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Ein weiterer Vorpostentrupp erspähte sie und Sebastian auf ihrem Ritt durch das offene Gelände, die Soldaten verließen ihren Beobachtungsposten auf einer Hügelkuppe und kamen den Hang herunter, um ihnen den Weg abzuschneiden. Als sie und Sebastian näher waren und die Männer seinen weißen Bürstenhaarschnitt und den beiläufigen Salut sahen, den er ihnen entbot, machten sie allerdings kehrt und kletterten wieder hoch zu ihren Lagerfeuern.

Wie alle anderen Soldaten in der Armee der Imperialen Ordnung auch, die sie bislang gesehen hatte, waren diese Soldaten ein derber, unkultivierter, in zerrissene Lumpen, Pelze und Häute gehüllter Haufen. Viele von ihnen hockten unten im weiten Tal um kleine Lagerfeuer, vor winzigen Zelten aus Tierfellen und geöltem Segeltuch. Zwischen diesen Zelten sah man, aufs Geratewohl verteilt, örtliche Befehlsstände, Messetische, Waffenstapel. Vorratswagen, Pferche voller Lebendvieh und Pferde, geplagte Geschäftsleute und sogar Schmiede, die an transportablen Essen arbeiteten. Da und dort gab es vereinzelte kleine Märkte, wo die Männer zusammenkamen, um kleine Dinge des Alltags zu tauschen oder einzukaufen.

Man sah sogar ein paar hagere Gestalten, die mitten im dichten Gedränge erregt und aufgebracht auf vereinzelte Gruppen von Zuschauern mit völlig ausdruckslosen Mienen einpredigten. Was genau sie predigten, konnte Jennsen nicht verstehen, aber es waren nicht die ersten Prediger, die sie sah. Die ungestüme Körpersprache, mit der sie Tod und Verderben sowie Seelenheil durch Bekehrung zum rechten Glauben verkündeten, war nach Aussage ihrer Mutter ebenso unverkennbar wie immer gleich.

Als sie sich auf ihren Pferden diesem schier uferlosen Feldlager näherten, fiel Jennsen trotz der beeindruckenden Vielfalt dessen, was sie erblickte, in erster Linie auf, daß das gesamte Lager nur so starrte vor Dreck, es stank, überall herrschten Lärm und erschreckendes Durcheinander.

Nur der eine, alles bestimmende Grund für ihr Hiersein hielt sie davon ab, kehrtzumachen und die Flucht zu ergreifen, nichts sonst. Sie war an eine innere Grenze gestoßen und hatte diese überschritten, hatte die Notwendigkeit des Tötens erkannt und sich in kalter, bewußter Berechnung entschieden, die Tat auszuführen. Ein Zurück gab es nicht mehr.

Sebastian hatte ihr auch erklärt, wie schwierig es sich gestaltete, eine so riesige Armee zur Verteidigung der Heimat zusammenzuziehen, und welch mühseliges Unterfangen es war, sie über eine so weite Strecke marschieren zu lassen. All diese Männer waren fern ihrer Heimat und hatten obendrein keine leichte Aufgabe zu erledigen; diese Männer befanden sich im Krieg. Letzteres galt allerdings auch für die Truppen D’Haras, nur hatten diese Männer hier nicht die geringste Ähnlichkeit mit d’Haranischen Soldaten und waren auch längst nicht so diszipliniert, doch das behielt sie für sich.

Trotzdem vermochte Jennsen ein gewisses Verständnis aufzubringen. Die Reise war für sie und Sebastian überaus beschwerlich gewesen, so daß auch sie sich kaum um ein gepflegtes Äußeres hatte kümmern können. Darüber hinaus war die Überquerung des Gebirges mitten im Winter sehr langwierig und mühselig gewesen. Tags zuvor hatten sie eine Abkürzung durch hügeliges Gelände genommen, um sich der Armee von der Spitze her zu nähern, und waren dabei auf ein verlassenes Bauernhaus gestoßen. Sebastian hatte ihrem Wunsch nachgegeben, dort zu übernachten, obwohl es zum Aufschlagen des Nachtlagers noch ein wenig zu früh war. Nachdem sie in dem alten Zuber im winzigen Badezimmer ein Bad genommen und sich die langen Haare gewaschen hatte, mußte das Wasser noch zum Auswaschen ihrer Kleider dienen. Anschließend hatte Jennsen vor dem wärmenden Feuer, das Sebastian im Kamin angezündet hatte, ihr Haar ausgebürstet, um es zu trocknen. Sie war wegen des bevorstehenden Zusammentreffens mit dem Kaiser aufgeregt und wollte präsentabel aussehen. Sebastian, auf einen Ellbogen gestützt, hatte sie im flackernden Schein der Flammen beobachtet, sein unvergleichliches Lächeln aufgesetzt und gemeint, sogar ungewaschen und ungekämmt sei sie gewiß die schönste Frau, die Kaiser Jagang je gesehen habe.

Als sie jetzt durch die Randbezirke des Feldlagers der Imperialen Ordnung ritten, herrschte in ihrem Magen ein wüstes Durcheinander, von ihrem Haar dagegen konnte man das nicht behaupten. Dem Aussehen der stürmischen Wolken nach, die von Westen her an den Bergen vorbei zu ihnen herüberzogen, würde in Kürze ein Frühlingsgewitter über ihnen niedergehen. Sie hoffte, der Regen würde, so kurz vor ihrer Begegnung mit dem Kaiser, wenigstens ihre Haare und ihr Kleid verschonen und noch ein wenig auf sich warten lassen.

»Dort«, meinte Sebastian und beugte sich mit ausgestrecktem Arm im Sattel vor. »Das sind die Zelte des Kaisers, und dort drüben stehen die seiner wichtigsten Berater und Offiziere. Nicht weit dahinter, talaufwärts, dürfte Aydindril selbst liegen.« Er warf ihr grinsend einen Blick zu. »Kaiser Jagang ist noch nicht ausgerückt, um die Stadt einzunehmen; wir sind also rechtzeitig gekommen.«

Die riesigen Zelte boten einen eindrucksvollen Anblick. Das größte von ihnen war oval; sein dreispitziges Dach wurde von drei in den Himmel ragenden Stützmasten getragen. Die Seitenwände des Zeltes waren mit leuchtend bunten Stoffstreifen verziert, die Traufen mit Wimpeln und Quasten behängt. Hoch oben, an der Spitze der drei Masten, flatterten bunte, gelbrote Banner im böigen Wind, während lange Fähnchen, fliegenden Schlangen gleich, sich im Wind streckten. Die Gruppe der kaiserlichen Zelte ragte aus der Eintönigkeit der winzigen Quartiere für die gewöhnlichen Soldaten heraus wie ein königlicher Palast aus den ihn umstehenden Hütten.

Jennsens Herz raste, als sie ihre Pferde in das dichte Getümmel innerhalb des Lagers lenkten. Beide, sowohl Rusty als auch Pete, bekundeten ihre bösen Vorahnungen mit einem Schnauben, als sie diesen lärmigen, geschäftigen Ort betreten sollten. Sie trieb Rusty nach vorn, um Sebastians Hand zu ergreifen.

»Deine Hand ist ja völlig verschwitzt«, meinte er lächelnd. »Du bist doch nicht etwa aufgeregt, oder?«

»Ein bißchen vielleicht«, erwiderte sie.

Ihr Vorhaben festigte jedoch ihre Entschlossenheit.

»Aber das brauchst du nicht. Kaiser Jagang wird es sein, der nervös ist, weil er einer so schönen Frau begegnet.«

Jennsen spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. In Kürze sollte sie einem Kaiser gegenübertreten. Was ihre Mutter wohl dazu sagen würde? Im Weiterreiten dachte sie darüber nach, wie sich ihre Mutter, ein junges Mädchen und Bedienstete des Palasts – ein Niemand also – gefühlt haben mußte, als sie Darken Rahl persönlich begegnet war. Zum allerersten Mal konnte Jennsen sich ein wenig in die Ungeheuerlichkeit dieses Ereignisses im Leben ihrer Mutter hineinversetzen.

Jennsen wurde von allen Seiten angestarrt. Soldaten kamen in Scharen herbeigeströmt, um die ins Lager reitende Frau in Augenschein zu nehmen. Sie sah, daß eine Reihe von Soldaten mit Langspießen sich zu einem lockeren Spalier entlang ihres Weges formierte, um die nachdrängenden Männer zurückzuhalten, und erkannte, daß die Gardisten ihnen den Weg freihielten, um zu verhindern, daß ihnen einer der Soldaten zu nahe kam.

»Der Kaiser ist von unserem Kommen unterrichtet«, erklärte Sebastian.

»Wie ist das möglich?«

»Nach unserer Begegnung mit den Kundschaftern vor ein paar Tagen, und später dann mit den näher am Lager stehenden Posten heute Morgen, hat man Boten vorausgeschickt, um Kaiser Jagang meine Rückkehr zu melden. Und daß ich nicht allein komme. Kaiser Jagang möchte gewiß die Sicherheit jedes Gastes gewährleisten, den ich mitbringe.«

»Die Soldaten machen einen so ... ich weiß nicht ... unzivilisierten Eindruck, ja, so muß man es wohl nennen.«

»Würdest du etwa, im Augenblick, da du Lord Rahl dein Messer ins Herz stoßen willst«, hielt Sebastian sofort dagegen, »einen Knicks vor ihm machen und dich bei ihm bedanken, um ihm deine gute Kinderstube zu beweisen?«