groß sind, können wir machen, was wir wollen.»
«Ich geh gerne angeln. Da ist es ruhig.» Wir gingen ein Stück, dann fragte er: «Was machst du am liebsten?» «Reiten. Mit PopPops Hunden spielen.» «Wenn du groß bist, musst du Geld verdienen.»
Ich war erstaunt, dass Leroy an so was dachte.
«Ich kann mit Reiten Geld verdienen, und ich kann Zwinger sauber machen. Ausmisten macht mir Spaß. Alles sieht so hübsch aus, wenn ich fertig bin.» «Mir nicht.» Er rümpfte die Nase. «Deswegen will ich Marineinfanterist werden. Ich krieg die ganzen Sachen, wie ich gesagt habe, aber die bezahlen auch. Dad sagt, er hat viel Geld gespart, als er beim Militär war.» «Schon, aber dann musst du in den Krieg.» «Bloß, wenn Krieg ist.» Er dachte darüber nach.
«Dad sagt, es ist schlimm. Ich soll das nicht machen. Krieg. Aber so schlimm kann's nicht sein; denn er ist richtig stolz, dass er Marineinfanterist ist.» Er hielt inne. «Du kannst Marineinfanterist werden.»
«Da gibt's keine Pferde.» Ich konnte mir einen Tag ohne Pferde nicht vorstellen. «Oh.»
Ich machte die Hand auf, darin lag ein Vierteldollar. «Guck, darum wollte ich deine Hand halten. Ich wollte dir das Geld geben, damit wir uns ein Eis kaufen können.»
Sein ebenmäßiges Gesicht drückte Bestürzung aus, er blieb stehen, grapschte mir den Vierteldollar aus der Hand und rannte wie ein geölter Blitz zur Eisbude. Ich rannte ihm hinterher und holte ihn wenige Schritte vor der breiten, rot-weiß gestreiften Markise ein. Er kicherte. «Hast mich nicht gefangen.»
«Hab dich gewinnen lassen. Ich will ein Rocky Road.» Da waren Marshmallowstückchen drin, und das mochte ich besonders gern. Er kaufte zwei Kugeln Schokoladeneis für sich und ein Rocky Road für mich. Wir setzten uns auf eine Bank und schleckten glücklich unsere Eishörnchen. Danach wuschen wir uns an der Pumpe, vermutlich derselben, wo Tante Doney ihre Blöße gezeigt hatte.
«Wir sollten jetzt lieber umkehren.» Ich pumpte noch Wasser, damit er sich das Gesicht waschen konnte.
«Ich will keine Eimer mehr tragen.» «Ich trag die Eimer. Es geht sowieso leichter, wenn man einen in jeder Hand trägt. Macht mir nichts aus.» Er seufzte. «Okay.» Das Wasser am Ufer kitzelte unsere Zehen, als wir langsam zu Mutter und Tante Louise zurückgingen. Kleine Einsiedlerkrebse huschten umher, über uns flog ein Weißkopfadler, so groß, dass ich ihm staunend nachsah. Kleine Vögel liefen im Sand, ihre Füße verschwammen, so schnell waren sie.
Ich blieb stehen und hob einen Einsiedlerkrebs auf. Er kroch leise klappernd in sein kleines Gehäuse zurück. «Ich mag keine Krebse.»
«Ich auch nicht, aber ich mag die Einsiedler. Muss Schwerarbeit sein, wenn man sein Haus auf dem Buckel trägt.»
«Wie kann man ein Krebsmädchen von einem Krebsjungen unterscheiden?» «Krebsmädchen haben hübschere Gehäuse.» «Gar nicht wahr.» Er knuffte mich.
Ich setzte den Krebs in den Sand, wo er wohlweislich in seinem Gehäuse blieb. «Große Krebse. Nicht die Einsiedler?» «Ja, woran sieht man das?»
«Krebsfrauen haben runde Bäuche. Die männlichen, die Jungs, haben dreieckige Bäuche.»
Er wackelte jedes Mal mit den Zehen, wenn Wasser über seine Füße lief. «Das heißt, man muss nah drangehen und sie umdrehen, um nachzugucken.» «Muss man nicht, wenn man gute Augen hat.» «Ich hab gute Augen, aber ich geh nicht so nah an einen Krebs ran, dass ich nachgucken kann.» «Warum fragst du dann?»
Er zuckte die Achseln, ohne zu antworten, drum sagte ich: «Ist vielleicht besser als bei andern Tieren.» «Was?» «Ihre Dingsteile.»
«Wieso ist das besser, wenn man nah drangehen muss, um die zu sehen?» «Weil bei denen nichts raushängt. Wenn du keine Badehose anhättest, dann würdest du, äh», ich grübelte nach dem richtigen Wort, «baumeln. Ein Vögelchen könnte vom Himmel fliegen und dich beißen. Es denkt, du bist 'n großer Wurm.» Er wurde rot. «Denkt es nicht.»
«Ich seh's vor mir.» Ich winkte den Vögeln über uns zu. «Ein Wurm! Ein Wurm!» Er krümmte die Schultern. «Lieber nicht.» Er hielt sich die Hand vor den Schritt. «Da hast du's. Es wäre schrecklich.» Ich lachte.
«Besser als im Sitzen pinkeln.» Er strahlte angesichts seiner Überlegenheit auf
diesem Gebiet.
«Tja.»
«Besser als ein Kind kriegen und wie 'ne Kuh aussehen.»
«Kann sein.» Der Gedanke, Mutter zu werden, kam mir mit sieben nicht in den Sinn, obwohl ein paar von meinen Freundinnen ständig mit Puppen spielten und sich verkleideten. «Also. Ich bin kein Wurm.»
«Ich hab nicht gesagt, dass du ein Wurm bist. Ich hab gesagt, dein Schniepel sieht für einen Vogel wie ein Wurm aus. Ein dicker, fetter Erdwurm.» Wie ich es genoss, ihn zu quälen. «Zuerst frisst er deine Nase.»
Ich fasste mir an die Nase. «Ist noch da. Wackelt nicht, wenn ich gehe. Siehst du, deswegen schnappt der Vogel nach dir und nicht nach mir.» «Hab meine Badehose an. Er kann's nicht sehen.»