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Zugegeben, ein aufgrund von Erkrankung seines Feindes zustande gekommener Sieg mag einem Soldaten weder sonderlich ruhmreich noch heldenhaft erscheinen, aber tot ist tot. Zahlenmäßig ist unsere Armee um ein Vielfaches überlegen, und doch haben wir diese Hunderttausende von Soldaten allein aufgrund eines durch die Witterungsbedingungen hervorgerufenen Fiebers verloren – und nicht etwa durch Magie, vor der wir Euch – Eure größte Sorge – beschützen sollen.«

»Aber in einem richtigen Kampf«, spottete Sebastian, »wird unsere zahlenmäßige Überlegenheit dann zum Tragen kommen, und am Ende werden wir den Sieg erringen.«

»Erzählt das denen, die am Fieber gestorben sind. Zahlenmäßige Überlegenheit ist nicht immer eine Garantie für den Sieg.«

»Was für ein abstruser Gedanke«, feuerte Sebastian zurück.

Schwester Perdita wies auf die Reihen der Gefallenen. »Sagt das den Toten.«

»Wenn wir gewinnen wollen, müssen wir Risiken eingehen«, erklärte Jagang, und damit war die Sache entschieden. »Was ich wissen will, ist Folgendes: Müssen wir damit rechnen, daß der Feind uns noch weitere dieser konstruierten Banne entgegenschleudern wird?«

Schwester Perdita schüttelte achselzuckend den Kopf, so als wollte sie sagen, das wisse sie nicht. »Ich bezweifle, daß Zauberer Zoranders Kenntnisse über die dort aufbewahrten konstruierten Banne sehr tiefgreifend sind. Die Beherrschung dieser Magie ist weitgehend in Vergessenheit geraten.«

»Einen dieser Banne hat er jedenfalls noch ziemlich gut beherrscht«, warf Sebastian ein.

»Und das könnte durchaus der Einzige gewesen sein, den er gut genug beherrscht, um ihn überhaupt einzusetzen. Wie schon gesagt, konstruierte Banne erschöpfen sich nach einmaligem Gebrauch.«

»Trotzdem ist es durchaus möglich«, mischte sich Jennsen ein, »daß er auch noch weitere konstruierte Banne beherrscht.«

»Ja. Aber nach allem, was man weiß, könnte dies auch ebenso gut der letzte noch existierende konstruierte Bann gewesen sein. Vielleicht aber hockt er auch dort oben und hat noch hundert weitere in der Hinterhand, die alle weitaus gefährlicher sind als dieser. Das läßt sich vorab beim besten Willen nicht feststellen.«

Jagangs schwarzgraue Augen waren starr auf seine gefallene Kavallerieelite gerichtet. »Nun, diesen hat er jedenfalls zu nutzen gew ...«

Am fernen Horizont blitzte ein gleißend helles Leuchten auf.

Die Welt rings um sie her erstrahlte mit der leuchtenden Strahlkraft eines Blitzes, nur daß dieser Blitz nicht, wie üblich, sofort wieder erlosch. Jennsen packte Rustys und Petes Zügel knapp unterhalb der Trense, um zu verhindern, daß sie durchgingen. Andere Pferde scheuten und bäumten sich auf.

Über dem Flußtal jenseits der Hügel – aus der Richtung, wo ihre Armee lagerte – flackerte ein weißglühendes Licht, ein Licht so weiß, so rein und gleißend hell, daß es bis zum gegenüberliegenden Horizont leuchtete.

Der weiß glühende Lichtschein, unter dem die hügelige Landschaft plötzlich zwergenhaft geschrumpft wirkte, breitete sich mit ungeheurer Geschwindigkeit aus und war doch so weit entfernt, daß man nicht das geringste Geräusch hörte. Die felsigen Flanken der Berge rings um die Stadt erstrahlten in grellem Licht.

Dann, endlich, vernahm Jennsen das tiefe, polternde Donnergrollen, das sie bis in die Brust spürte und das den Boden unter ihren Füßen erzittern ließ. Das mächtige, hallende Krachen schwoll zu einem immer lauter werdenden, scheppernden Getöse an.

Ein dunkler Pilz quoll über dem Ursprung des Lichts himmelwärts. Jennsen erkannte, daß das, was sie aufgrund der großen Entfernung für einen sich immer weiter ausdehnenden Staubpilz hielt, aus mindestens wagen-, wenn nicht gar baumgroßen Trümmerteilen bestehen mußte.

Die Wolke im Zentrum des Lichts schwoll immer mehr an, bis sie sich schlagartig in ein Nichts auflöste, so als wäre sie in der ungeheuren Energie dieser alles verzehrenden Hitze und Helligkeit verdampft. Jennsen sah eine sich ringförmig ausbreitende Welle über den Erdboden hinrasen, ganz ähnlich den Ringen, die entstehen, wenn man einen Stein ins Wasser wirft, bloß daß es in diesem Fall nur eine einzige Welle war.

Alle standen da wie gelähmt vor Angst, als eine Staub und Sand vor sich hertreibende Wand aus Wind hügelaufwärts auf sie zugeschossen kam. Schließlich hatte die Druckwelle sie erreicht. Sie traf sie mit solcher Plötzlichkeit und Wucht, daß die Zweige, wären sie nicht bereits kahl gewesen, auf der Stelle entlaubt worden wären. Äste knickten ab, als die vom Wind geschüttelten Bäume hin und her gepeitscht wurden.

Immer mehr Pferde gerieten in Panik, bockten und stoben davon. Soldaten warfen sich zu Boden, um sich vor den womöglich noch folgenden Nachwirkungen zu schützen. Jennsen, die der ungeheure Windstoß beinahe von den Füßen riß, hielt sich die Hand schützend vor die Augen, während kräftige, erwachsene Soldaten in ihrer Kindheit erlernte Gebete aufsagten, in denen sie den Schöpfer um Rettung anflehten.

Jagang stand da und bot dem Schauspiel mit einer Mischung aus Wut und Trotz die Stirn.

»Bei den Gütigen Seelen«, meinte Jennsen schließlich, mit zusammengekniffenen Augen den Staub aus ihren Augen blinzelnd, als die Nachwirkungen abzuflauen schienen. »Was in aller Welt mag das gewesen sein?«

Schwester Perdita war leichenblaß geworden. »Ein Lichtnetz.«

»Völlig ausgeschlossen!«, polterte Jagang. »Dort unten gibt es Schwestern zur Abwehr aller Lichtbanne!«

Die indirekt angesprochene Schwester Perdita brachte kein Wort hervor; sie schien die Augen nicht von dem fesselnden Anblick lösen zu können.

»Wieso sollte es ein Lichtnetz gewesen sein?«, fragte Jagang aufgebracht. »Es sind nicht mal irgendwelche Leute in der Nähe! Keine Armee, keine Truppen – außer vielleicht ein paar von ihren mit der Gabe Gesegneten.«

»Mehr wären dafür auch nicht nötig«, erwiderte Schwester Perdita. »Für diese Dinge ist keine Truppenunterstützung erforderlich. Ich sagte Euch doch bereits, daß hier etwas nicht stimmt. Hier in Aydindril steht die Burg der Zauberer, und niemand vermag zu sagen, was auch nur ein einzelner Zauberer zu Wege bringen könnte, um eine Armee – sogar eine Armee wie die unsrige – abzuwehren.«

Jagang machte ein ungläubiges Gesicht. »Ihr wollt doch nicht etwa behaupten, dieser klapprige alte Zauberer könnte das an einem Ort wie dieser Burg alles ganz allein bewerkstelligt haben?«

»Dieser eine klapprige alte Zauberer, wie Ihr ihn zu nennen beliebt, hat soeben das Unmögliche vollbracht. Nicht nur, daß er ein vermutlich vor Jahrtausenden konstruiertes Lichtnetz aufgestöbert hat, es ist ihm, was noch unbegreiflicher ist, auch noch gelungen, es auszulösen.«

Jagang wandte sich ab und starrte hinüber zu der Stelle, wo der Lichtschein endlich zu erlöschen schien. »Gütiger Schöpfer«, entfuhr es ihm leise, »genau dort drüben lagert die Armee.« Er wischte sich mit der Hand über seinen kahl geschorenen Schädel, während er die schauderhaften Folgen überlegte. »Wie ist es nur möglich, daß sie ein Lichtnetz inmitten unserer Armee entzünden? Dagegen sind wir doch abgesichert! Wie?«