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»Dann war dies also die Gabelung, von der Ihr ihr erzählt habt?«

Nathans stechender Blick wurde milder. »Nicht ganz. Die Gabelung, an der sie sich entschied, besagte, daß sie sterben würde. Sie hat nur ihre Todesart gewählt.«

»Heißt das ... sie hätte sich auch für einen anderen Zweig entscheiden können, einen Pfad, auf dem sie überlebt hätte?«

Nathan nickte. »Zumindest für eine Weile. Aber hätte sie sich für diesen Pfad entschieden, befände sie sich schon bald in der Gewalt des Hüters. Aufgrund der beteiligten Personen weiß ich nur daß auf diesem Pfad alles geendet hätte. Die Wahl, die sie traf, besagt, daß noch immer eine Chance besteht.«

»Eine Chance? Eine Chance wozu?«

Nathan seufzte. Friedrich ahnte, daß dieses Seufzen Ausdruck sehr viel ernsterer und weitreichenderer Dinge war als alles, was Althea je gesehen hatte.

»Althea hat uns allen Zeit gewonnen, so daß andere die richtigen Entscheidungen treffen können, sobald der Augenblick gekommen ist, sich aufgrund des freien Willens zu entscheiden. Kaum eine Verknotung verzweigter Prophezeiungen ist so unübersichtlich wie diese, aber die meisten dieser Fäden führen ins Nichts.«

»Ins Nichts? Das soll nun einer verstehen. Was kann es bedeuten?«

»Das Sein an sich steht auf dem Spiel.« Nathan zog die Brauen hoch. »Die meisten dieser Prophezeiungen enden in einer Leere, in der Welt der Toten – und zwar für alles Existierende.«

»Aber den Pfad könnt Ihr trotzdem erkennen?«

»Die vor uns liegende Verwirrung ist mir ein Rätsel. Ich fühle mich in dieser Frage hilflos und weiß, wie es ist, nicht mit der Gabe gesegnet und blind zu sein, Was diese Geschichte anbetrifft, könnte das ebenso gut auf mich zutreffen. Ich vermag nicht einmal alle diejenigen zu erkennen, die im Begriff sind, die kritischen Entscheidungen zu treffen.«

»Das muß Jennsen sein. Wenn Ihr sie finden könntet, vielleicht ... aber Althea meinte, wer die Gabe hat, sei blind gegen die nicht mit der Gabe gesegneten Nachkommen Darken Rahls.«

»Oder jedes anderen Rahl. Die Gabe ist beim Auffinden dieser absolut nicht mit der Gabe gesegneten Nachkommen vollkommen nutzlos. Es ist unmöglich, ihren Aufenthaltsort festzustellen. Wenn man nicht alle Menschen der Welt vor den mit der Gabe Gesegneten aufmarschieren lassen will, besteht praktisch keine Möglichkeit, sie mit Hilfe der Gabe zu erkennen. Die Gabe vermag Euch allein durch physische Nähe zu sagen, wer sie sind – weil der Eindruck Eurer Augen und der Eurer Gabe nicht übereinstimmen – so wie jüngst, als ich Jennsen anscheinend zufällig begegnete.«

»Ihr glaubt also, Jennsen hat irgendwas mit dieser Geschichte zu tun?«

Nathan zog seine Pelerine wegen des bitterkalten Windes enger zusammen. »Was die Prophezeiungen anbelangt, existieren Menschen wie Jennsen nicht einmal. Ich kann unmöglich sagen, ob es noch andere gibt, und wenn ja, wie viele es sein mögen. Auch habe ich keine Ahnung, welche Rolle sie in dieser Geschichte spielen. Ich weiß nur, daß es eine zentrale Rolle ist, und weiß um einige Dinge, die wichtig sind; zudem kenne ich einige Personen, die vor entscheidenden Gabelungen der Prophezeiungen stehen, obwohl, wie gesagt, viele dieser Gabelungen der Prophezeiungen unverständlich sind.«

»Aber Ihr seid ein Prophet – laut Althea sogar ein echter. Wie kann es sein, daß Ihr den Inhalt einer Prophezeiung nicht kennt, obwohl sie existiert?«

Nathan maß ihn mit einem forschenden Blick aus seinen tiefblauen Augen. »Versucht zu verstehen, was ich Euch jetzt erkläre. Es ist ein Gedanke, den zu begreifen nur wenige Menschen fähig sind. Vielleicht hilft er Euch in Eurem Kummer, denn es ist der Punkt, vor dem Althea stand.«

Friedrich nickte. »Bitte.«

»Prophezeiungen und die Möglichkeit der freien Entscheidung stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander, beeinflussen sich aber gegenseitig. Prophezeiungen sind Magie, und alle Magie verlangt nach Ausgewogenheit. Das Gegengewicht für die Prophezeiungen, das die Ausgewogenheit, die die Existenz von Prophezeiungen erst ermöglicht, ist der freie Wille.«

»Das ist unlogisch. Die beiden heben sich doch gegenseitig auf.«

»O nein, keineswegs«, erwiderte der Prophet mit einem durchtriebenen schlauen Lächeln. »Sie sind voneinander abhängig, gleichzeitig bilden sie ein Gegensatzpaar. So wie auch additive und subtraktive Magie gegensätzliche Kräfte sind, die gleichzeitig existieren. Beide dienen sie dem jeweils anderen als Gegengewicht. Schöpfung und Zerstörung, Leben und Tod. Um funktionieren zu können, benötigt Magie Ausgewogenheit; und Prophezeiungen funktionieren nur durch das Vorhandensein ihres Gegenstücks, des freien Willens.«

»Ihr seid ein Prophet und wollt mir erzählen, daß es so etwas wie freien Willen gibt, der Prophezeiungen außer Kraft setzt?«

»Setzt der Tod das Leben außer Kraft? Nein, er grenzt es ab und gibt ihm erst dadurch seinen Wert.«

In der darauf folgenden Stille schien nichts von all dem von Bedeutung zu sein. Im Augenblick war Friedrich mit diesen Dingen völlig überfordert, zumal sich für ihn nichts dadurch änderte. Der Tod war gekommen und hatte Altheas kostbares Leben genommen. Ihr Leben war das einzig Wertvolle, das er je besessen hatte. Sein Schmerz überwältigte ihn erneut und begrub alles andere unter sich. Für Friedrich hatte jegliche Freude längst geendet, vor ihm lag nichts als ein tiefes, schwarzes Loch.

»Aber eigentlich bin ich aus einem ganz anderen Grund hergekommen«, fuhr Zauberer Rahl mit ruhiger Stimme fort. »Ich bin gezwungen, Euch in diesem Kampf um Hilfe zu ersuchen.«

Zu müde, um sich noch länger auf den Beinen zu halten, und auch vor lauter Kummer ganz geschwächt, ließ Friedrich sich neben Altheas Grab zu Boden sinken. »Da seid Ihr zum falschen Mann gekommen.«

»Kennt Ihr den derzeitigen Aufenthaltsort des Lord Rahl?«

Friedrich sah auf und blinzelte in den strahlend hellen Himmel. »Lord Rahl?«

»Ganz recht, des Lord Rahl. Ihr seid D’Haraner, Ihr solltet es eigentlich wissen.«

»Ich denke, ich kann die Bande spüren.« Friedrich deutete vage Richtung Süden. »Er ist irgendwo dort aber die Bande sind schwach. Er muß sehr weit entfernt sein, weiter als ich es jemals zuvor in meinem Leben bei einem Lord Rahl gespürt habe.«

»Sehr richtig«, erwiderte Nathan. »Er befindet sich in der Alten Welt. Dort müßt Ihr ihn aufsuchen.«

Friedrich stöhnte. »Ich habe kein Geld für eine solche Reise.«

Nathan warf ihm einen ledernen Beutel zu, der mit einem schweren, gedämpften Klirren vor Friedrich auf dem Boden landete. »Ich weiß; ich bin Prophet, oder habt Ihr das bereits vergessen? Der Beutel enthält mehr, als man Euch gestohlen hat.«

Friedrich prüfte das Gewicht des Geldbeutels, er war unbestreitbar schwer. »Woher stammt das viele Geld?«

»Aus dem Palast. Dies ist eine offizielle Mission, daher wird Euch D’Hara sämtliche finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, die Ihr benötigt.«

Friedrich schüttelte den Kopf. »Ich danke Euch, daß Ihr gekommen seid, um mir Euer Mitgefühl auszusprechen, aber ich bin dafür der falsche Mann. Schickt einen anderen.«

»Ihr seid der Mann, dem es bestimmt ist zu gehen. Althea hat das gewußt. Sie hat Euch einen Brief hinterlassen, in dem sie Euch erklärt, daß Ihr in diesem Kampf gebraucht werdet, und sie hat Euch gebeten einzuwilligen, wenn man sich an Euch wendet. Lord Rahl braucht Eure Hilfe, also wende ich mich an Euch.«

»Ihr wißt von dem Brief?«, fragte Friedrich ungläubig, sich wieder erhebend.