»Aber Mama. der Boden ist hart gefroren.«
Früher hatte er diese Arbeit immer erledigt, sobald es zu tauen begann. Im Frühjahr, wenn es wärmer wurde und die Fliegen die Scheune mit ihrem unablässigen Gesumm erfüllten, löste es sich gewöhnlich Schicht um Schicht an den Stellen, wo sich Stroh befand; jetzt war es zu einer einzigen harten Masse zusammengefroren.
»Du hast immer eine Ausrede. Ist es nicht so, Oba? Für deine Mutter hast du immer eine Ausrede, du nichtsnutziger kleiner Bastard.«
Sie verschränkte die Arme und funkelte ihn wütend an. Vor der Wahrheit konnte er sich nicht verstecken, er konnte ihr nichts vormachen, und das wußte sie.
Oba schaute sich in der dunklen Scheune um und sah die schwere stählerne Schaufel an der Wand lehnen.
»Ich werd’s rausschaufeln. Mama. Geh du nur wieder an dein Spinnrad.«
Wie er den hart gefrorenen Mist allerdings rausschaufeln sollte, wußte er nicht recht, er wußte nur daß er keine andere Wahl hatte.
»Fang augenblicklich an damit«, polterte sie. »Mach dir den Rest des Tageslichts zu Nutze. Sobald es dunkel wird, möchte ich, daß du in den Ort gehst, um mir meine Medizin von Lathea zu besorgen.«
Jetzt wurde ihm klar, warum sie in die Scheune gekommen war, um ihn zu suchen.
»Meine Knie schmerzen wieder«, jammerte sie, so als wollte sie jeden denkbaren Widerspruch im Keim ersticken, den er vorbringen könnte, obwohl er das niemals tat. In Gedanken allerdings schon! Sie schien immer ganz genau zu wissen, was er dachte. »Du kannst heute in der Scheune anfangen, dann morgen weitermachen und den Mist bis zum Boden abkratzen, bis du alles rausgeschafft hast. Aber bevor der Tag zu Ende geht, will ich, daß du mir meine Medizin holen gehst.«
Oba zupfte an seinem Ohr, schlug die Augen nieder und starrte auf den Boden. Er ging äußerst ungern zu Lathea, der Frau mit den Arzneien, weil er sie nicht ausstehen konnte. Sie sah ihn immer an, als wäre er ein Wurm. Die Frau war boshaft wie ein alter Drache, schlimmer noch – sie war eine Hexenmeisterin.
Wenn Lathea jemanden nicht mochte, dann bekam der Betreffende das zu spüren. Jeder fürchtete sich vor Lathea, Oba war also keineswegs eine Ausnahme. Was aber nichts daran änderte, daß er nicht gern zu ihr ging.
»Mach ich. Mama. Ich hol dir deine Medizin. Und keine Sorge, ich werde mich gleich an die Arbeit machen und den Mist hinausschaufeln, genau wie du gesagt hast.«
»Ich muß dir wohl jede Kleinigkeit erklären, was, Oba?« Sie durchbohrte ihn mit einem zornigen Blick. »Es ist mir schleierhaft, wieso ich mich damit abgeplagt habe, einen so nichtsnutzigen Bastard großzuziehen«, fügte sie mit leiser Stimme hinzu. »Ich hätte von Anfang an Latheas Rat befolgen sollen.«
Das hörte Oba sie oft sagen, wenn sie sich in Selbstmitleid erging und sich selbst bedauerte, weil sich keine Verehrer mehr blicken ließen und niemand sie heiraten wollte. Oba war der Fluch, den sie voller Bitterkeit und Kümmernis auf sich genommen hatte, ein kleiner Bankert, der ihr von Anfang an nichts als Scherereien bereitet hatte. Wäre Oba nicht gewesen, hätte sie sich vielleicht einen ordentlichen Ehemann geangelt, der für sie hätte sorgen können.
»Und daß du nicht im Ort bleibst und irgendwelche Dummheiten anstellst.«
»Bestimmt nicht, Mama. Tut mir leid, daß es deinen Knien heute so schlecht geht.«
Sie versetzte ihm einen weiteren Hieb mit dem Knüppel. »Es ginge ihnen längst nicht so schlecht, wenn ich nicht ständig hinter einem großen, tumben Ochsen her sein müßte, damit er tut, was er längst hätte tun sollen.«
»Ja, Mama.«
»Hast du die Eier eingesammelt?«
»Ja, Mama.«
Sie beäugte ihn mißtrauisch, dann zog sie eine Münze aus ihrer flachsfarbenen Schürze. »Sag Lathea, sie soll außer der Medizin für mich auch eine Kur für dich zusammenmischen. Vielleicht gelingt es uns ja, dich von der Sünde des Hüters zu befreien. Wenn wir dir das Böse austreiben könnten, wärst du vielleicht nicht mehr ganz so nutzlos.«
Ab und zu überkam seine Mutter das dringende Verlangen, ihn von dem, was sie für sein böses Wesen hielt, zu läutern; sie hatte bereits alle möglichen Tränke ausprobiert. Als er klein war, hatte sie ihn mehrfach gezwungen, ein scharfes, mit Seifenwasser vermischtes Pulver zu trinken. Danach sperrte sie ihn gewöhnlich in einen Verschlag in der Scheune, in der Hoffnung, daß es dem Bösen aus dem Jenseits nicht behagen würde, gleichzeitig verätzt und eingesperrt zu werden, und es daraufhin seinen eingeschlossenen irdischen Körper fliehen würde. Im Gegensatz zu denen für die Tiere war sein Verschlag nicht aus Latten, sondern aus massiven Brettern zusammengenagelt; im Sommer glich er einem Glutofen. Wenn sie ihn zwang, das scharfe Pulver zu nehmen, ihn anschließend am Arm hinter sich herschleifte und in den Verschlag sperrte, kam er beinahe um vor Angst, sie könnte ihn nie wieder herauslassen oder ihm nie wieder einen Schluck zu trinken geben. Die Prügel, die sie ihm gewöhnlich verabreichte, um sein Geschrei zu unterbinden, ließ er gerne über sich ergehen, wenn er nur wieder herausgelassen wurde.
»Davon kaufst du meine Medizin bei Lathea und eine Kur für dich.« Seine Mutter zeigte ihm die kleine Silbermünze, während ihre Augen sich zu einem boshaften Blick verengten. »Und daß du mir nichts davon für irgendwelche Weiber aus dem Fenster wirfst.«
Oba spürte, wie er heiße Ohren bekam. Jedes Mal, wenn ihn seine Mutter losschickte, um etwas einzukaufen, sei es Medizin, Lederwaren, Steingut oder Vorräte, ermahnte sie ihn stets, das Geld nicht für Weiber zu verschwenden. Dabei wußte er ganz genau, daß sie sich damit über ihn lustig machte.
Oba besaß nicht mal genug Mut, Frauen auch nur anzusprechen.
Stets kaufte er lediglich das. was seine Mutter ihm aufgetragen hatte, nicht ein einziges Mal hatte er das Geld für irgend etwas anderes ausgegeben – denn da war bei allem seine Heidenangst vor dem Zorn der Mutter.
Es machte ihn rasend, wenn sie ihm immer wieder das Gefühl gab zu wissen, daß er etwas Unrechtes im Schilde führte, auch wenn das gar nicht stimmte. Was immer in seinen Gedanken vorging, wurde so gewissermaßen zum Verbrechen, selbst wenn er diese Gedanken niemals hegte.
Er zupfte an einem seiner glühend heißen Ohren. »Ich werde es bestimmt nicht verschwenden, Mama.«
»Und zieh dir was Ordentliches an, lauf nicht rum wie ein dummer Bauerntrampel. Du wirfst auch so schon ein schlechtes Licht auf mich.«
»Werde ich, Mama. Du wirst schon sehen.«
Oba lief um das Haus herum und holte seine Pelzkappe und seine braune Wolljacke für den anstehenden Weg in das nur wenige Meilen entfernte Gretton. Sie sah zu, wie er die Sachen sorgfältig auf einen Kleiderhaken hängte, wo sie nicht schmutzig werden würden, bis er so weit war, in den Ort hinunterzugehen.
Dann machte er sich über den steinharten Mist her. Die stählerne Schaufel tönte jedes Mal wie eine Glocke, wenn er sie in den gefrorenen Boden rammte, und er ächzte mit jedem wuchtigen Stoß. Schwarze Eissplitter sprengten davon und spritzten gegen seine Hose, jeder von ihnen nur ein winzig kleines Bröckchen des riesigen dunklen Misthaufens. Das Ganze würde sehr viel Zeit und Arbeit kosten, aber harte Arbeit machte ihm nichts aus. Und Zeit hatte er im Überfluß.
Seine Mutter schaute ein paar Minuten vom Scheunentor aus zu, um sicherzugehen, daß er sich beim Aufhacken des gefrorenen Haufens auch ordentlich ins Zeug legte. Als sie zufrieden war. verschwand sie aus der Toröffnung, ging wieder an ihre eigene Arbeit und überließ ihn seinen Gedanken an den bevorstehenden Besuch bei Lathea.
Oba.
Oba hielt inne. Auch die Ratten in ihren winzigen Löchern wurden still, beobachteten ihn aus ihren kleinen Rattenaugen, wie er sie beobachtete, schließlich nahmen sie ihre Futtersuche wieder auf. Oba lauschte auf die vertraute Stimme. Er hörte, wie die Tür zum Haus zufiel, Seine Mutter, die Spinnerin, war wieder an ihre Arbeit gegangen und spann weiter ihre Wolle. Mr. Tuchmann lieferte ihr Wolle an, die sie zu Garn verspann, das er anschließend auf seinem Webstuhl weiterverarbeitete. Der karge Lohn trug zum Unterhalt für sie und ihren Bankert bei.