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Auf dem Weg nach draußen hatte Jennsen einen kurzen Blick in das Privatgemach des Kaisers werfen dürfen, wo sie vier Schwestern tief über sein verwundetes Bein gebeugt sah. Der Kaiser hatte das Bewußtsein verloren. Die vier fieberhaft um den Kaiser bemühten Schwestern schienen selbst Schmerzen zu leiden, denn manchmal faßten sie sich gequält an den Kopf. Erst als sie diese Schwestern sah und Schwester Perdita es ihr erklärte, wurde Jennsen bewußt, wie unangenehm und schwierig das Heilen sein konnte. Anders als in Sebastians Fall waren sie allerdings nicht besorgt, das Leben ihres Patienten sei unmittelbar in Gefahr.

Jennsen bog einen Tannenzweig zurück und folgte der Schwester tiefer in den unheimlichen Wald.

»Wieso müssen wir uns eigentlich so weit vom Feldlager entfernen?«, fragte Jennsen flüsternd. Bereits der Ritt hierher schien Stunden gedauert zu haben.

Schwester Perditas zusammengebundenes Haar fiel nach vorn über ihre Schulter, als sie nach hinten schaute, so als sei dies eine ganz besonders dumme Frage. »Damit wir unter uns sind, um zu tun, was getan werden muß.«

Jennsen versuchte nicht daran zu denken, was sie erwartete, sondern versuchte sich statt dessen vorzustellen, wie sie am nächsten Morgen mit dem wieder genesenen Sebastian aufbrechen, wie sie mit ihm durch die Lande reiten würde – fernab der vielen Menschen und vor allem fernab der grimmig dreinblickenden Soldaten der Imperialen Ordnung.

Natürlich war ihr bewußt, daß diese Soldaten mit ihrem Kampf gegen Lord Rahl unschätzbare Arbeit leisteten, aber das änderte nichts daran, daß es sie beim bloßen Gedanken an diese Männer eiskalt überlief. Ihre Gegenwart machte sie so nervös wie ein Kitz unter den Blicken eines Rudels gierig geifernder Wölfe.

Wenn sie einfach nur tat, was Schwester Perdita von ihr verlangte, würden Sebastian und sie am Morgen fortgehen können. Was immer die Schwestern an Hilfe für sie vorgesehen hatten, sie gaben ihr damit die Zuversicht, Richard Rahl leichter töten zu können. Im Augenblick war dies abgesehen von Sebastian das Einzige, was Jennsen interessierte.

Sie hatten die Pferde in einem völlig kahlen, größtenteils aus Eichen bestehenden Waldstück zurückgelassen. Da die Bäume noch nicht ausgeschlagen hatten, war der Wald anfangs noch licht gewesen, mittlerweile jedoch drangen sie immer tiefer in einen dichteren Wald aus Tannen, Fichten und Föhren vor, deren mächtige Zweige oft bis hinunter auf den Boden reichten. Die himmelwärts strebenden Föhren hatten zwar unten am Stamm keine Zweige, dafür sperrten ihre breiten Wipfel das trübe Mondlicht aus. Schwester Perdita bewegte sich dennoch mit der Sicherheit eines Menschen, der einer Straße folgt, obwohl es hier weit und breit nicht mal einen Pfad zu geben schien.

Dann plötzlich drang ein schwaches Geräusch durch das dichte Unterholz an Jennsens Ohr. Weiter vorn erblickte sie einen schwachen rötlichen Lichtschein auf der Unterseite einiger Zweige. Eine merkwürdige, unangenehme Witterung lag in der eisigen Luft, Verwesungsgeruch ganz ähnlich, allerdings mit einer äußerst ekelhaften süßen Note.

Während sie Schwester Perdita weiterhin durch die dichten, eng beieinander stehenden Nadelbäume folgte, konnte Jennsen nach und nach einzelne, zu einem leisen rhythmischen, heiseren Sprechgesang vereinte Stimmen unterscheiden. Die Worte selbst verstand sie nicht, ihre Schwingungen jedoch spürte sie bis in ihre Brust und – da der ungewöhnliche Rhythmus ihr verwirrend vertraut erschien – sogar bis in den entlegensten Winkel ihres Verstandes. Auch ohne die einzelnen Worte unterscheiden zu können, schien es dieser Sprechgesang zu sein, der der Luft den üblen Geruch verlieh. Die ebenso seltsamen wie quälend vertrauten Worte hatten zur Folge, daß sich ihr vor Übelkeit der Magen umdrehte.

Schwester Perdita hielt einen niedrigen Tannenzweig für sie zur Seite, und Jennsen trat hindurch. Als sie unmittelbar dahinter die im Sprechgesang vereinten Stimmen vernahm, schlug ihr das Herz bis zum Hals. Durch die Lücke konnte sie eine Lichtung im Wald erkennen, die einen ungehinderten Blick auf den Himmel und den hoch oben stehenden Mond gewährte.

Jennsen warf einen Blick in das unfreundliche Gesicht der Schwester, dann trat sie noch ein Stück weiter vor bis zum Rand der Lichtung. Vor ihr befand sich ein weiter Kreis aus Kerzen. Die Kerzen standen so dicht nebeneinander, daß sie fast wie ein zur Abwehr von Dämonen angelegter Feuerring wirkten. Unmittelbar innerhalb des Kerzenrings war ein zweiter Kreis auf den nackten Waldboden gezeichnet worden, mit einer Substanz, die an weißen, im Mondschein glitzernden Sand erinnerte. Die gesamte Innenfläche des Kreises war mit geometrischen; aus dem gleichen Sand gezeichneten Figuren ausgefüllt, die Jennsen nichts sagten.

Inmitten der glitzernden Sandfiguren saßen sieben Frauen im Kreis. Einen Platz hatte man für eine noch fehlende Person freigelassen, offenbar Schwester Perdita. Während sie den Sprechgesang in der fremden Sprache anstimmten, hatten die Frauen die Augen geschlossen. Das Mondlicht spiegelte sich blinkend auf den Ringen in ihrer Unterlippe, als sie die heiseren, kehligen Worte intonierten.

»Dir ist der Platz in der Mitte des Kreises vorbehalten«, meinte Schwester Perdita mit leiser Stimme. »Leg deine Kleider ab und setz dich, das Gesicht dem freien Platz zugewandt, in die Mitte des Kreises.«

Der Befehl wurde mit derart kühler Autorität erteilt, daß Jennsen schlichtweg keine andere Wahl hatte, als zu gehorchen. Die Schwester nahm ihren Umhang entgegen, dann schaute sie ihr schweigend zu. Nachdem ihr Kleid zu Boden geglitten war, schlang Jennsen sich die Arme um die fröstelnden Schultern. Ihre Zähne klapperten, aber keineswegs nur wegen der Kälte. Als sie den stummen, funkelnden Blick der Schwester bemerkte, schluckte Jennsen angewidert und legte rasch auch noch ihre restlichen Kleidungsstücke ab.

Schwester Perdita stieß einen Finger in ihre Richtung. »Geh.«

»Was mache ich eigentlich hier?« Jennsen kam ihre eigene Stimme überraschend kräftig vor.

Schwester Perdita dachte einen Augenblick über die Frage nach, bevor sie sie schließlich beantwortete. »Du wirst in Kürze Richard Rahl eliminieren. Um dir dabei zu helfen, werden wir eine Lücke in den Schleier zur Unterwelt reißen.«

Jennsen schüttelte den Kopf. »Nein, kommt nicht in Frage. Ich werde nichts dergleichen tun.«

»Jeder tut das. Wenn man stirbt, tritt man durch den Schleier. Der Tod ist Teil des Lebens. Wenn du Lord Rahl töten willst, wirst du Hilfe benötigen; und genau diese Hilfe werden wir dir gewähren.«

»Aber die Unterwelt ist das Reich der Toten. Ich kann doch nicht...«

»Du kannst und du wirst. Du hast dein Wort bereits gegeben. Wenn du dich weigerst, wie viele Menschenleben wird Lord Rahl dann noch vernichten? Du wirst es tun, denn sonst wird das Blut jedes dieser Opfer an deinen Händen kleben. Du würdest mit deiner Weigerung den Tod zahlloser Menschen heraufbeschwören und dich zum Gehilfen deines Bruders machen. Du, Jennsen Rahl würdest dem Tod Tür und Tor öffnen und zulassen, daß all diese Menschen sterben. Du, Jennsen Rahl, würdest zur Anhängerin des Hüters werden. Wir fordern dich auf, all deinen Mut zusammenzunehmen, dich dem zu widersetzen und statt dessen Richard Rahl den Tod zu bringen.«

Fröstelnd dachte Jennsen über Schwester Perditas entsetzliche Aufforderung nach, über die entsetzliche Entscheidung, der sie sich auf einmal gegenübersah. Jennsen sprach ein Gebet an ihre Mutter und bat sie um Rat. doch es erschien kein Zeichen, das ihr geholfen hätte. Auch die Stimme hüllte sich in Schweigen.

Jennsen trat über den Ring aus Kerzen.

Sie mußte es tun; sie mußte der Herrschaft Richard Rahls ein Ende machen. Dankenswerterweise schien der gesamte mittlere Bereich des sorgfältigen Arrangements im Dunkeln zu liegen. Jennsen empfand es als demütigend, sich nackt vor Fremden zu zeigen, auch wenn es Frauen waren, aber das war im Augenblick noch ihre geringste Sorge.