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Oba Schalk packte das Huhn im Genick und hob es aus dem Nistkasten. In seiner fleischigen Hand wirkte der Kopf des Tieres winzig. Mit der anderen Hand fischte er ein noch warmes, braunes Ei aus der Mulde im Stroh und legte es vorsichtig zu den anderen in den Korb.

Oba setzte das Huhn jedoch anschließend nicht wieder zurück, sondern hielt es näher vor sein Gesicht und beobachtete, wie es den Kopf von einer Seite zur anderen drehte, den Schnabel öffnete und schloß, immer wieder. Er führte seine Lippen ganz nah heran, bis sie den Schnabel berührten, dann blies er, so fest er konnte, in den geöffneten Schlund des Huhns.

Das Huhn kreischte und versuchte, sich aus dem schraubstockartigen Griff zu befreien, wobei es wie von Sinnen mit den Flügeln schlug. Aus Obas Kehle drang ein tiefes Lachen.

»Oba! Wo steckst du, Oba?«

Als er das Gezeter seiner Mutter hörte, ließ Oba das Huhn wieder in sein Nest zurückplumpsen. Die Stimme seiner Mutter war aus der nahen Scheune gekommen. Noch immer aufgeregt gackernd, floh das Huhn aus dem Hühnerstall; Oba folgte ihm durch den Hühnerhof, dann schlenderte er hinüber zum Scheunentor.

In der Vorwoche hatte es einen der im Winter seltenen anhaltenden Regenfälle gegeben, am Tag darauf war das stehende Wasser hart gefroren, und der Regen war in Schnee übergegangen. Das Eis lag jetzt unter dem vorn Wind verwehten Schnee verborgen, was einen überaus tückischen Untergrund ergab.

Für einen Menschen war es wichtig, nicht zuzulassen, daß er geistig und körperlich träge wurde. Oba war überzeugt, daß es wichtig war, stets Neues hinzuzulernen. Er war von der Wichtigkeit inneren Wachstums überzeugt und fand es unerläßlich, daß man das Gelernte auch anwendete. Auf diese Weise entwickelte man sich weiter.

Scheune und Wohnhaus waren in einem einzigen kleinen, aus Lehm und Flechtwerk errichteten Gebäude untergebracht – eine Konstruktion aus ineinander verflochtenen Zweigen, die mittels einer Mischung aus Lehm. Stroh und Dung zusammengehalten wurde. Im Innern wurde das Haus von einer steinernen Mauer unterteilt. Diese Innenwand hatte Oba nach Errichten des Hauses gebaut, indem er flache, graue Steine vom Feld übereinander schichtete, das hatte er einem Nachbarn abgeguckt, dem er beim Aufschichten von Steinen am Feldrain zugesehen hatte.

Als er seine Mutter abermals keifen hörte, versuchte er sich auszumalen, was er wieder einmal falsch gemacht haben konnte. In Gedanken ging er die Liste mit Arbeiten durch, die sie ihm aufgetragen hatte, konnte sich aber nicht erinnern, in der Scheune eine davon vernachlässigt zu haben. Oba war nicht vergeßlich, und im Übrigen handelte es sich um Arbeiten, die er öfters erledigte.

»Oba! Oba! Wie oft muß ich dich eigentlich noch rufen?«

Die Frau hatte eine Stimme, bei der sich selbst im stärksten Tau die Knoten lösten. Oba drehte sich zur Seite, um sich mit der Schulter voran durch die schmale Seitentür ins Innere der Scheune zu zwängen. Quiekende Ratten huschten aufgeschreckt über seine Füße. In der Scheune mit dem darüber liegenden Heuboden waren ihre Milchkuh, zwei Schweine und zwei Ochsen untergebracht. Die Kuh stand noch in der Scheune, die Schweine hatte man in dem kleinen Eichenwäldchen laufen lassen, wo sie unter dem Schnee nach Eicheln wühlen konnten. Durch das größere Scheunentor konnte Oba draußen auf dem Hofplatz die Hinterteile der beiden Ochsen sehen.

Seine Mutter stand, die Hände in den Hüften, auf einem kleinen Haufen gefrorenen Mists, sie war eine grobschlächtige, an Schultern und Hüften breite Frau. Eigentlich war sie überall breit, sogar an der Stirn. Er hatte Leute erzählen hören, sie sei in jungen Jahren eine schöne Frau gewesen, und tatsächlich, als er noch ein kleiner Junge gewesen war, hatte sie eine Reihe von Verehrern gehabt. Mit den Jahren jedoch war ihr Aussehen durch die tägliche Schufterei in Mitleidenschaft gezogen worden, und übrig geblieben waren tief eingegrabene Falten; Verehrer hatten sich schon seit geraumer Zeit nicht mehr blicken lassen.

Oba stapfte über den schwarzen, gefrorenen Boden in der Scheune und blieb, die Hände in den Taschen, vor ihr stehen. Sie versetzte ihm mit einem dicken Knüppel einen deftigen Schlag seitlich gegen die Schulter. »Oba.« Er zuckte zusammen, als sie ihn noch drei weitere Male schlug und mit jedem deftigen Hieb seinen Namen betonte, »Oba. Oba. Oba.«

In jungen Jahren wäre er nach einer solchen Tracht Prügel grün und blau gewesen. Inzwischen war er jedoch zu groß und kräftig, als daß sie ihm mit ihrem Knüppel noch hätte weh tun können, was ihre Wut aber nur noch größer machte.

Der Knüppel konnte ihn zwar jetzt, da er erwachsen war, nicht mehr groß aus der Ruhe bringen, doch der tadelnde Unterton in ihrer Stimme, sobald sein Name über ihre Lippen kam, klang ihm noch immer heiß in den Ohren. Sie erinnerte ihn an eine Spinne mit ihrem boshaften, kleinen Mund – an eine schwarze Witwe.

Er duckte sich, um nicht ganz so groß zu wirken. »Was gibt’s denn, Mama?«

»Wo treibst du dich eigentlich rum, wenn deine Mutter nach dir ruft?« Sie verzog das Gesicht, eine zu Dörrobst gewordene Pflaume. »Oba, der Ochse. Oba, der Blödmann. Oba. der Trottel. Wo hast du gesteckt?«

Als sie ihm abermals einen Knüppelhieb versetzte, hob er schützend den Arm. »Ich war gerade dabei, die Eier einzusammeln. Mama. Drüben im Hühnerstall.«

»Sieh dir bloß mal diese Schweinerei hier an. Kommst du eigentlich nie auf die Idee, mal irgendwas selbstständig zu tun, ohne daß dir jemand mit Grips sagt, was?«

Oba sah sich um, vermochte aber – außer den üblichen Arbeiten – nichts zu erkennen, was hatte getan werden müssen, damit sie nicht so außer sich geriet. Irgendwas gab es immer zu tun. Ratten steckten ihre Schnauzen unter den Brettern der Stallboxen hervor; ihre Barthaare zuckten, wenn sie schnuppernd aus ihren schwarzen Knopfaugen herübersahen und wachsam ihre kleinen Rattenohren spitzten.

Er schaute seine Mutter wieder an, wußte aber keine Antwort darauf.

Sie zeigte auf den Boden. »Sieh dir das an! Kommst du eigentlich nie auf die Idee, mal den Mist rauszuschaufeln? Es braucht bloß zu tauen, und schon sickert der ganze Dreck unter der Mauer hindurch ins Haus, wo ich schlafe. Glaubst du etwa, ich füttere dich aus reiner Nächstenliebe durch? Glaubst du vielleicht, du brauchst dir deinen Unterhalt nicht zu verdienen, du nichtsnutziger Trottel? Oba, der Trottel.«

Das letzte Schimpfwort hatte sie schon einmal benutzt. Ihr beschränkter Einfallsreichtum, daß sie nie etwas Neues hinzulernte, konnte Oba gelegentlich noch überraschen. Als er klein war, hatte er sich eingebildet, sie sei eine Gedankenleserin, die über undurchschaubare Fähigkeiten sowie über eine überaus fähige spitze Zunge verfügte, mit der sie wissende Bemerkungen zu machen verstand, die ihn bis ins Innerste trafen. Mittlerweile aber fragte er sich manchmal, ob seine Mutter auch in anderer Hinsicht weniger mächtig war, als er stets befürchtet hatte, ob ihre Macht über ihn nicht irgendwie ... vorgetäuscht war. Eine Chimäre. Eine Vogelscheuche mit einem boshaften, kleinen Mund.

Und doch hatte sie noch immer diese Art an sich, ihn im Handumdrehen zusammenzustauchen. Abgesehen davon war sie seine Mutter, und seine Mutter soll man achten – das war das Wichtigste überhaupt! Diese Lektion hatte sie ihm nachhaltig eingebläut.

Oba fand nicht, daß er noch viel mehr tun konnte, um seinen Unterhalt zu verdienen, denn er schuftete von morgens früh bis abends spät. Und er bildete sich etwas darauf ein. nicht faul zu sein. Oba war ein Mann der Tat, er war kräftig und arbeitete locker für zwei. Seines Wissens gab es keinen Mann, der es in diesem Punkt mit ihm hätte aufnehmen können, überhaupt hatte er mit Männern keine Probleme. Bei Frauen dagegen war er wie gelähmt, wußte nie, wie er sich in ihrer Gegenwart verhalten sollte. Trotz seiner körperlichen Größe verstanden sich Frauen darauf, ihm das Gefühl zu geben, klein und unbedeutend zu sein.

Er kratzte mit dem Stiefel über die dunkle Erhebung auf dem Boden, um die steinharte Masse zu prüfen. Die Tiere fügten ständig etwas hinzu, und ein großer Teil davon gefror, bevor alles nach draußen geschaufelt werden konnte.