»Großartig«, murmelte Richard, dem der Titel offenbar in unguter Erinnerung war. »Also schön, sehen wir zu, daß wir ein sicheres Plätzchen finden und dort unser Lager aufschlagen. Ich möchte nicht, daß die Herzhunde uns im Dunkeln unter freiem Himmel überraschen. Wir werden ein kleines Feuer machen; vielleicht kann ich herausfinden, ob das Buch uns etwas Nützliches mitzuteilen hat.«
»Dann sind Euch diese Säulen der Schöpfung bekannt?«, fragte Friedrich, den dreien hinterhergehend, die bereits wieder losmarschiert waren.
»Allerdings«, meinte Richard über die Schulter; seine Stimme klang besorgt. »Ich habe schon von ihnen gehört. Nathan stammt aus der Alten Welt, ich nehme also an, daß er sie ebenfalls kennt.«
Friedrich kratzte sich verwirrt am Kinn, als sie eine kleine Anhöhe auf dem Pfad erreichten. »Was haben die Säulen der Schöpfung mit der Alten Welt zu tun?«
»Diese Säulen der Schöpfung befinden sich inmitten einer menschenleeren Ödnis.« Richard wies nach vorne, Richtung Süden. »Sie befindet sich gar nicht mal so weit von hier, ungefähr in dieser Richtung. Wir sind vor kurzem daran vorbeigekommen, denn wir waren gezwungen, sie ganz am äußersten Rand zu durchqueren, weil uns ein paar ziemlich unangenehme Leute auf den Fersen waren.«
»Jetzt bleichen ihre verdammten Knochen dort in der Sonne«, warf Cara mit unverhohlener Freude ein.
»Leider«, fuhr Richard fort, »sind dabei auch unsere Pferde draufgegangen, deswegen sind wir zu Fuß unterwegs. Aber wenigstens sind wir mit dem Leben davongekommen.«
»Eine Ödnis ... aber Lord Rahl, nach Aussage meiner Frau handelt es sich dabei auch um ...«
Friedrich unterbrach sich, als ein neben dem Pfad liegender Gegenstand seine Aufmerksamkeit erregte. Selbst in dem dämmrigen Licht ließen ihn die gespenstisch vertrauten dunklen Umrisse, die sich gegen die helle Farbe des staubigen Pfades abzeichneten, jäh stehen bleiben.
Er ging in die Hocke, um ihn mit den Fingern zu berühren. Zu seiner Überraschung fühlte er sich genau so an, wie er vermutet hatte. Als er ihn aufhob, war er vollends sicher. Es wies dieselbe gewellte, mit einer Zugschnur zu verschließende Öffnung auf, dieselbe Kerbe im weichen Leder, wo ihm in der Eile ein scharfer Holzmeißel abgerutscht war.
»Was ist?«, fragte Richard argwöhnisch und ließ den Blick suchend über die in nahezu vollkommener Dunkelheit daliegende Landschaft schweifen. »Warum habt Ihr angehalten?«
»Habt Ihr etwas gefunden?«, fragte Kahlan. »Als ich an der Stelle vorbeikam, ist mir nichts aufgefallen.«
»Mir auch nicht«, bestätigte Richard.
Friedrich schluckte, als er ihnen den Lederbeutel zeigte. Er schien Münzen zu enthalten, und dem Gewicht nach waren sie aus Gold.
»Der gehört mir«, meinte Friedrich leise, völlig baff vor Staunen. »Wie ist es möglich, daß er hier liegt?«
Er konnte schlecht behaupten, daß das Gold ihm gehörte, obwohl es durchaus möglich war, den Beutel selbst aber hatte er jahrzehntelang beinahe jeden Tag in der Hand gehabt. Er hatte eines seiner Werkzeuge darin aufbewahrt – einen kleinen Hohlmeißel, den er oft benutzte.
»Ja, wie mag er nur hierher gekommen sein?«, meinte Cara, während sie den Blick suchend über das umliegende Gelände schweifen ließ. Sie hielt ihren Strafer fest mit der Faust umklammert.
Friedrich erhob sich wieder, den Blick noch immer verwundert auf seinen Werkzeugbeutel gerichtet. »Ich glaube, er wurde von dem Mann gestohlen, der auch für den Tod meiner Frau verantwortlich ist.«
56
Also, wenn das kein Ding war.
Oba konnte kaum glauben, daß er seinen Geldbeutel verloren hatte; dabei war er doch immer so vorsichtig. Er blies verärgert die Wangen auf. Wenn es nicht das eine war, dann war es etwas anderes. Entweder war es ein durchtriebener, kleiner Taschendieb oder ein diebisches Weibsstück, und stets waren sie hinter seinem Geld her. War das eigentlich alles, was diese kleinkarierten Leute interessierte? Geld? Nach dem ganzen Ärger, nach all dem habgierigen, hinterhältigen Pack, das es auf sein schwer verdientes Vermögen abgesehen hatte, hatte Oba gelernt, daß ein Mann von seinem Rang gar nicht vorsichtig genug sein konnte. Er wollte es einfach nicht glauben, daß er es diesmal sich selber zuzuschreiben hatte.
Er spähte zwischen den Bäumen hindurch und beobachtete die rührende Szene. Sein Bruder Richard und seine teure Gattin wandten sich soeben dem Mann zu, der die Geldbörse – Obas bis zum Rand mit seinem Geld gefüllte Börse – gefunden hatte.
»Ich glaube, er wurde von dem Mann gestohlen, der auch für den Tod meiner Frau verantwortlich ist«, hörte Oba den Mann sich ereifern.
Oba klappte der Unterkiefer herunter. Es war der Ehemann dieser Sumpfhexe – dieser hassenswerten, eigensüchtigen Hexenmeisterin, die sich geweigert hatte, ihm seine Fragen zu beantworten. Er war nicht so dumm, einen wunderlichen Zufall dahinter zu vermuten, nein, so dumm war er nicht.
»Rührt ihn nicht an!«, riefen Richard Rahl und die Mutter Konfessor wie aus einem Mund.
»Lauft!«, schrie die zweite Frau.
Oba sah sie wie aufgescheuchte Rehe die Flucht ergreifen. Er merkte, daß die Stimme etwas im Schilde führte. Daß sie Dinge, die Menschen gehörten, dafür benutzte, bis zu ihnen durchzudringen, war ihm bekannt. Oba sah nach rechts und links, hinüber zu den leuchtenden gelben Augen, die mit ihm zusammen das Geschehen verfolgten, und feixte.
Die Luft erzitterte, so als wäre genau dort, wo der Geldbeutel auf den Boden gefallen war ein Blitz eingeschlagen. Winselnd wichen die Hunde ein Stück zurück. Oba stopfte sich die Finger in die Ohren und beobachtete aus halb zusammengekniffenen Augen, wie die violette Schockwelle sich kreisförmig ausbreitete – genau wie die Ringe auf einem Teich, nachdem er ein totes Tier hineingeworfen hatte.
Schneller als gedanklich faßbar wurden die vier vor ihm zu Boden geschleudert, als der violette Ring aus Licht sich mit rasender Geschwindigkeit ausbreitete, so schnell, daß er ihm nicht mit dem Blick zu folgen vermochte. Obas Haare wurden ihm aus dem Gesicht geweht, als der wogende Ring über ihn hinwegfegte und eine Fläche aus stillem, wattigem, gespenstisch violettem Rauch hinter sich zurückließ.
Obas Verdacht hatte sich als richtig erwiesen, Die Stimme plante etwas ganz Großes. Entzückt überlegte er, was das wohl sein mochte.
Stille hatte sich über die Szene gesenkt, trotzdem setzte Oba seine Beobachtung noch eine Weile fort, um ganz sicher zu sein, daß die vier nicht wieder aufstanden. Erst als er sicher war, daß er nichts zu befürchten hatte, richtete er sich in seinem versteckten Beobachtungsposten auf, wo die Stimme ihm zu warten aufgetragen hatte.
Jetzt drängte ihn die Stimme, weiterzumachen. Die Hunde blieben ein gutes Stück weiter hinten zurück und sahen zu, wie Oba mit schnellen Schritten über den rauchbedeckten Boden huschte. So seltsamen Rauch hatte er noch nie gesehen – das Eigenartigste an ihm, trotz seiner matt leuchtenden, bläulichvioletten Farbe, war, daß er beim Hindurchlaufen nicht aufgewirbelt wurde. Obas Beine gingen durch den regungslosen Rauch hindurch, ohne ihn in Bewegung zu versetzen, so als gehörte er einer ganz anderen Welt an, während Oba sich an derselben Stelle in dieser Welt bewegte.
Die vier lagen der Länge nach auf der Erde, genau dort, wo sie hingeschlagen waren. Auf sichere Distanz bedacht, schob Oba vorsichtig den Oberkörper vor und sah, daß sie noch atmeten, wenn auch langsam. Ihre Augen waren nicht geschlossen. Er fragte sich, ob sie ihn wohl sehen konnten, auch wenn keiner der vier auf das Schwenken seiner Arme reagierte.
Oba beugte sich über Richard Rahl und betrachtete sein regungsloses Gesicht. Dann wedelte er mit der Hand unmittelbar vor seinen blicklos starrenden Augen hin und her. Keine Reaktion.
Im Sternenlicht war es nur schwer zu erkennen, trotzdem war Oba sicher, in seinen Augen eine Spur der faszinierenden Familienähnlichkeit ausmachen zu können. Es hatte etwas Unheimliches, einen Mann vor sich zu sehen, dessen Äußeres eine gewisse Ähnlichkeit mit einem selbst aufwies. Oba kam allerdings eher nach seiner Mutter. Das war wieder einmal typisch für sie, dieser Wunsch, daß er eher ihr als seinem Vater ähneln sollte. Die Frau war absolut ichbezogen. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit hatte sie versucht, ihm seine Stellung vorzuenthalten, sogar was sein Aussehen anbetraf. Dieses eigensüchtige Miststück.