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»Wollt Ihr mir etwa weismachen, es waren Gespenster?«, blaffte Jagang.

»Ich glaube, es waren die Pferde, die der Kundschafter gerochen hat«, warf ein anderer Offizier ein. Sein Arm war trotz seines bis unter die Achseln reichenden Verbandes blutverschmiert.

Während Soldaten zusätzliche Pferde herbeischafften, saß Schwester Perdita unmittelbar neben ihm ab. »Exzellenz, an dem Angriff war in irgendeiner Form Magie beteiligt – die einzige Erklärung, die ich habe, sind durch Zauberei heraufbeschworene Phantomreiter.«

Er sah sie aus seinen bedrohlichen Augen auf eine Weise an, die sogar Jennsen vor Angst zittern ließ. »Und wieso habt Ihr und Eure Schwestern es dann nicht verhindert?«

»Weil sie mit der heraufbeschworenen Magie nichts gemein hat, mit der wir es gewöhnlich zu tun bekommen. Meiner Meinung nach muß es sich um eine Spielart konstruierter Magie gehandelt haben, sonst hätten wir sie nicht nur erkennen, sondern auch etwas dagegen unternehmen können. Zumindest ist das meine Vermutung. Ich bin mit konstruierter Magie bislang noch nie in Berührung gekommen, aber ich habe davon gehört. Was immer uns attackierte, hat auf keinen unserer Abwehrversuche reagiert.«

Der Kaiser musterte sie nach wie vor mit finsterer Miene. »Magie ist Magie. Ihr hättet sie aufhalten müssen, dazu seid Ihr schließlich da.«

»Konstruierte Magie und heraufbeschworene Magie sind nicht dasselbe, Exzellenz.«

»Nicht dasselbe? Inwiefern?«

»Statt die Gabe spontan zu nutzen, wird konstruierte Magie vorab entworfen. Sie läßt sich über große Zeitspannen konservieren, über Tausende von Jahren, vielleicht sogar für immer. Wird sie benötigt, wird der Bann ausgelöst und die Magie freigesetzt.«

»Ausgelöst durch was?«, fragte Sebastian.

Schwester Perdita schüttelte verzweifelt den Kopf. »Dafür kann alles Mögliche in Frage kommen, wie ich mir habe sagen lassen. Das hängt ganz von ihrer Konstruktionsweise ab. Heutzutage ist kein Zauberer mehr im Stande, einen solchen Bann zu entwerfen. Wir wissen wenig über die Zauberer aus alter Zeit und welche Talente sie besaßen, aber das wenige, das wir wissen, läßt darauf schließen, daß ein konstruierter Bann eine trocken aufbewahrte Substanz sein könnte, die zum Leben erwacht, sobald ihr Feuchtigkeit zugeführt wird – wie etwa ein zum Düngen von Getreide benutztes Mittel, das mit Einsetzen des Frühlingsregens wirksam wird. Es könnte durch Erwärmen ausgelöst werden – wie ein Heilmittel, das man bei Fieber einnimmt –, wobei das Heilmittel als Träger des magischen Entwurfs dient und das Fieber selbst ihn auslöst. Andere werden durch eine winzige Portion Magie ausgelöst, manche durch eine kunstvolle Anwendung unglaublich komplexer Zauberei und gewaltiger Kräfte.«

»Demzufolge«, folgerte Jennsen. »müßte also jemand mit außerordentlichen magischen Talenten etwas so Gewaltiges wie diese Phantomreiter entfesselt haben?«

Schwester Perdita schüttelte den Kopf. »Es könnte sich um diese Form von konstruierter Magie handeln, aber ebenso gut könnte es auch ein Bann sein – wenn auch ein unglaublich mächtiger –, der in einem winzigen Behältnis aufbewahrt und ausgelöst wurde, indem man die Konstruktion ... nun ja, irgendeiner Substanz aussetzte – möglicherweise sogar Pferdedung.«

Kaiser Jagang tat den bloßen Gedanken mit einer Handbewegung ab. »Etwas so Kleines und leicht Auslösbares wäre niemals imstande, solche Kräfte zu entfalten.«

»Exzellenz«, gab die Schwester zu bedenken, »Ihr dürft dabei nicht die augenscheinliche physische Größe der Konstruktion oder ihres Auslösers mit den Auswirkungen gleichsetzen, beides steht in keinerlei Beziehung zueinander, jedenfalls nicht in dem Sinn, wie es sich die meisten Menschen vorstellen. Der Auslöser hat keinerlei Einfluß auf die Stärke der Konstruktion. Nicht einmal die Konstruktion und ihr Auslöser müssen notwendigerweise in Beziehung zueinander stehen. Es gibt schlicht und einfach keine feste Regel, nach der sich eine Konstruktion bewerten ließe.«

Der Kaiser deutete mit einer ausladenden Armbewegung auf die Zehntausende im Tod ineinander verschlungenen Soldaten und Pferde. »Aber eine Katastrophe von solchen Ausmaßen muß doch zweifellos eine gewaltigere Ursache gehabt haben.«

»Die Armee der Phantomreiter, die diesen Angriff durchgeführt hat, könnte von einem Zauberer ausgelöst worden sein, der mit magischem Staub Banne zeichnet und dazu eine unvorstellbar komplexe Beschwörungsformel spricht, ebenso gut aber könnte der Auslöser ein Buch sein, in dem ein Kavalleriekonter beschrieben ist, das ganz einfach auf der richtigen Seite aufgeschlagen und der angreifenden Streitmacht entgegengehalten wird – selbst aus einer Entfernung von mehreren Meilen. Auslöser könnte sogar die schlichte Angst einer Person sein, die eine solche Konstruktion erzeugt.«

»Soll das etwa heißen, irgendeine x-beliebige Person könnte eine Konstruktion aus Versehen auslösen?«, fragte Jennsen.

»Ja, durchaus. Gerade das macht sie ja so gefährlich. Doch nach allem, was ich gelesen habe, kommt diese Art äußerst selten vor. Wegen ihrer großen Gefährlichkeit sind die meisten mit komplizierten Sicherungen und ausfallsicheren Mechanismen umgeben, für die höchst fundierte Kenntnisse in der Anwendung von Magie erforderlich sind.«

»Aber«, wandte Jennsen ein, »hat eine über entsprechend fortgeschrittene Kenntnisse verfügende Person – ein Zauberer – diese Schichten aus Sicherungen und ausfallsicheren Mechanismen einmal entfernt, könnte sie doch durch einen letzten, ganz einfachen Auslöser in Gang gesetzt werden?«

Schwester Perdita warf Jennsen einen viel sagenden Blick zu. »Genauso ist es.«

»Demzufolge könnte diese Streitmacht aus Phantomreitern«, sagte Jagang. auf die Tausende von Leichen deutend, »jeden Augenblick noch einmal losgeschickt werden, um uns den Rest zu geben.«

Die Schwester schüttelte den Kopf. »So wie ich es verstehe, kann ein konstruierter Bann jeweils nur einmal eingesetzt werden. Er erschöpft sich durch die Erfüllung des Zwecks, für den er geschaffen wurde. Das ist einer der Gründe für sein seltenes Vorkommen, einmal benutzt, erlischt er für immer, und kein lebender Zauberer kann ihn je wieder rekonstruieren.«

»Wieso sind wir dann nicht schon früher auf diese Banne gestoßen?«, fragte Sebastian, dessen Ungeduld zusehends wuchs. »Und wieso auf einmal ausgerechnet jetzt?«

Schwester Perdita starrte ihn einen Moment lang an, ein Bild verhaltenen Ärgers, wie sie es sich, vermutete Jennsen, unmittelbar gegenüber Jagang niemals erlaubt hätte, auch wenn der von ihm gegen ihren Rat befohlene Angriff auf den Palast der Konfessoren den Tod zahlloser Schwestern des Lichts zur Folge gehabt hatte.

Schwester Perdita gab sich betont besorgt, als sie hinauf zur düsteren, sich klar gegen den Berghang abhebenden Burg zeigte. »In der Burg der Zauberer gibt es mindestens eintausend Räume«, sagte sie mit leiser Stimme. »Und eine ganze Reihe von ihnen ist vermutlich bis unter die Decke mit äußerst üblen Dingen voll gestopft. Nachdem wir sie während des Winters hierher getrieben hatten, hatte der Zauberer auf ihrer Seite – dieser Zauberer Zorander – vermutlich alle Zeit der Welt, um die gesamte Burg nach den noch fehlenden Dingen zu durchforsten, um auf uns vorbereitet zu sein, wenn wir im Frühjahr gegen Aydindril vorrücken. Ich wage nicht mir vorzustellen, welche katastrophalen Überraschungen er noch für uns in petto hat.«

Sebastians Blick wurde ebenso finster wie der Jagangs. »Und wieso habt Ihr uns nicht davor gewarnt? Mir ist nie zu Ohren gekommen, daß Ihr über diese Dinge gesprochen hättet.«

»Habe ich aber. Ihr wart nur nicht da.«

»Ihr habt auch von vielen anderen Dingen abgeraten, die wir unbeschadet überstanden haben«, knurrte Jagang sie an. »Im Krieg muß man etwas riskieren und damit rechnen, gewisse Verluste hinzunehmen. Nur wer wagt, gewinnt.«

Sebastian gestikulierte hinauf zur Burg. »Womit müssen wir außerdem noch rechnen?«

»Konstruierte Banne sind nur eines der Risiken im Kampf gegen solche Gegner. Weil sie so selten vorkommen, hat keine von uns Schwestern sie als sonderlich ernste Gefahr betrachtet, aber wie Ihr jetzt seht, kann bereits ein Einziger von ihnen überaus gefährlich sein. Es existiert eine ganze Welt voller Gefahren, von denen wir uns nicht einmal ansatzweise eine Vorstellung machen können. Allein das winterliche Klima hier hat Tausende unserer Soldaten das Leben gekostet, ohne daß der Feind auch nur einen Finger krumm machen oder einen einzigen Mann riskieren mußte. Das allein hat uns mehr geschadet als nahezu jede Schlacht oder jedes durch Magie hervorgerufene Unglück. Haben wir diese Verluste durch etwas so Simples wie Schnee und Frost überhaupt einkalkuliert? Hat uns unsere Stärke oder Größe etwa davor bewahrt? Bedeuten diese vielen Toten etwa einen geringeren Verlust, weil sie an Fieber statt an einer ausgefallenen Anwendung der Magie gestorben sind? Welchen Unterschied macht das für die Toten – oder für die, die übrig geblieben sind, um weiterzukämpfen?