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Kurz bevor das schweißbedeckte, in gestrecktem Galopp dahinfliegende Tier die Soldaten erreichte, bemerkte Jennsen ein kurzes Zögern in seinem Bewegungsablauf; völlig unvermittelt knickten die Vorderlaufe des Tieres ein. Das arme Tier geriet ins Straucheln und brach vor Erschöpfung auf dem felsigen Grund tot zusammen.

Der Mann auf seinem Rücken ließ sich mit einer fließenden Bewegung von seinem Rücken gleiten, als es unter ihm zusammenbrach. Scheinbar ohne an Schwung zu verlieren oder aus dem Tritt zu kommen, setzte er seinen Weg Richtung Pfad fort. Er war dunkel gekleidet, wenn auch nicht nach Art der nomadischen Händler. Hinter ihm blähte sich ein goldenes Cape im Wind, außerdem schien er von erheblich kräftigerer Statur zu sein als die Kaufleute.

Als er schnurstracks auf den Pfad zuhielt, rief der Kommandant der Kavallerie ihm zu, er solle stehenbleiben. Der Mann machte weder eine provozierende Geste noch schien er überhaupt ein Wort zu sagen, er ignorierte sie schlicht, während er unbeirrbar seinen Weg vorbei an den Gebäuden und zum Pfad fortsetzte. Die tausend Soldaten stießen wie ein Mann ihren schrillen Schlachtruf aus und griffen an.

Als die Kavallerie der Imperialen Ordnung auf ihn zuraste, streckte der Mann, der keinerlei Waffen bei sich zu tragen schien, ihnen schlicht einen Arm entgegen, so als wollte er ihnen dringend raten, stehen zu bleiben. Weder Sebastians Befehle noch ihre Art, auf den einzelnen Mann zuzurasen, ließen Jennsen im Zweifel darüber, daß sie erst anhalten würden, wenn sie seinen Kopf erbeutet hatten.

Völlig unvermittelt erstrahlte der Oberrand des Tales unter dem Lichtblitz einer krachenden Explosion. Jennsen hielt überrascht den Atem an und mußte trotz des dunklen Tuches die Hand schützend vor die Augen halten. Das gewaltige Lichtband des Blitzes und sein fürchterliches Gegenstück waren ineinander verschlungen – ein gleißender, weiß glühender Lichtblitz, umschlungen von einem knisternden schwarzen Band, das ein Riß in der Materie der Weit zu sein schien, gewaltige Kräfte, die sich in einem einzigen explosionsartigen Augenblick verbanden und entluden.

Es schien, als wären die gleißende Helligkeit der trostlosen Ebene sowie die brüllende Hitze der Säulen der Schöpfung für die Spanne eines Herzschlags in einem einzigen Punkt vereint und unmittelbar darauf wieder entladen worden. Im nu hatte die Zündung dieses explosiven Lichtblitzes die tausend Mann starke Streitmacht in einer strahlend aufleuchtenden roten Wolke vernichtet. Nach dem ebenso plötzlichen Abklingen des krachenden Donners und der heftigen Erschütterung waren die eintausend Mann nicht mehr zu sehen.

Ein einzelner Mann setzte inmitten der rauchenden Überreste von Pferden und Reitern unbeirrt seinen Weg in Richtung Pfad fort; es schien, als wäre er nicht mal aus dem Tritt gekommen.

Nicht so sehr die Art und Weise, eine derartige Verheerung anzurichten, sondern die entschlossenen Bewegungen des Mannes waren es, die Jennsen das wahre Ausmaß seines fürchterlichen Zorns erkennen ließen.

»Bei den Gütigen Seelen«, meinte Jennsen leise. »Was mag da nur geschehen sein?«

»Nur durch Selbstaufopferung gelangt man zum Seelenheil«, lautete Schwester Perditas trockener Kommentar. »Diese Männer sind in Diensten der Imperialen Ordnung und somit des Schöpfers gestorben; das ist die höchste Berufung des Schöpfers. Es ist absolut unnötig, um sie zu trauern – durch ihre Ergebenheit und Treue haben sie ihr Seelenheil erreicht.«

Jennsen konnte sie nur verblüfft anstarren.

»Wer mag das sein?«, fragte Sebastian, während er beobachtete, wie der einsame Mann den Rand des Tales der Säulen der Schöpfung erreichte und ohne anzuhalten den Abstieg begann. »Habt Ihr eine Ahnung?«

»Das ist ohne Bedeutung.« Schwester Perdita wandte sich um. »Wir haben einen Auftrag zu erfüllen.«

»Dann sollten wir uns besser beeilen«, meinte Sebastian besorgt, den Blick immer noch auf die ferne Gestalt gerichtet, die sich ihnen mit schnellen, gleichmäßigen und unerbittlichen Schritten auf dem Pfad näherte.

59

Jennsen und Sebastian folgten Schwester Perdita, die bereits hinter dem höchsten Punkt des Grats verschwunden war. Als sie den Kamm erreichten, sahen sie sie; sie befand sich bereits ein gutes Stück unterhalb von ihnen. Jennsen schaute sich zum oberen Pfadende um, ohne jedoch den einzelnen Mann zu sehen. Was sie statt dessen sah, war eine dunkle Wolkenwand, die sich über die gesamte Breite der trostlosen Ebene herangewälzt hatte.

»Beeilt Euch!«, rief Schwester Perdita ihnen von unten herauf zu.

Sebastians Hand im Rücken, die sie anhielt, nicht stehen zu bleiben, kletterte Jennsen den steilen Pfad hinunter. Die Schwester bewegte sich geschwind wie der Wind; mit wehendem Gewand eilte sie über den in einen steilen Felshang gehauenen Pfad. Jennsen hatte noch nie so große Mühe gehabt, mit einem Menschen Schritt zu halten. Vermutlich nahm die Frau ihre Magie zur Hilfe.

Nicht lange, und Jennsen geriet außer Puste und mußte wie die weit vor ihr laufende Schwester verschnaufen. Auch Sebastian unmittelbar hinter ihr klang, als wäre er völlig außer Atem. Er hatte ein paarmal den Halt verloren, und einmal hatte Jennsen ihn gerade noch am Arm festhalten können, bevor er über den Rand eines steilen, unvorstellbar tiefen Abhangs gestürzt wäre. Die Erleichterung darüber stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.

Nach einem scheinbar endlosen, anstrengenden Abstieg dem Talgrund ein gutes Stück näher gekommen, stellte Jennsen erleichtert fest, daß die Felswände und -türme hier wenigstens das glühend heiße Sonnenlicht aussperrten. Sie blickte in den Himmel, eine Wohltat, auf die sie eine ganze Weile hatte verzichten müssen, und erkannte, daß es nicht nur die Schatten der Felsen waren, die den Tag verdunkelten. Über dem wenige Stunden zuvor noch wolkenlosen und strahlend blauen Himmel war eine aufgewühlte graue Wolkendecke aufgezogen, so als sollte das ganze Tal der Säulen der Schöpfung vom Rest der Welt abgeschnitten werden.

Sie setzte sich mit schweren Gliedern abermals in Bewegung und marschierte los, um mit Schwester Perdita Schritt zu halten; sie hatte keine Zeit, sich über Wolken den Kopf zu zerbrechen. Trotz ihrer Erschöpfung war Jennsen überzeugt, die nötige Kraft zu finden, Richard Rahl das Messer in den Leib zu stoßen, sobald der Augenblick gekommen war. Er war jetzt zum Greifen nahe. Statt ihr Angst zu machen, erfüllte das Wissen um ihr nahes Ende Jennsen mit einem merkwürdig dumpfen Gefühl innerer Ruhe. Sie hatte fast etwas Angenehmes, diese Aussicht auf ein Ende des Kampfes, der Angst und der Notwendigkeit, sich ständig sorgen zu müssen. Die Erschöpfung würde bald ein Ende haben, ebenso wie die unerträgliche Hitze, der Schmerz, das Leid und die Qualen.

Gleichzeitig machte ein überwältigendes Entsetzen jeden klaren Gedanken unmöglich, wenn ihr, für winzige Augenblicke nur, die ungeheuerliche Wirklichkeit ihres nahen Todes bewußt wurde. Es war ihr Leben, ihr einziges, kostbares Leben, das hier unaufhaltsam zur Neige ging und schon bald in der kalten Umarmung des Todes enden würde.

Flackernde Blitze zuckten über einen zusehends dunkler werdenden Himmel und wanderten unter der Wolkendecke dahin. Dann wieder gleißte fernes Wetterleuchten auf, durchdrang die schweren Wolken und ließ sie von innen heraus in einem spektakulären grünen Licht erstrahlen. Fernes Donnergrollen wälzte sich über das weite, menschenleere Tal.

Je tiefer sie gelangten, desto gewaltiger wurden die in den Himmel ragenden Felssäulen, die anfangs noch aus den Spalten längs der Grate emporwuchsen, bis sie schließlich, ganz unten auf dem Grund, in der Talsohle selbst verwurzelt zu sein schienen. Als die drei die Felsklippen schließlich immer weiter hinter sich zurückließen und in das eigentliche Tal vordrangen, ragten diese Säulen wie ein versteinerter Wald aus grauer Vorzeit in den Himmel. Zwischen ihnen kam Jennsen sich wie eine Ameise vor.