Oba grinste ihn nur an.
Und mit ihm die Stimme.
Die Augen des Mannes weiteten sich. Schluckend wich er zurück, bis er mit den Schultern gegen die Wand stieß, dann schob er sich seitlich an der Wand entlang. Als er die hinterste Ecke erreicht hatte, ließ er sich zu Boden gleiten und zog die Knie vor seinen Körper. Leise wimmernd, das Gesicht tränenüberströmt, wandte er den Kopf ab und verbarg seine Augen hinter seiner zuckenden Schulter.
Oba legte den Kopf auf seinen ausgestreckten Arm und schlief ein.
42
Das Geräusch leiser Schritte jenseits der Zellentür weckte Oba aus seinem Nickerchen. Er schlug die Augen auf. ohne sich jedoch zu rühren oder einen Mucks von sich zu geben. Seine Zellengenossen linsten durch das Guckloch in der Tür nach draußen.
Als der Klang der fernen Schritte allmählich näher zu kommen schien, traten sie bis auf einen alle zurück. Der eine harrte an der Tür aus und stand Schmiere. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, packte die Gitterstäbe und preßte sein Gesicht ganz nah daran, um einen besseren Blick in den Gang zu haben. Oba vernahm das weit entfernte metallische Scheppern und hallende Knarren von Zellentüren, die entriegelt und aufgezogen wurden. Eine Weile verharrte der Mann, den Blick nach draußen gerichtet, vollkommen regungslos an der Tür, dann trat er plötzlich zurück.
»Sie sind in unsere Richtung eingebogen – sie kommen hierher«, flüsterte er als Warnung für die anderen.
Die Männer an der gegenüberliegenden Wand drängten sich enger zusammen, begannen untereinander zu tuscheln.
»Was ist, wenn statt dessen eine Mord-Sith aufkreuzt?«, zischte einer von ihnen.
»Das kann uns doch völlig egal sein«, meinte ein anderer. »Ich kenne mich ein bißchen aus mit diesen Weibern. Ihre Magie dient dazu, die mit der Gabe Gesegneten einzufangen. Das schützt sie vor der Magie anderer, aber nicht vor Muskelkraft.«
»Ihre Waffe funktioniert bei uns bestimmt auch«, hielt der Erste dagegen.
»Aber doch nicht, wenn wir sie überwältigen und sie ihr abnehmen«, erfolgte die getuschelte Antwort mit Nachdruck. »Wir sind zu fünft. Wir sind stärker und außerdem in der Überzahl.«
»Aber wenn ...«
»Was, glaubst du wohl, werden sie mit uns machen?«, ereiferte sich ein anderer mit leiser Stimme. »Wenn wir diese Gelegenheit nicht beim Schopf packen, können wir uns hier drinnen praktisch begraben lassen. Ich wüßte nicht welche Chance wir sonst noch hätten. Ich sage, wir tun’s und machen uns aus dem Staub.«
Einer nach dem anderen erklärten sich die Männer nickend einverstanden. Offenbar zufrieden, richteten sie sich auf und begaben sich in die verschiedenen Zellenecken, um sich den Anschein zu geben, als wollten sie nichts miteinander zu schaffen haben. Oba wußte, daß sie etwas im Schilde führten.
Einer von ihnen warf rasch noch einen Blick durch die Öffnung und trat dann sofort wieder von der Tür zurück. Ein anderer ging hinüber zu Oba und tippte ihn mit dem Fuß an.
»Sie sind zurück. Wach auf, hörst du?«
Oba stöhnte und stellte sich schlafend.
Der Mann stieß ihn noch einmal an. »Wir sollten dir doch Bescheid geben, wenn sie wieder da sind. Wach endlich auf.« Er schreckte zurück, als Oba sich rührte und gähnend und räkelnd so tat, als wache er gerade erst auf. Alle Männer – bis auf den einen, der bereits mehr als genug in Obas Augen gesehen hatte – sahen zu ihm herüber, bevor sie sich für einen Platz entschieden, an dem sie Aufstellung nehmen wollten. Beim Warten nahm jeder eine überaus lässige Haltung ein und tat überhaupt alles, um möglichst gleichgültig und desinteressiert zu wirken.
Ein kleines Stück den Gang hinunter unterhielten sich zwei Personen, deren Worte Oba nicht genau verstand; er konnte ihre Stimmen jedoch deutlich genug hören, um zu erkennen, daß ihre kurze Unterhaltung offizieller Natur war. Schließlich verstummten die Schritte unmittelbar vor der Tür. Ein Schlüssel wurde im Schloß gedreht, das Scheppern des zurückschnappenden Riegels hallte durch den Korridor. Die Männer warfen rasch noch einen letzten Blick zur Tür. Draußen hörte man einen Mann ächzen, der offenbar unter großer Anstrengung an etwas zog. Die Tür gab kreischend nach und ließ zusätzliches Licht herein.
Zu Obas Überraschung zeichneten sich die Umrisse einer Frau im Türeingang ab.
Der hochgewachsene Gardist in ihrer Begleitung entzündete seine Lampe draußen im Korridor mit einer Kerze aus einer der Wandhalterungen. Während die Frau unmittelbar hinter der Tür stehen blieb und die Männer beiläufig taxierte, brachte er die Lampe in die Zelle und hängte sie seitlich an der Wand auf. Die Lampe warf grelles Licht auf die Gesichter der Männer und machte die unerbittliche Undurchdringlichkeit der Zellenmauern aus grob behauenem Stein in ihrer ganzen Deutlichkeit sichtbar.
In diesem Moment erkannte Oba, was für ein wahrhaft niederträchtiger und abstoßender Haufen diese Männer waren. Sie musterten die Frau glänzenden Auges mit verschlagen lüsternen Blicken.
Im trüben Schein der Lampe sah Oba, daß sie das seltsamste Kleidungsstück trug, das er je gesehen hatte – einen hautengen, roten Lederanzug. Hoch gewachsen und wohl geformt, trug sie ihr langes, blondes Haar zu einem Zopf geflochten. An einem dünnen Kettchen am Gelenk ihrer auf der Hüfte ruhenden Hand baumelte ein Gegenstand. Obwohl nicht größer als die Männer, schien sie sie allein schon aufgrund ihres imponierenden Auftretens zu überragen, einer strengen Rachegöttin gleich, die herabgestiegen war, um über die Lebenden in ihrer letzten Stunde zu richten.
Aus ihrem finsteren Blick sprach ein Mißfallen, das selbst dem seiner Mutter in nichts nachstand.
Aber noch viel überraschter war Oba, als sie dem Gardisten, der die Tür entriegelt hatte, mit einer beiläufigen Handbewegung zu verstehen gab, er möge sich entfernen. Oba mochte dies überraschen, den Gardisten aber ließ es völlig kalt. Nach einem letzten Blick auf die Männer zog er die schwere Tür hinter sich zu und sperrte ab. Oba konnte das Geräusch seiner Stiefel auf dem Steinfußboden hören, als er sich durch den Gang wieder entfernte.
Die Frau maß die sie umstehenden Männer mit kühl forschenden Augen, jeden einzelnen von ihnen taxierend und ihn als unbedeutend abtuend, bis ihr Blick schließlich auf Oba fiel. Sie musterte ihn sorgfältig mit ihren harten, durchdringenden Augen.
»Gütige Seelen ...«, flüsterte sie leise, als sie den Ausdruck in seinen Augen sah.
Augen.
Oba feixte. Er wußte, in diesem Moment hatte sie erkannt, daß er bezüglich seines Vaters die Wahrheit gesprochen hatte. Sie hatte seinen Augen angesehen, daß er ein Sohn Darken Rahls war.
Augen.
Die plötzliche Erkenntnis rastete in seinen Gedanken ein, ganz so wie ein Messer, das man in seine Scheide schiebt.
Und dann stürzten sich die Männer mit animalischem Gebrüll auf sie. Oba hatte erwartet, daß sie erschrocken aufschreien oder um Hilfe rufen oder doch wenigstens zurückweichen würde. Statt dessen behauptete sie ihre Stellung und wehrte ihren Angriff mit geradezu aufreizender Lässigkeit ab.
Oba sah, wie der stabähnliche rote Gegenstand, den er zuvor in der Nähe ihres Handgelenks hatte baumeln sehen, in ihre Hand schnellte. Als der erste Mann sie erreichte, rammte sie ihm den Stab in die Brust und schleuderte ihn mit einer Drehung ihres Handgelenks zurück. Er landete, einem vom Heuboden geworfenen Strohballen gleich, mit dumpfem Geräusch auf dem Boden.
Die anderen fielen nahezu gleichzeitig in einem wüsten Durcheinander aus wild um sich prügelnden Armen und Fäusten von allen Seiten über sie her. Im selben Augenblick, als die Falle aus muskelbepackten Armen zuschnappte, entzog sie sich ihr mühelos mit einem Ausfallschritt zur Seite. Als die Männer sich daraufhin schwankend herumdrehten, um blitzschnell erneut anzugreifen, spielte sie ihre ganze kaltblütige Eleganz aus und entledigte sich der Männer in Windeseile, überlegen und mit beispielloser Härte. Ohne sich umzudrehen, stieß sie ihren Ellbogen in das Gesicht des am nächsten stehenden Mannes, als dieser sie von hinten festzuhalten versuchte. Oba vernahm das Brechen von Knochen, als sein Körper, eine lange Blutspur auf der Wand hinterlassend, nach hinten geschleudert wurde.