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Ihr wutentbrannter Blick ließ Jennsen verstummen. »Diese Magie ist auch für uns gefährlich, für die, die ihn zu heilen versuchen. Bei dem Versuch, die eingeschlossenen magischen Splitter zu entfernen, riskieren wir unser Leben – und seines ebenfalls. Wenn wir schon das Leben von Schwestern aufs Spiel setzen sollen, dann verlange ich als Gegenleistung dafür deinen festen Willen, Richard Rahl zu töten.«

»Wie könnt Ihr nur das Leben eines Menschen an Bedingungen knüpfen!«

Die Schwester straffte sich voller Verachtung. »Wir müssen viele andere ihrem Schicksal überlassen, um für die Heilung dieses einen Mannes eine genügend große Menge von Schwestern und Zeit abstellen zu können. Wie kannst du es da wagen, uns mit einer solchen Bitte zu kommen? Wie kannst du es wagen, uns zu bitten, den Tod anderer in Kauf zu nehmen, nur damit dein Geliebter überlebt?«

Jennsen wußte nicht, was sie auf eine so entsetzliche Frage antworten sollte.

»Wenn wir es tun, dann nur für einen Preis, der mehr wert ist als das Leben all der Menschen, die ohne unsere Hilfe verloren sind. Die Hilfe für diesen einen Mann muß sich auszahlen. Würdest du etwa weniger verlangen? Würdest du nicht dasselbe wollen? Als Gegenleistung für die Rettung des Mannes, der dir so viel bedeutet...«

»Euch bedeutet er doch genauso viel! Und der Imperialen Ordnung! Er ist für Eure Ziele ebenso wichtig wie für Kaiser Jagang!«

Schwester Perdita wartete ab, bis Jennsen endlich Ruhe gab. Als Jennsens zorniger Blick unsicher wurde, und sie schließlich die Augen niederschlug, fuhr die Schwester fort.

»Der Wert eines Individuums bemißt sich allein nach dem Nutzen, den es für einen anderen Menschen hat. Und diesen Nutzen hast für ihn nur du allein. Für die Rettung dieses Mannes, der dir so viel bedeutet, muß ich deine uneingeschränkte Entschlossenheit verlangen, Richard Rahl ein und für alle Mal Einhalt zu gebieten. Deine verbindliche Zusage, ihn auszuschalten.«

»Schwester Perdita, Ihr macht Euch überhaupt keine Vorstellung, wie groß mein Wunsch ist, endlich diesen Mann zu töten.« Jennsen ballte ihre Fäuste. »Er hat die Ermordung meiner Mutter befohlen. Seine Gewaltherrschaft hätte um ein Haar dazu geführt, daß Kaiser Jagang getötet wurde. Richard Rahl ist dafür verantwortlich, daß Sebastian verwundet wurde. Er ist verantwortlich für unvorstellbares Leid und Morde ohne Zahl! Ich will den Tod dieses Mannes!«

»Dann laß uns die Stimme befreien.«

Jennsen trat erschrocken einen Schritt zurück. »Was?«

»Grushdeva.«

Jennsen riß die Augen auf, als sie dieses Wort zum ersten Mal laut ausgesprochen hörte.

»Von wem habt Ihr dieses Wort?«

Ein selbstgefälliges Grinsen spielte über Schwester Perditas Gesicht und richtete sich dort behaglich ein. »Von dir selbst, Schätzchen.«

»Ich habe niemals ...«

»Beim Abendessen mit Seiner Exzellenz. Er fragte dich, warum du den Wunsch verspürtest, deinen Bruder zu töten, welche Gründe du hättest, was du damit bezwecktest. Und du hast mit Grushdeva geantwortet.«

»Ich habe nie etwas dergleichen gesagt.«

Das selbstgefällige Lächeln bekam einen verdrießlich herablassenden Zug. »O doch, du hast. Willst du mich etwa anlügen und bestreiten, daß dir dieses Wort eingeflüstert wurde?« Als Jennsen nichts darauf erwiderte, fuhr Schwester Perdita fort. »Weißt du überhaupt, was es bedeutet? Dieses Wort Grushdeva?«

»Nein«, antwortete Jennsen kleinlaut.

»Es bedeutet Rache.«

»Woher wollt Ihr das wissen?«

»Die Sprache ist mir geläufig.«

Jennsen stand da wie erstarrt, die Schultern verkrampft hochgezogen. »Und was genau schlagt Ihr mir nun vor?«

»Nun, ich schlage vor, daß du Sebastian das Leben rettest.«

»Aber was noch?«

Schwester Perdita zuckte mit den Schultern. »Einige von uns Schwestern werden dich aus dem Lager an einen stillen Ort begleiten, wo wir völlig ungestört sind, während einige andere hier zurückbleiben und deinem Wunsch entsprechend Sebastians Leben retten. Morgen früh dann, wenn es ihm bereits besser geht, kannst du dich auf den Weg machen, um Richard Rahl zu töten. Du bist gekommen, um unsere Hilfe zu erbitten; also gedenke ich, dir diese Hilfe zu gewähren. Was wir für dich tun, wird dich in die Lage versetzen, dein Vorhaben in die Tat umzusetzen.«

Jennsen mußte schlucken. Die Stimme verhielt sich merkwürdig still, kein einziges Wort war von ihr zu hören. Irgendwie war diese Stille in diesem Augenblick entsetzlicher als alles andere.

»Sebastian liegt im Sterben. Er hat nur noch kurze Zeit zu leben, dann ist es für jeden Rettungsversuch durch uns zu spät. Ja oder nein, Jennsen Rahl?«

»Aber angenommen, ich ...«

»Ja oder nein! Deine Zeit ist abgelaufen! Wenn du Richard Rahl töten willst, wenn du Sebastian retten willst, dann sag nur ein einziges Wort. Und zwar jetzt gleich, oder du wirst dir ewig wünschen, du hättest es getan.«

52

Nachdem sie ihre Pferde angepflockt hatten, kraulte Jennsen Rusty die Stirn und streichelte das Tier nervös mit ihrer anderen Hand unterm Kinn, während sie ihre Wange gegen die Pferdeschnauze schmiegte.

»Sei ein gutes Mädchen, bis ich wieder da bin«, flüsterte sie. Rusty antwortete auf ihre besänftigenden Worte mit einem leisen Wiehern.

Jennsen blickte hoch in das krallenartige Geäst, das sich im fahlen Licht eines hinter einem zarten, milchigen Wolkenschleier verborgenen Vollmondes, der wie ein stummer Zeuge über den Himmel zog, sanft wiegte.

»Kommst du?«

»Ja, Schwester Perdita.«

»Dann beeil dich. Die anderen warten bestimmt schon.«

Jennsen folgte der Frau eine Böschung hinauf. Der moosbewachsene Boden war übersät mit festem, vertrocknetem Eichenlaub und einer Schicht aus dünnen Zweigen. Gelegentlich aus dem lockeren Lehmboden zu Tage tretende Wurzeln gaben genug halt, um den steilen Abhang zu erklimmen; oben wurde das Gelände ebener. Jennsen fiel auf, daß Schwester Perditas Bewegungen für eine Frau von so kräftiger Statur von erstaunlicher Geschmeidigkeit waren.

Die Stimme blieb stumm. In Augenblicken erhöhter Anspannung, so wie jetzt, flüsterte die Stimme normalerweise auf sie ein; jetzt aber schwieg sie. Jennsen hatte sich immer gewünscht, die Stimme würde sie endlich in Frieden lassen, aber jetzt dämmerte ihr ganz langsam, wie beängstigend diese Stille sein konnte.

Da der Mond nur hinter einem feinen Wolkenschleier verborgen war, spendete er ihnen genug Licht, um sich vorwärts zu tasten. Jennsen konnte ihren Atem in der kalten Luft sehen, als sie der Schwester zwischen niedrigen, ausladenden Tannen- und Fichtenzweigen hindurch mitten in den Wald hinein folgte. Früher hatte sie sich in den Wäldern stets zu Hause gefühlt, doch als sie der Schwester jetzt in diesen Wald hinein folgte, wollte sich dieses Gefühl nicht so recht einstellen.

Sie wäre lieber allein gewesen statt in Gesellschaft einer derart unfreundlichen Frau. Kaum hatte Jennsen ihr gegenüber jenes eine Wort ausgesprochen, das Sebastians Leben retten würde, hatte Schwester Perdita ein Verhalten unverhohlener Überheblichkeit an den Tag gelegt, das jede Toleranz vermissen ließ. Mittlerweile hatte sie eindeutig das Sagen und war sicher, daß Jennsen dies ebenfalls wußte.

Wenigstens hatte sie Wort gehalten. Unmittelbar nach Jennsens Zusage hatte sie einige andere Schwestern gedrängt, die Rettung von Sebastians Leben in Angriff zu nehmen. Während sie vorgeschickt wurden, um ihre wie auch immer gearteten Vorbereitungen zu treffen, erhielt Jennsen Gelegenheit, sich davon zu überzeugen, daß alles Menschenmögliche für seine Rettung getan wurde.

Bevor sie ihn verließ, hatte sie sich über ihn gebeugt und ihm einen zarten Kuß auf seinen hübschen Mund gehaucht, ihm zärtlich über sein weißes Stoppelhaar gestrichen und seine geschlossenen Augen mit den Lippen gestreift. Dann hatte sie ein leises Gebet an ihre bei den Gütigen Seelen weilende Mutter gesprochen und sie gebeten, über ihn zu wachen.

Schwester Perdita hatte sie weder daran gehindert noch zur Eile gedrängt; erst ganz zum Schluß hatte sie Jennsen sacht zurückgezogen, ihr leise zugeraunt, man müsse die Schwestern, die sich bereits um ihn drängten, jetzt allein lassen, damit sie ihre Arbeit verrichten konnten.