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Jennsen war bestürzt, sprachlos, wußte nicht, was sie sagen sollte. Sie war absolut sicher, daß die Frau damals einen Bann für sie gesprochen hatte.

»Und jetzt verschwindet. Alle beide.« Die Tür begann sich langsam zu schließen.

»Wartet! Bitte – ich kann bezahlen.«

Jennsen langte in ihre Tasche und holte hastig eine Münze hervor. Erst nachdem sie sie durch die Tür gereicht hatte, wurde ihr bewußt, daß sie aus Gold war.

Die Frau betrachtete die Münze eine Weile ganz genau, während sie wahrscheinlich überlegte, ob sie es wert war, abermals in eine Sache verwickelt zu werden, die mit Sicherheit als schweres Verbrechen galt, auch wenn man dafür mit einem kleinen Vermögen entlohnt wurde.

»Erinnert Ihr Euch jetzt?«, fragte Sebastian.

Die Augen der Frau wandten sich ihm zu. »Und wer bist du?«

»Nur ein Freund.«

»Lathea, ich brauche dringend Eure Hilfe. Meine Mutter...« Jennsen konnte sich nicht überwinden, es auszusprechen, setzte erneut an und versuchte es anders herum. »Ich weiß noch genau, wie meine Mutter mir von Euch erzählte, und wie Ihr uns einmal geholfen habt, früher. Der Bann damals hat vor Jahren schon seine Wirkung verloren. Diese Hilfe brauche ich jetzt wieder.«

»Nun, da bist du an die falsche Person geraten.«

Jennsen ballte vor ihrem Wollumhang die Fäuste.

»Lathea. bitte. Ich weiß weder ein noch aus. Ich brauche dringend Hilfe.«

»Sie hat Euch einen ziemlich hohen Betrag gegeben«, warf Sebastian ein. »Wenn wir Eurer Meinung nach an die falsche Person geraten sind und Ihr uns nicht helfen wollt, dann, denke ich, sollten wir das Gold besser für die richtige Person aufheben.«

Lathea bedachte ihn mit einem durchtriebenen Lächeln. »Oh, ich sagte, sie ist an die falsche Person geraten, ich sagte nicht, daß ich mir die angebotene Bezahlung nicht verdienen kann.«

»Das verstehe ich nicht«, sagte Jennsen, ihren Umhang am Hals zusammenraffend, weil sie vor Kälte zitterte.

Lathea blickte sie einen Augenblick durchdringend an, als wollte sie sich vergewissern, daß sie auch genau auf ihre Worte achteten. »Ihr sucht meine Schwester, Althea. Ich bin Lathea. Sie heißt Althea. Sie war es, die dir geholfen hat, nicht ich. Wahrscheinlich hat deine Mutter die Namen verwechselt, oder du hast es in deiner Erinnerung durcheinandergeworfen. Der Fehler ist damals, als wir noch zusammenlebten, vielen unterlaufen. Althea und ich verfügen in Bezug auf die Gabe über ganz unterschiedliche Talente.«

Jennsen war sprachlos und enttäuscht, gab sich aber dennoch nicht geschlagen. »Bitte. Lathea, könntet Ihr mir vielleicht diesmal helfen? Anstelle Eurer Schwester?«

»Nein. Ich kann nichts für dich tun; denn ich bin gegen Leute wie dich blind. Nur Althea kann die Lücken in der Welt sehen, ich dagegen nicht.«

Jennsen hatte nicht die leiseste Ahnung, was das nun wieder bedeuten sollte – Lücken in der Welt. »Blind ... gegen Leute wie mich?«

»Ja. Ich habe dir gesagt, was ich tun kann. Und jetzt geh.«

Die Frau machte Anstalten, die Tür ganz zu schließen.

»So wartet doch, bitte! Könnt Ihr mir dann wenigstens sagen, wo Eure Schwester wohnt?«

Sie blickte abermals in Jennsens erwartungsvolles Gesicht. »Das ist ein gefährliches Geschäft...«

»Vor allem ist es ein Geschäft«, warf Sebastian ein, seine Stimme kalt wie die Nacht. »Und zwar im Gegenwert von einem Goldtaler. Für diesen Betrag sollten wir zumindest den Ort erfahren, wo wir Eure Schwester finden können.«

Lathea dachte über seine Worte nach, dann sagte sie mit ebenso kalter Stimme zu Jennsen, »Mit Leuten wie dir will ich nichts zu schaffen haben. Begreifst du das? Nichts. Wenn Althea das möchte, so ist das ihre Angelegenheit. Fragt im Palast des Volkes nach.«

Jennsen meinte sich zu erinnern, daß sie damals zu einer nicht sehr weit vom Palast entfernt wohnenden Frau gewandert war. Sie hatte angenommen, es sei Lathea gewesen, doch es mußte wohl deren Schwester Althea gewesen sein. »Aber könnt Ihr uns nicht ein wenig mehr als das verraten? Wo sie wohnt, wie ich sie finden kann?«

»Das letzte Mal, als ich sie sah, lebte sie zusammen mit ihrem Ehemann dort ganz in der Nähe. Fragt nach der Hexenmeisterin Althea. Die Menschen dort werden sie kennen – falls sie überhaupt noch lebt. Sollte meine Schwester den Wunsch verspüren, das Schicksal herauszufordern, so liegt das ganz bei ihr. Was ich absolut nicht gebrauchen kann – für welchen Preis auch immer –, ist Ärger.«

»Wir haben nicht vor, Euch Ärger zu machen«, sagte Jennsen. »Wir benötigen lediglich die Hilfe eines Zauberbanns. Wenn Ihr uns damit nicht helfen könnt, so möchten wir Euch zumindest für den Namen Eurer Schwester danken. Wir werden sie schon ausfindig machen. Es gibt jedoch ein paar wichtige Dinge, die ich auch noch wissen muß. Falls Ihr mir denn verraten könntet...«

»Wenn du nur einen Funken Anstand besäßest, würdest du Althea in Ruhe lassen. Leute deines Schlags bringen uns nichts als Ärger. Und jetzt verschwindet von meiner Tür, bevor ich einen Alptraum auf euch hetze.«

Jennsen bedachte das im Schatten liegende Gesicht mit durchdringendem Blick.

»Das hat längst ein anderer getan«, flüsterte sie und drehte sich um.

9

Oba fühlte sich schick mit seiner Kappe und der braunen Wolljacke, als er am Rand der engen Straßen entlanglief und dabei eine Melodie summte. Er mußte warten, bis ein Mann zu Pferd vorüber war, bevor er in Latheas Straße einbiegen konnte. Das Pferd drehte im Vorübergehen die Ohren in seine Richtung. Früher hatte Oba auch einmal ein Pferd besessen und ritt gern, seine Mutter hatte jedoch entschieden, daß Ochsen nützlicher waren und mehr Arbeit leisteten; allerdings waren sie nicht so gesellig.

Als er mit knirschenden Stiefeln über den verharschten Schnee der dunklen Straße ging, kam ihm ein Pärchen aus der anderen Richtung entgegen. Er sah sie an und überlegte, ob sie die Hexenmeisterin wohl wegen eines Heilmittels aufgesucht haben mochten. Die Frau wich ihm zur Seite hin aus, doch der Mann, der sie begleitete, hielt Obas Blick stand – nicht viele Männer taten das.

Ihre Art zu starren erinnerte Oba an die Ratte. Die Erinnerung ließ ihn schmunzeln – man lernte doch stets etwas hinzu. Beide, sowohl der Mann als auch die Frau, glaubten offenbar, sein Schmunzeln gelte ihnen. Als Oba daraufhin seine Kappe vor der jungen Dame zog, antwortete sie mit einem wenig überzeugenden Lächeln, was zur Folge hatte, daß er sich wie ein Possenreißer vorkam. Im Nu verschmolz das Paar wieder mit der Dunkelheit der Straße.

Oba stopfte die Hände in die Taschen seiner Jacke und wandte sich um. Es war ihm zuwider, im Dunkeln zu Latheas Haus gehen zu müssen; ein Besuch bei der Hexenmeisterin war auch ohne den Fußmarsch über ihren finsteren Pfad bereits furchterregend genug. Er entließ einen geplagten Seufzer in die frische Winterluft.

Es bereitete ihm keine Angst männlicher Stärke die Stirn zu bieten, aber gegen die Geheimnisse der Magie war er machtlos. Er wußte, welche Schmerzen Latheas Tränke bei ihm verursachten, Sie brannten, wenn man sie zu sich nahm und wenn man sie wieder von sich gab; sie waren nicht nur schmerzhaft, sondern bewirkten auch, daß er die Kontrolle über sich verlor und sich fühlte, als sei er nichts weiter als ein Tier. Es war erniedrigend.

Er hatte jedoch von anderen erzählen hören, die den Zorn der Hexenmeisterin erregt und ein weitaus schlimmeres Schicksal erlitten hatten – Fieberschübe, Blindheit, einen quälend langsamen Tod. Ein Mann hatte den Verstand verloren und war nackt in den Sumpf gerannt; man fand ihn von Schlangen zerbissen und tot, völlig aufgedunsen und violett angelaufen zwischen halb vermoderten Wasserpflanzen treibend. Oba konnte sich nicht vorstellen, was der Mann getan haben mochte, daß er ein solches Schicksal durch die Hexenmeisterin verdient hatte. Er hätte eben klüger sein und dem zänkischen alten Weib gegenüber mehr Vorsicht walten lassen müssen.