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Der Großteil der Männer machte sich augenblicklich auf den Weg. Die beiden, die zurückblieben, legten sich Sebastians Arme über ihre Schultern und hoben ihn mühelos hoch. Er zuckte vor Schmerzen zusammen. Jennsen führte sie, nach den markanten Punkten Ausschau haltend, die sie sich gemerkt hatte, quer durch den Palast.

»Hier entlang«, sagte sie, als sie die gähnende Bresche an der Ecke eines mit Trümmerteilen übersäten Korridors wiedererkannte. Dort, am klaffenden Loch in der äußeren Ummauerung, durch das Tageslicht hereinfiel und von wo aus man einen weiten Blick über die Parkanlagen tief unten hatte, war das für sie und Kaiser Jagang bestimmte Zauberfeuer detoniert.

Fünf Soldaten bahnten sich aus der anderen Richtung einen Weg durch den Flur; sie hatten eine Schwester des Lichts bei sich. Hinter ihnen konnte man nahezu ein weiteres Dutzend Soldaten erkennen. Zwei Schwestern, die Gesichter rußverschmiert, kamen durch ein nahes, seitlich gelegenes Gemach, gefolgt von weiteren Soldaten des Sturmtrupps. Die Hälfte der Männer war verwundet, doch sie waren alle im Stande, sich aus eigener Kraft fortzubewegen.

Kaiser Jagang lehnte dort, wo Jennsen ihn zurückgelassen hatte, in aufrechter Haltung an der Wand. Der Vorhangstoff, mit dem Jennsen ihm das Bein umwickelt hatte, hielt die Wunde halbwegs zusammen, allerdings waren die Wundränder nicht richtig angepaßt worden, und die entsetzliche Verletzung bedurfte dringend der Versorgung. Offenbar hielt die Wirkung der von der Schwester kurz vor ihrem Tod durchgeführten Heilmagie noch an, so daß Jagang nicht mehr viel Blut verlor.

Wegen seines hohen Blutverlusts wirkte der Kaiser allerdings matt und bleich, aber längst nicht so bleich wie die Gesichter derer, die zum ersten Mal die Schwere seiner Verletzung erkannten.

Eine der Schwestern kniete nieder, um nach der Wunde zu sehen. Jagang zuckte zusammen, als sie versuchte, die beiden Seiten seines aufgerissenen Beins genauer aneinander anzupassen.

»Wir haben keine Zeit, um es gleich hier zu heilen«, meinte sie. »Wir müssen ihn erst an einen sicheren Ort bringen.«

Sie ging sogleich daran, den Verband aus blutdurchtränktem Vorhangstoff straffer zu ziehen und sich weitere Stoffetzen aus den Trümmern zusammenzusuchen.

»Habt Ihr sie erwischt?«, erkundigte sich Jagang, während die Schwester damit beschäftigt war, die Wunde zu versorgen. »Wo ist sie? Sebastian!« Er stemmte sich mit Hilfe eines Brettes in eine aufrechte Stellung und versuchte erst auf der einen, dann auf der anderen Seite an dem Trupp Soldaten vorbeizuspähen, der Sebastian half, bis zu Kaiser Jagang vorzudringen. »Da seid ihr ja endlich. Wo ist die Mutter Konfessor? Habt Ihr sie gefaßt?«

»Sie war es nicht«, beantwortete Jennsen die Frage.

»Was?« Der Kaiser blickte verärgert in die Gesichter der ihn Umstehenden. »Ich habe das Miststück doch mit eigenen Augen gesehen und werde ja wohl wissen, ob ich die Mutter Konfessor vor mir habe! Wieso habt Ihr sie nicht erwischt?«

»Ihr habt einen Zauberer gesehen und eine Hexenmeisterin«, erklärte ihm Jennsen. »Sie haben Euch mit Hilfe von Magie glauben gemacht, Ihr sähet Lord Rahl und die Mutter Konfessor. Das Ganze war ein Täuschungsmanöver.«

»Ich fürchte, sie hat Recht«, warf Sebastian ein, ehe Jagang sie anschreien konnte. »Ich stand unmittelbar neben ihr, und während ich die Mutter Konfessor sah, konnte Jennsen sie nicht sehen.«

Jagang musterte sie mit mißbilligender Miene. »Aber wenn die anderen sie gesehen haben, wie ist es dann möglich, daß Ihr sie nicht...«

Dann endlich schien er zu begreifen. Aus einem für Jennsen nicht ganz nachvollziehbaren Grund wurde ihm plötzlich klar, daß sie die Wahrheit gesprochen hatte.

»Aber warum?«, fragte die Schwester.

»Beide, sowohl der Zauberer als auch die Hexenmeisterinnen, schienen sehr in Eile zu sein«, meinte Jennsen. »Offenbar haben sie irgendetwas vor.«

»Das ist ein Ablenkungsmanöver«, sagte Jagang leise, den leeren Blick in den verlassenen, mit Trümmern übersäten Flur gerichtet. »Sie wollten, daß wir beschäftigt sind. Sie wollten uns fernhalten und dafür sorgen, daß wir uns über andere Dinge den Kopf zerbrechen.«

»Von was denn fern halten?«, fragte Jennsen.

»Von der Hauptstreitmacht«, sagte Sebastian, der Jagangs Gedankengang sofort verstanden hatte. Eine zweite Schwester beeilte sich, ihm einen Druckverband an den Rippen anzulegen und ihn mit einem langen, um die Brust gewickelten Stoffstreifen zu befestigen, damit er nicht verrutschte.

»Das wird nur kurze Zeit halten«, murmelte sie, halb zu sich selbst. »Es sieht gar nicht gut aus.« Sie sah abermals zu der anderen Schwester hinüber. »Wir werden die Wunde ordnungsgemäß verbinden müssen, aber hier ist das nicht möglich.«

Jagang stieß einen wütenden Fluch aus. Er spähte durch das von Zauberfeuer in die Wand gesprengte Loch und bückte in die Richtung, wo sie die Armee talabwärts am Fluß zurückgelassen hatten. Dann ballte er die Faust und biß die Zähne aufeinander.

»Dieses Miststück! Sie wollten, daß wir beschäftigt sind, damit sie unsere Hauptstreitmacht bei ihrer Attacke wie auf dem Präsentierteller vorfinden. Dieses intrigante Miststück! Wir müssen sofort umkehren!«

Der kleine Sturmtrupp hastete durch die Flure. Jagang und Sebastian wurden, jeweils einen Soldaten rechts und links unter dem Arm, getragen, so daß sie auf dem Weg hinaus aus dem Palast schnell vorankamen. Sebastians Zustand hatte sich erkennbar verschlechtert.

Unterwegs kamen weitere Soldaten hinzu. Jennsen staunte, daß sie immer noch auf Überlebende stießen. Verglichen mit der Streitmacht, mit der sie angerückt waren, waren sie jedoch vernichtend geschlagen worden. Wären sie zusammengeblieben, statt sich, wie von Kaiser Jagang und Sebastian veranlaßt, immer weiter aufzuteilen, hätten sie gut und gerne alle auf einen Schlag getötet werden können. Doch auch so mußte die Armee der Imperialen Ordnung eine gewaltige Zahl von Toten zurücklassen.

Unmittelbar nach Erreichen des unteren Stockwerks bahnten sie sich einen Weg durch die Dienstbotengänge zum Seiteneingang des Palasts. Draußen bot sich ihnen ein grauenhaftes Bild. Allem Anschein nach war die gesamte Streitmacht niedergemetzelt worden, und die Wahrscheinlichkeit, daß auch nur ein einziger Kavallerist überlebt hatte, überaus gering. Jennsen empfand den Anblick eines Blutbads von diesen Ausmaßen unerträglich und doch zugleich so überwältigend, daß sie nicht wegsehen konnte. Die ineinander verschlungenen Leichen der Pferde und Soldaten bildeten eine unregelmäßige, sich hangabwärts ziehende Frontlinie, sie waren exakt an der Stelle gefallen, wo sie in vollem Galopp frontal auf den Gegner geprallt waren. In der Ferne grasten ein paar versprengte Pferde, deren Reiter zweifellos längst nicht mehr lebten.

»Man sieht überhaupt keine gegnerischen Toten«, stellte Jagang mit einem Rundblick über das Schlachtfeld fest, während er, auf einen Langspieß gestützt, den ihm ein Soldat gereicht hatte, weiterhumpelte. »Was mag nur eine solche verheerende Wirkung gehabt haben?«

»Jedenfalls nichts von dieser Welt«, meinte eine Schwester.

Soldaten hoch zu Roß – insgesamt weniger als eintausend der ursprünglich über vierzigtausend Mann – kamen angeritten, um die kleine, aus dem Palast zurückkehrende Truppe zu umringen. Es folgte eine Reihe berittener Schwestern, die sich, einen inneren Verteidigungsring bildend, dicht um den Kaiser scharten.

Rusty kam mit Pete im Schlepptau herangetrabt; die beiden hatten sich den zerlumpten Überresten der Kavallerie angeschlossen. Rusty erkannte das Signal, als Jennsen pfiff, und eilte herbei; Jennsen strich dem Tier mit der Hand beruhigend über den zitternden Hals und kraulte ihm die Ohren. Als Pete ihr mit der Stirn von hinten gegen die Schulter stieß, wurde er auf ähnliche Weise getröstet.

»Was ist nur passiert?«, brüllte Jagang wutentbrannt. »Wie konntet Ihr Euch auf diese Weise überrumpeln lassen?«

Der die berittene Truppe anführende Offizier blickte verzweifelt um sich. »Exzellenz, es ist ... wie aus heiterem Himmel über uns gekommen. Da war nichts, gegen das wir hatten kämpfen können.«