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Der Mann, der Sebastian offenbar gar nicht bemerkte, warf sich auf Jennsen, als sie sich auf das Messer stürzte. Ihre Finger bekamen das Heft zu fassen, das ziselierte Metall bot einen guten Halt. Mit zusammengebissenen Zähnen riß sie die Klinge heraus und wälzte sich herum.

Bevor der Mann sie erreichte, streckte Sebastian ihn mit seiner Axt nieder. Der Soldat schlug krachend neben ihr auf den Boden, wobei sein muskulöser Arm über ihre Hüfte fiel.

Mit einem Aufschrei wand Jennsen sich unter dem Arm hervor; Sebastian half ihr auf.

»Sucht zusammen, was Ihr mitnehmen wollt«, kommandierte er. Wie im Traum bewegte sie sich vorwärts.

Die Stimme in ihrem Kopf redete in ihrer merkwürdig fremden Sprache leise auf sie ein. Sie ertappte sich dabei, wie sie beim Zuhören beinahe so etwas wie Trost empfand.

Tu vash misht. Tu vask misht. Grushdeva du kalt misht.

Jennsen war unfähig zu denken und wußte nicht, was sie tun sollte. Sie verbannte die Stimme aus ihrem Kopf und erteilte sich selbst den Befehl zu tun, was ihre Mutter ihr aufgetragen hatte.

Dann trat sie zum Schrank und ging daran, rasch ein paar Dinge zusammenzusuchen, die sie immer mitnahm, wenn sie weiterziehen mußten – Dinge, die stets bereit lagen. Sie warf auch ein paar Kräuter, Gewürze und getrocknete Lebensmittel in ihren Rucksack. Einer einfachen Truhe aus geflochtenen Zweigen entnahm sie einige weitere Kleidungsstücke, eine Bürste sowie einen kleinen Spiegel.

Sie ließ den Blick durch den Raum schweifen. Vier tote D’Haraner, dazu der eine von heute Morgen, machte insgesamt fünf. Ein Quadron, plus ein zusätzlicher Soldat. Wo mochten sich die anderen drei befinden? Draußen vor der Tür, im Dunkeln? Unter den Bäumen? Lauerten sie im finsteren Wald und warteten nur darauf, sie zu Lord Rahl zu schleppen, damit man sie zu Tode folterte?

Sebastian hielt ihre Handgelenke mit beiden Händen fest. »Jennsen, was tut Ihr da?«

Erst jetzt bemerkte sie, daß sie mit ihrem Messer ins Leere stach.

Teilnahmslos sah sie zu, wie er ihr das Messer aus der geschlossenen Hand hebelte und in die Scheide zurücksteckte. Diese schob er ihr in den Gürtel, dann nahm er ihren Umhang vom Boden auf.

»Beeilt Euch, Jennsen.«

Sebastian filzte die Taschen der Toten, nahm das Geld, das er fand, heraus und stopfte es in seine Taschen. Dann schob er die vier Messer der getöteten Soldaten seitlich in den Rucksack und schnauzte Jennsen erneut an, sich zu beeilen. Während er sich von einem der Toten das seiner Meinung nach beste Schwert aussuchte, ging Jennsen zum Tisch, griff sich einige Kerzen und stopfte sie in ihren Rucksack; sie registrierte kaum, was sie mitnahm, griff einfach, was sie sah, und packte es ein.

Sebastian nahm ihren Rucksack auf, ergriff eines ihrer Handgelenke und schob es durch den Tragegurt, als hätte er es mit einer Puppe zu tun. Dann hielt er ihr den zweiten Gurt hin, schob ihren anderen Arm hindurch und warf ihr den wollenen Umhang über die Schultern; nachdem er ihr die Kapuze über den Kopf gezogen hatte, stopfte er ihr rotes Haar seitlich darunter.

Den Rucksack ihrer Mutter in der einen Hand haltend, zog er mit der anderen zweimal kräftig an seiner Axt und löste sie so aus dem Schädel des Soldaten; Blut lief am Stiel herab, als er sie in seinen Waffengurt hakte.

»Ist das alles?«, fragte er sie auf dem Weg zur Tür.

Jennsen sah über die Schulter auf ihre am Boden liegende Mutter.

»Sie ist tot, Jennsen. Die Gütigen Seelen werden sich ihrer annehmen. Sie schaut jetzt lächelnd auf Euch herab.«

Jennsen sah zu ihm hoch. »Wirklich? Glaubt Ihr das?«

»Ja. Sie ist jetzt in einer besseren Welt.«

In einer besseren Welt! An diesen Gedanken klammerte sich Jennsen. In ihrer Welt existierte nichts als Schmerz und Kummer. Sie war immer so stolz auf ihren klar denkenden Verstand gewesen. Was war jetzt daraus geworden?

Sebastian zog sie am Arm durch den Regen zu dem bergab führenden Pfad.

»Betty«, sagte sie plötzlich und weigerte sich weiterzugehen. »Wir müssen Betty holen.«

Er betrachtete den Pfad, dann sah er hinüber zur Höhle. »Ich glaube, um die Ziege müssen wir uns keine Sorgen machen, aber ich sollte wohl meinen Rucksack und meine Sachen holen gehen.«

Jetzt erst merkte sie, daß er ohne seinen Umhang im strömenden Regen stand; er war bereits bis auf die Haut durchnäßt. Ihr schoß der Gedanke durch den Kopf, daß sie vielleicht nicht die Einzige war, die nicht klar dachte. Er hatte es so eilig fortzukommen, daß er um ein Haar seine Sachen zurückgelassen hätte. Und das wäre sein sicherer Tod gewesen. Betty würde sich als nützlich erweisen, aber plötzlich kam ihr noch ein anderer Gedanke. Jennsen lief zurück ins Haus.

Sie ignorierte Sebastians wütende Rufe. Im Haus lief sie zu einer kleinen Kommode aus Holz unmittelbar hinter der Tür und entnahm ihr zwei zusammengeschnürte Schaffellumhänge – einer gehörte ihrer Mutter, der andere ihr. Er sah ihr ungeduldig von der Tür aus zu, enthielt sich aber jeglichen Kommentars, als er sah, was sie tat. Ohne dem Tod noch einmal ins Auge zu sehen, verließ sie das Haus wieder – zum allerletzten Mal.

Zusammen liefen sie zur Höhle, wo das Feuer immer noch knisternd und knackend brannte. Betty lief aufgeregt hin und her und zitterte, ansonsten aber war sie ungewöhnlich still – als wüßte sie, daß etwas auf entsetzliche Weise nicht stimmte.

»Trocknet Euch erst mal ein wenig ab«, sagte Jennsen.

»Dafür haben wir keine Zeit!«

»Ihr werdet Euch den Tod holen, sonst nichts. Was hätte das Weglaufen dann noch für einen Sinn? Tot ist tot.« Sie war selbst überrascht, wie vernünftig ihre Worte klangen.

Jennsen zog die beiden zusammengerollten Schaffellumhänge unter ihrem Wollumhang hervor. »Sie werden helfen, uns gegen den Regen zu schützen, aber zuvor müßt Ihr erst einmal trocken werden, sonst könnt Ihr nicht genug Wärme speichern.«

Er nickte und stand fröstelnd und sich die Hände reibend am Feuer, während der Sinn ihrer Worte sich endlich gegen sein dringendes Bedürfnis, von hier zu verschwinden, durchsetzte. Sie fragte sich, wie er das alles bloß schaffte mit seinem Fieber. Aus Angst vermutlich, aus nackter, rasender Angst.

Ihr ganzer Körper schmerzte, nicht nur, weil man überaus grob mit ihr umgesprungen war, nein, jetzt sah sie auch, daß ihre Schulter blutete. Die Schnittwunde war nicht tief, aber sie pochte. Am liebsten hätte sie sich einfach hingelegt und losgeheult. Die Worte ihrer Mutter waren im Augenblick das Einzige, was sie noch auf den Beinen hielt; ohne diese letzten Anordnungen wäre Jennsen zu sinnvollem Tun nicht mehr fähig gewesen.

Während Sebastian über das Feuer gebeugt stand, band Jennsen Betty einen Strick um den Hals. Hatten sie diesen Ort erst einmal verlassen und einen wenn auch noch so einfachen Unterschlupf gefunden, würden sie in einer naßkalten Nacht wie dieser kein Feuer mehr entzünden können. Sobald sie ein trockenes Erdloch, einen Platz unter einem Felsvorsprung oder einem umgestürzten Baum gefunden hatten, würden sie sich neben die Ziege kauern, so daß Betty sie wärmen konnte und sie nicht erfrieren mußten. Jennsen sammelte sämtliche Möhren und Eicheln vorn Felssims und verstaute sie ebenfalls in ihrem Gepäck.

Als Sebastian so weit getrocknet war, wie er sich dies selber zugestehen wollte, legten sie ihre Wollumhänge an und darüber die Schaffelle. Jennsen nahm Betty an den Strick, dann brachen sie auf in das alles durchnässende Dunkel. Sebastian steuerte auf den vor dem Haus bergab führenden Pfad zu – den Weg, auf dem er hergekommen war.

Jennsen packte ihn beim Arm, so daß er gezwungen war. stehen zu bleiben. »Dort unten warten sie vielleicht schon auf uns.«

»Aber wir müssen von hier verschwinden.«

»Ich kenne einen besseren Weg. Wir haben einen Fluchtweg angelegt.«

Einen kurzen Augenblick lang starrte er sie im strömenden, eiskalten Regen an. dann folgte er ihr ohne ein weiteres Wort ins Unbekannte.