Die drei traten aus dem Haufen regloser Kadaver heraus, um sich matt und erschöpft am Ufer niederzulassen und mit hängendem Kopf zu verschnaufen.
»Seid Ihr wohlauf?«, erkundigte sich der Erste der drei, der Friedrich das Leben gerettet hatte. Die unerbittliche Heftigkeit des Kampfes war seiner Stimme noch immer anzuhören. Sein blutverschmiertes Schwert, das er nach wie vor in der Hand hielt, schimmerte matt im Sternenlicht.
Friedrich, den vor lauter Erleichterung plötzlich die Kräfte verließen, machte benommen ein paar Schritte Richtung Ufer, bis er hüfttief im Wasser des Sees vor dem Mann stand.
»Ja, und das habe ich Euch zu verdanken. Wieso habt Ihr mich einfach so ins Wasser geworfen?«
Der Mann fuhr sich mit den Fingern durch sein dichtes Haar. »Weil«, sagte er, unterbrochen von schwerem Keuchen, das nicht allein von seiner Erschöpfung, sondern auch von seinem Zorn herrührte, »Herzhunde das Wasser scheuen. Dort wart Ihr am sichersten aufgehoben .«
Friedrich schluckte, während sein Blick über die dunklen Haufen der Hundekadaver wanderte. »Ich weiß gar nicht, wie ich Euch danken soll. Ihr habt mir das Leben gerettet.«
»Nun«, erwiderte der Mann, »zufällig sind Herzhunde mir überaus zuwider. Sie haben mich schon mehr als einmal vor Angst fast um den Verstand gebracht.«
Friedrich traute sich nicht nachzufragen, wo der Mann diese furchterregenden Bestien vorher schon gesehen hatte.
»Wir waren ein ganzes Stück hinter Euch auf dem Pfad, als wir sie aus dem Wald hervorbrechen und Euch angreifen sahen.« Das war die Stimme einer Frau. Friedrich starrte die in der Mitte sitzende Gestalt an, die gesprochen hatte, während sie verschnaufte. Er konnte gerade eben ihr langes Haar erkennen. »Wir hatten Angst Euch nicht mehr rechtzeitig zu erreichen, als die Herzhunde über Euch herfielen«, fügte sie hinzu.
»Aber... was sind Herzhunde?«
Die drei Gestalten starrten ihn verwundert an.
»Viel wichtiger ist die Frage«, meinte der erste Mann in ruhigem, wohlüberlegtem und doch Achtung gebietendem Ton, »wieso die Herzhunde überhaupt hier sind. Habt Ihr eine Idee, weshalb sie es auf Euch abgesehen haben könnten?«
»Nein, Sir. Ich habe solche Wesen noch nie zuvor gesehen.«
»Es ist schon eine ganze Weile her, seit ich das letzte Mal Herzhunde gesehen habe«, meinte der Mann mit einem Unterton von Besorgnis in der Stimme. Friedrich hatte fast das Gefühl, daß er noch mehr über die Hunde sagen wollte, statt dessen aber fragte er, »Wie lautet Euer Name?«
»Friedrich Gilder, Sir. Und Euch – Euch allen – gebührt mein unendlicher Dank. So viel Angst hatte ich nicht mehr seit – ach, ich weiß nicht mehr, seit wann.« Er betrachtete die drei auf ihn gerichteten Gesichter, doch war es zu dunkel, um ihre Züge deutlich zu erkennen.
Der erste Mann legte der in der Mitte sitzenden Frau einen Arm um die Schultern und erkundigte sich mit leiser Stimme, ob sie wohlauf sei. Diese Geste verriet echte Sorge und innige Vertrautheit, wie Friedrich sofort sah. Als er an ihr vorbeilangte und auf die Schulter an ihrer anderen Seite tippte, antwortete auch die dritte Gestalt mit einem Nicken.
Es war absolut unwahrscheinlich, daß die drei Soldaten der Imperialen Ordnung waren. Trotzdem, in einem so fremden Land mußte man jederzeit auch noch mit anderen Gefahren rechnen. Friedrich riskierte es.
»Dürfte ich vielleicht Euren Namen erfahren, Sir?«
»Richard.«
Friedrich trat vorsichtig einen Schritt naher, doch der Blick, den die dritte schweigende Gestalt ihm daraufhin zuwarf machte ihm Angst, sich diesem Richard und der Frau weiter zu nähern.
Richard zog seine Klinge durch das Wasser, um sie abzuwaschen, dann stand er auf. Nachdem er beide Klingenseiten an seinem Hosenbein trockengewischt hatte, ließ er das Schwert in die Scheide an seiner Hüfte gleiten. Im dämmrigen Licht konnte Friedrich sehen, daß die edel glänzende, aus Silber und Gold gearbeitete Scheide mit einem über seiner Schulter hängenden Waffengurt befestigt war. Friedrich war ziemlich sicher, daß ihm sowohl Waffengurt als auch Scheide bekannt vorkamen. Er hatte sich fast sein ganzes Leben mit Schnitzarbeiten beschäftigt und erkannte eine gewisse mühelose Eleganz im Umgang mit der Klinge sofort – ganz gleich, um welche Art von Klinge es sich handelte. Die meisterliche Beherrschung geschliffenen Stahls erforderte Geschick und Kontrolle, und wenn dieser Richard ihn in Händen hielt, schien er wahrhaftig in seinem Element zu sein. Friedrich erinnerte sich genau an das Schwert, das der Mann an diesem Tag trug, und er begann sich zu fragen, ob es sich tatsächlich um dieselbe, ungewöhnliche Waffe handeln konnte.
Richard stieß mit dem Fuß gegen herumliegende Teile der Herzhunde; offenbar suchte er etwas. Als er sich bückte und einen abgetrennten Herzhundkopf aufhob, sah Friedrich, daß die Bestie einen Gegenstand mit ihren Zähnen festhielt. Richard zerrte daran, doch die Reißzähne hatten ihn durchbohrt. Als er ihn mit ruckelnden Bewegungen von den Reißzähnen befreite und ihn aus der Hundeschnauze löste, sah Friedrich mit großen Augen, daß es sich um das Buch handelte.
»Bitte«, sagte Friedrich, die Hand danach ausstreckend. »Ist es ... ist es unbeschädigt?«
Richard schleuderte den schweren Hundekopf zur Seite, wo er mit einem dumpfen Geräusch landete und zwischen die Bäume rollte, und besah sich das Buch im düsteren Licht genauer. Er ließ die Hand sinken und sah hinüber zu Friedrich, der noch immer bis zur Hüfte im Wasser stand.
»Ich denke, es wäre besser, wenn Ihr uns jetzt wissen laßt, wer Ihr seid und was Ihr hier verloren habt«, sagte Richard. Der unfreundliche Unterton in Richards Stimme ließ die Frau aufhorchen.
Friedrich räusperte sich und unterdrückte sein ungutes Gefühl. »Wie ich bereits sagte, lautet mein Name Friedrich Gilder.« Dann setzte er alles auf eine Karte. »Ich suche einen Mann, der mit einem sehr alten Bekannten von mir namens Nathan verwandt ist.«
Richard blickte ihn eine Weile unverwandt an. »Nathan. Ein großer, hoch gewachsener Mann mit langem weißem Haar, das ihm bis auf die Schultern reicht? Hat eine ziemlich hohe Meinung von sich selbst?« Aus seinem Tonfall sprach nicht bloß Überraschtheit, sondern auch eine Spur Argwohn. »Nathan, das Unheil in Person?«
Die letzte Bemerkung ließ Friedrich schmunzeln, und zwar aus Erleichterung. Seine Bande hatten ihm gute Dienste geleistet. Er verbeugte sich, so gut dies möglich war, wenn man bis zur Hüfte im Wasser stand.
»Führe uns, Meister Rahl, lehre uns, Meister Rahl. In deinem Licht werden wir gedeihen. Deine Gnade gebe uns Schutz. Deine Weisheit beschämt uns. Wir leben nur, um zu dienen. Unser Leben gehört dir.«
Lord Rahl sah zu, wie Friedrich sich schließlich wieder aufrichtete, und reichte ihm die Hand. »Kommt aus dem Wasser, Meister Gilder«, meinte er freundlich.
Friedrich war ein wenig verblüfft, von Lord Rahl persönlich eine helfende Hand gereicht zu bekommen, wußte aber nicht, wie er die Geste, die auch als Befehl aufgefaßt werden konnte, ausschlagen sollte. Also ergriff er sie und ließ sich aus dem Wasser ziehen. Gleich darauf ging Friedrich hinunter auf ein Knie und verbeugte sich. »Lord Rahl, mein Leben gehört Euch.«
»Ich danke Euch, Meister Gilder. Eure Geste ehrt mich, und ich weiß Eure Aufrichtigkeit zu schätzen, aber Euer Leben gehört Euch allein und sonst niemandem. Und das schließt auch mich ein.«
Friedrich sah verwundert auf. Etwas so Bemerkenswertes, so Unvorstellbares hatte er noch niemanden sagen hören, und am allerwenigsten einen Lord Rahl. »Bitte, Sir, würdet Ihr mich Friedrich nennen?«
Lord Rahl lachte; es war das unbeschwerteste und freundlichste Lachen, das Friedrich je gehört hatte.
»Wenn Ihr mich Richard nennt.«
»Ich bitte um Verzeihung, Lord Rahl, aber ... ich fürchte, dazu werde ich mich einfach nicht überwinden können. Ich habe mein ganzes Leben immer nur einen Lord Rahl gekannt und bin zu alt, das jetzt noch zu ändern.«