Sebastian wischte sich den Schweiß von der Stirn und warf seinen schweren Rucksack seitlich auf den Boden, er kippte um und ein Teil des Inhalts fiel heraus. Genervt machte er Anstalten, die Sachen wieder einzusammeln, doch Jennsen kam ihm zuvor.
»Darum kümmere ich mich«, raunte sie ihm zu und forderte ihn mit einer Handbewegung auf, die Befragung des Händlers fortzusetzen.
Sebastian lehnte sich gegen den schweren, steinalt aussehenden Plankentisch und verschränkte die Arme. »Also, hatten Eure Leute nun Gelegenheit, mit diesen zwei Personen zu sprechen, oder nicht?«
»Nein, Sir. Dafür waren die Männer nicht nahe genug; sie standen am Oberrand des Tales und sahen das Pferd unten vorübertraben.«
Jennsen hob ein Stück Kernseife auf und stopfte es zurück in den Rucksack. Dann klappte sie das Rasiermesser zusammen und legte es ebenfalls wieder hinein, zusammen mit einem Ersatz-Wasserschlauch, der ebenfalls herausgefallen war. Sie sammelte lauter Kleinigkeiten zusammen, einen Feuerstein, in ein Tuch gewickelte Trockenfleischstreifen, einen Schleifstein. Eine kleine Blechdose, die sie vorher noch nie gesehen hatte, war aus dem Rucksack unter ein niedriges Regal gekullert.
»Wie sahen diese beiden Leute zu Pferd denn überhaupt aus?«, fragte Sebastian, mit einem Finger auf den Tisch trommelnd.
Während sie mit der Hand unter das Regal langte, lauschte Jennsen gespannt, ob es vielleicht Richard Rahl gewesen sein könnte. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, wer sonst in Frage kommen sollte.
»Es waren ein Mann und eine Frau. Aber die beiden saßen auf nur einem Pferd.«
Das fand Jennsen seltsam; davon abgesehen schien es jedoch ihre Erwartung, daß es Lord Rahl und seine Gemahlin waren, genau zu bestätigen; merkwürdig war nur, daß sie zu zweit auf einem Pferd saßen.
»Die Frau, sie ...« Der Mann verzog das Gesicht, offenbar war ihm das, was er jetzt sagen mußte, unangenehm. »Sie saß nicht aufrecht, sondern lag« – er tat, als legte er mit seinen Händen etwas über einen Pferderücken – »quer über dem Rücken des Pferdes. Sie war gefesselt.«
Als Jennsen die Blechdose vor Überraschung mit einer ruckartigen Bewegung hervorziehen wollte, verhakte sich der Deckel in einer Kerbe des Holzregals und löste sich mit einem leisen Knall. Der Inhalt verteilte sich vor ihr über den Boden.
»Wie sah der Mann aus?«, fragte Sebastian.
Ein kurzes, mit Zwirn umwickeltes und mit Angelhaken befestigtes Holzstück war aus der Blechdose gefallen. Jennsen starrte auf das dunkle Häuflein Bergfieberrosen, die unmittelbar nach der Angelschnur herausgerieselt waren.
»Der Mann war kräftig und ziemlich jung. Es hatte ein prachtvolles Schwert bei sich, berichten meine Leute, dessen blinkende Scheide mit einem Waffengurt über seiner Schulter befestigt war.«
»Das klingt ganz nach Lord Rahl«, meinte Schwester Perdita von der Tür her. Jennsen erschrak.
»Auch andere Männer tragen ihr Schwert in einem Waffengurt«, gab Sebastian zu bedenken.
Obwohl sie sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, weshalb er seine Gemahlin quer über sein Pferd binden sollte, berauschte die Vorstellung, daß Lord Rahl gesehen worden war, Jennsen so sehr, daß sie die getrockneten Bergfieberrosen mit zitternden Fingern aufklaubte und sie, gefolgt von der Angelschnur, zurück in die Blechdose stopfte. Sie drückte den Deckel darauf und verstaute die Dose zusammen mit den übrigen Utensilien wieder im Rucksack.
»Kommt«, rief die Schwester. »Wir müssen sofort hinunter ins Tal.«
Plötzlich hörte man von draußen, auf der anderen Seite der Gebäude, das aufgeregte Stimmengewirr der Händler. Jennsen riskierte einen Blick um die Hausecke und sah sie aufgeregt in die ebene, von der Sonne verdorrte Landschaft zeigen.
»Was gibt’s denn?«, fragte Sebastian, als er dem Mann zur Tür hinaus folgte.
»Es kommt jemand«, antwortete der.
»Wer könnte das sein?«, raunte Jennsen Sebastian zu, als dieser neben sie trat.
»Ich weiß es nicht. Gut möglich, daß es nur ein weiterer Händler ist, der diese Handelsstation besuchen will.«
Der drahtige, kleine Mann verbeugte sich, er hatte alle Fragen beantwortet und wollte sich verabschieden, um sich zu seinen Leuten zu gesellen, die eng zusammengedrängt im Schatten eines der anderen Gebäude kauerten. Sebastian bat ihn zu warten, während er noch einmal ins Haus zurückging und ein schwarzes Bündel aus dem Regal zog.
»Wir sollten zusehen, daß wir Schwester Perdita einholen«, meinte er, als er die Frau hinter der Stelle verschwinden sah, wo der Pfad in die flirrende Landschaft der Säulen der Schöpfung hinabzuführen begann. »Sie wird dich vor Richard Rahls Magie beschützen und dir bei dem, was du tun mußt, helfen.«
Jennsen wollte einwenden, daß sie Schwester Perditas Schutz nicht brauche; die Magie des Lord Rahl könne ihr ohnehin nichts anhaben, aber dies war kaum der rechte Augenblick, mit ihm über das Thema zu diskutieren und ihm alles zu erklären. Irgendwie schien nie der rechte Augenblick dafür zu sein. In Wahrheit spielte es sowieso keine Rolle, was Sebastian von ihren Möglichkeiten hielt, ganz nah an Richard Rahl heranzukommen, was zählte, war allein, daß sie es schaffte.
Die beiden standen nebeneinander in der sengenden Sonne und beobachteten den winzigen Punkt über der endlosen Landschaft. Eine Staubwolke stand hinter dem einsamen Reiter in der Luft. Ihre Eskorte aus eintausend Mann sah nervös nach ihren Waffen.
»Ist das einer von Euren Leuten?«, wandte sich Sebastian an den Anführer der schwarz gewandeten Händler.
»Die Landschaft hier spielt den Augen so manchen Streich«, antwortete er. »Er ist noch sehr weit entfernt; daß er näher scheint, liegt allein an der Hitze. Es wird noch eine Weile dauern, bis der Reiter bei uns eintrifft und wir sagen können, wer er ist.« Er lächelte Jennsen an und gestikulierte aufmunternd. »Ihr müßt den Burnus überziehen, dann seid Ihr vor der Sonne geschützt.«
Statt sich auf eine Diskussion einzulassen, warf Jennsen sich das gazeähnliche umhangartige Kleidungsstück um die Schultern, wickelte sich den langen Schal um Kopf und Stirn, wie sie es bei den Männern beobachtet hatte, zog ihn über Mund und Nase und stopfte das lose Ende an der Seite hinein. Sie war überrascht, mit welcher Plötzlichkeit der schwarze Stoff die glühende Hitze der Sonne linderte. Es war eine ungeheure Erleichterung, fast so, als stünde man im Schatten.
Die Augen des Mannes lächelten, als er ihren Gesichtsausdruck sah. »Gut, ja?«, fragte er hinter seiner dünnen schwarzen Maske.
Immer noch damit beschäftigt, den schwarzen Schal um seinen Kopf zu wickeln, wandte der Mann sich danach an Sebastian, »Ich habe Euch, so gut es ging, Auskunft gegeben; mehr wissen wir nicht. Meine Männer und ich werden jetzt fortgehen.«
Bevor Sebastian etwas erwidern konnte, lief der Mann bereits mit eiligen Schritten über den ausgedörrten Boden hinüber zu der dunklen Traube von Männern, die bei ihren staubigen Maultieren warteten. Dann brachen sie auf, zogen ihre Maultiere an Führungsleinen hinter sich her; offensichtlich hatten sie es eilig, die Soldaten hinter sich zurückzulassen.
Sie nahmen Kurs Richtung Süden, fort von dem nahenden Reiter.
»Wenn es einer von ihren Leuten sein könnte«, meinte Sebastian, »wieso brechen sie dann auf?«
Er blickte ungeduldig zu dem schmalen Pfad hinüber, auf dem Schwester Perdita verschwunden war, dann gab er der wartenden, immer noch auf ihren Pferden sitzenden Truppenkolonne ein Zeichen. Die finster aussehende Streitmacht setzte sich, eine träge Staubwolke aufwirbelnd, in Bewegung.
»Wir müssen dort hinunter«, erklärte Sebastian, mit einer Handbewegung auf das Tal deutend, in dem die Säulen der Schöpfung standen. »Ihr wartet hier oben, bis wir wieder zu rück sind.«