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Plötzlich loderte ein kolossaler Schmerz in Obas Schädel auf, daß ihm erneut Hören und Sehen verging. Er preßte seine Hände auf die Ohren, bis er abklang – und nachdem er eingewilligt hatte.

Die Stimme hatte Recht; natürlich hatte sie Recht, wie er jetzt sofort einsah. Oba würde die ihm zustehende Stellung erst nach Richard Rahls Tod einnehmen können. Das klang vernünftig. Es wäre zweifellos das Beste, jeden Fehler zu vermeiden. Genau genommen wäre es nicht einmal rechtens, wenn er diesen Frauen Lust verschaffte, bevor er getan hatte, was getan werden mußte. Wo war er nur mit seinen Gedanken? Sie hatten ihn überhaupt noch nicht verdient, erst einmal mußten sie ihn als den bedeutenden Mann kennenlernen, der er in Kürze werden würde, und dann mußten sie um seine Gunst betteln. Erst dann hätten sie ihn überhaupt verdient.

Er mußte sich beeilen; die Stimme hatte gesagt, daß sie bald aufwachen und Lord Rahl in Kürze einen Weg finden würde, den Schlafbann zu brechen.

Oba zog sein Messer und krabbelte auf allen vieren hinüber zu seinem Bruder. Lord Rahl starrte noch immer blicklos und stumm in den Sternenhimmel.

»Na – wer ist jetzt der große Einfaltspinsel?«, fragte er seinen Bruder.

Lord Rahl wußte nichts darauf zu erwidern. Oba setzte Richard das Messer an die Kehle, aber die Stimme riet ihm dringend, davon abzulassen, und füllte seine Gedanken statt dessen ganz mit dem, was er tun mußte. Er durfte jetzt keinen Fehler machen, und er mußte sich beeilen. Für so etwas Gewöhnliches wie Rache war jetzt keine Zeit. Es gab viel bessere Mittel und Wege, diese Dinge zu erledigen – Mittel und Wege, die eine gerechte Strafe waren für all die vielen Jahre, die er Oba seine rechtmäßige Stellung vorenthalten hatte. Ja, genau das brauchte Richard Rahl jetzt, eine gerechte Strafe.

Oba steckte das Messer wieder weg und lief so schnell ihn seine Beine trugen, zurück zu dem nahen Hügel. Als er mit seinem Pferd wiederkam, lagen die vier noch immer in dem bläulichen Nebel und starrten blicklos hinauf zu den Sternen.

Oba tat, was die Stimme ihm befohlen hatte, und nahm die Mutter Konfessor auf seine Arme. Sie war ihm versprochen, und er würde sie nehmen, sobald die Stimme ihrer nicht mehr bedurfte. Oba hatte es nicht eilig. Die Stimme hatte ihm Wonnen versprochen, die sich Oba von allein niemals hätte träumen lassen. Es würde eine überaus einträgliche Beziehung werden. Für das bißchen Arbeit, das dafür vonnöten war, und die kleine Verzögerung würde Oba alles bekommen, was ihm von Rechts wegen zustand, die Herrschaft über D’Hara sowie die Frau, die seine Königin werden würde.

Königin. Der Gedanke brachte ihn ins Grübeln, während er ihren leblosen Körper hinter dem Sattel auf das Pferd hievte. Wenn sie eine Königin war, müßte er zwangsläufig König sein, was vermutlich besser wäre als »Lord« Rahl. König Oba Rahl. Ja, das klang sehr viel angemessener. Er zurrte sie mit raschen Bewegungen fest.

Vor dem Aufsitzen warf Oba rasch noch einen Blick auf seinen Bruder. Er durfte ihn nicht töten, noch nicht. Die Stimme hatte etwas ganz Bestimmtes vor. Und wenn Oba eines immer gewesen war, dann entgegenkommend; er würde tun, was die Stimme von ihm verlangte. Als er seinen Fuß in den Steigbügel setzte, machte sich die Stimme ganz sanft bemerkbar. Er drehte sich um.

Und überlegte ...

Mit vorsichtigen Bewegungen ging er noch einmal zurück zu Richard. Behutsam streckte er die Hand vor und berührte versuchsweise das Schwert. Die Stimme murmelte aufmunternd. Ein König sollte ein angemessenes Schwert besitzen. Oba grinste, für seine Schufterei hatte er eine kleine Belohnung verdient.

Er streifte Richard den Waffengurt über den Kopf und hielt sich die Scheide ganz dicht vors Gesicht, um sein glänzendes neues Schwert in Augenschein zu nehmen. In das drahtumwickelte Heft war auf beiden Seiten ein Wort eingewirkt.

WAHRHEIT.

Na, wenn das keine Überraschung war.

Er zog den Waffengurt über seinen Kopf und rückte die Scheide an seiner Hüfte zurecht, dann gab er seiner neuen Gemahlin einen Klaps aufs Hinterteil und saß auf. Im Sattel sitzend, grinste Oba hinaus in die Nacht, schließlich ließ er sein Pferd im Kreis herumschwenken, bis ihm die Stimme die Richtung wies.

Fort, nur fort, bevor Lord Rahl aufwachte. Fort, nur fort, bevor er gefaßt werden konnte. Rasch, nichts wie fort mit seiner neuen Braut.

Oba bohrte seinem Pferd die Fersen in die Rippen, und schon stürmten sie davon. Die Hunde, getreue Begleiter des neuen Königs, kamen aus dem Wald gesprungen.

57

Jennsen stand draußen vor den gedrungenen, aus sonnengetrockneten Ziegeln errichteten Gebäuden und ließ den Blick gelangweilt über die trostlose, unter einem gnadenlos blauen Himmel brütende Landschaft wandern. Die Felsen, die scheinbar endlose Weite aus ebenem, verkrustetem Boden sowie der schroffe Gebirgszug, von dem aus die Landschaft jäh in das Tal in der Ferne zu ihrer Linken abfiel, all das wies Spielarten des gleichen rötlichgrauen Farbtons auf wie die spärliche Ansammlung rechteckiger, sich ganz in der Nähe aneinander drängender Gebäude.

Die knochentrockene heiße Luft erinnerte sie an das Gefühl, über ein offenes Feuer gebeugt einzuatmen. Die Felsen und Gebäude ringsum verströmten eine sengende Hitze; der Boden unter ihren Füßen war so glühend heiß, als befände sich ein Schmelzofen darunter. Jeder Versuch, einen in der unbarmherzigen Sonne dörrenden Gegenstand anzufassen, wurde zu einem schmerzhaften Erlebnis. Selbst das Heft ihres Messers im Schatten ihres Körpers, war so warm, als wäre es von einem Fieber ergriffen.

Jennsen lehnte sich erschöpft mit einer Hüfte gegen eine niedrige Mauer. Als Rusty ihr daraufhin leise wiehernd den Kopf hinhielt, tätschelte sie erst Rustys Hals, liebkoste dann ihr Ohr. Wenigstens näherte sie sich jetzt dem Ende ihrer Reise. Ihr war, als hätte sie längst völlig aus dem Blickfeld verloren, wie damals alles angefangen hatte, an jenem lange zurückliegenden Tag, als sie den toten Soldaten auf dem Grund der Schlucht gefunden hatte und Sebastian zufällig des Weges gekommen war.

An jenem Tag hatte sie nicht einmal entfernt ahnen können, welch lange und qualvolle Reise das Schicksal ihr bescheren würde. Sie erkannte sich selbst kaum noch wieder. Damals hätte sie sich nicht träumen lassen, wie sehr ihr Leben und sie selbst sich verändern würden.

Sebastian, Pete hinter sich im Schlepptau, streckte seine Hand vor und faßte sie beim Arm. »Alles in Ordnung, Jenn?« Pete rieb seine Schnauze an Rustys Flanke, als wollte er der Stute dieselbe Frage stellen.

»Ja«, antwortete Jennsen. Sie lächelte ihn an, dann wies sie auf die Traube schwarz gewandeter Männer in der Türöffnung eines nahen Gebäudes. »Schon Erfolg gehabt?«

»Er erkundigt sich gerade bei den anderen.« Sebastian seufzte leicht genervt. »Ein merkwürdiges Volk, diese Leute.«

Obwohl sie der Alten Welt angehörten und unter das Herrschaftsgebiet der Imperialen Ordnung fielen, bildeten die Händler, die durch dieses endlose, menschenleere Land zogen und dabei gelegentlich die verlassenen Handelsstationen aufsuchten, wo Sebastian auf sie gestoßen war, eine völlig in sich geschlossene Gemeinschaft. Offenbar waren sie nicht zahlreich genug, als daß man sich ihretwegen hätte Sorgen machen müssen, daher ließ die Imperiale Ordnung sie weitgehend unbehelligt.

Sebastian lehnte sich neben ihr gegen die Mauer und blickte hinaus in die lautlose Ödnis. Die lange Rückreise in seine Heimat der Alten Welt hatte ihn ebenfalls erschöpft, aber wenigstens war er jetzt wieder gesund, wie Schwester Perdita es versprochen hatte.

Die Reise selbst war allerdings völlig anders verlaufen als von Jennsen angenommen. Sie hatte sich vorgestellt, sie und Sebastian würden wieder allein unterwegs sein, so wie zuvor, während ihres Ritts zur Armee der Imperialen Ordnung. Statt dessen jedoch erstreckte sich eine eintausend Mann starke Kolonne aus Soldaten der Imperialen Ordnung hinter ihrem Rücken – eine kleine Eskorte, hatte Sebastian sie genannt. Auf ihre Erklärung, allein reiten zu wollen, hatte er erwidert, es gebe wichtigere Erwägungen.