Выбрать главу

Manchmal verfolgten Oba die Dinge, die sie ihm mit ihrer Magie ohne Zweifel antun konnte, bis in seine Alpträume. Er stellte sich vor, Lathea könnte ihn aufgrund ihrer magischen Kräfte mit tausend Stichen durchbohren oder ihm gar das Fleisch von den Knochen reißen, ihm die Augen im Kopf verdampfen oder seine Zunge so weit anschwellen lassen, bis er würgend und hustend langsam und qualvoll daran erstickte.

Mit hastigen Schritten eilte er über den Pfad. Je eher er die Sache anging, desto schneller hätte er sie hinter sich. Das hatte Oba inzwischen gelernt.

Beim Haus angelangt, klopfte er an und rief, »Ich bin’s, Oba Schalk. Meine Mutter schickt mich wegen ihrer Medizin.«

Schließlich öffnete sich die Tür einen Spalt weit, so daß Lathea zu ihm herausspähen konnte. Er fand, als Hexenmeisterin sollte sie ihn eigentlich sehen können, ohne vorher die Tür zu öffnen. Manchmal, wenn jemand vorbeikam, während er darauf wartete, daß Lathea ihre Arzneien zusammenmischte, öffnete sie ganz einfach die Tür. Aber wenn Oba kam, schaute sie jedes Mal erst nach, um sich zu vergewissern, daß er es war.

»Oba.« Der Verdruß über das Wiedersehen war ihrer Stimme ebenso anzumerken wie ihrem Gesichtsausdruck.

Die Tür ging auf, um ihn einzulassen. Vorsichtig, voller Respekt, trat Oba ein. Er sah sich um, obwohl er das Haus gut kannte, sorgfältig darauf bedacht, ihr gegenüber nicht zu vorlaut aufzutreten; sie dagegen hegte ihm gegenüber nicht die geringste Angst und drängte ihn mit einem Klaps auf die Schulter, weiter ins Zimmer zu treten, damit sie genug Platz hatte, die Tür zu schließen.

»Wieder mal die Knie deiner Mutter, ja?«, erkundigte sich die Hexenmeisterin.

Oba nickte, den Blick starr auf den Boden gerichtet. »Sie sagt, sie tun ihr weh, und sie hatte gern etwas von Eurer Medizin.« Er wußte, daß er ihr den Rest nicht vorenthalten durfte. »Sie bittet Euch ... ihr auch für mich etwas mitzugeben.«

Lathea lächelte auf die ihr eigene, durchtriebene Art. »Etwas für dich, Oba?«

Oba war absolut sicher, daß sie ganz genau wußte, was er meinte. Es gab überhaupt nur zwei Heilmittel, derentwegen er sie jemals aufsuchte, eines für seine Mutter und das andere, das für ihn bestimmt war. Aber es gefiel ihr, ihn zu zwingen, es auszusprechen. Die Frau war gemein wie Zahnschmerzen.

»Und eine Arznei für mich, hat Mama gesagt.«

Ihr Gesicht kam näher, und sie linste zu ihm hoch. »Eine Arznei gegen Schlechtigkeit?« Ihre Stimme troff vor Spott. »Ist es das, Oba? Ist es das, was du für Mutter Schalk holen sollst?«

Er räusperte sich und nickte. Ihr Lächeln gab ihm das Gefühl, klein und unbedeutend zu sein, also senkte er den Blick wieder zum Boden.

Latheas Blick verweilte auf ihm, und er fragte sich, was in ihrem gescheiten Kopf vorgehen mochte, welche verschlagenen Gedanken und finsteren Machenschaften dort entstanden. Schließlich entfernte sie sich, um die Zutaten zu holen, die sie in dem hohen Schrank aufbewahrte; die grobe Fichtenholztür knarrte, als sie aufgezogen wurde. Lathea legte ein paar Fläschchen in ihre Armbeuge und trug sie zum Tisch in der Mitte des Raumes.

»Sie gibt niemals auf, was Oba?« Ihre Stimme war tonlos geworden, so als spräche sie zu sich selbst. »Sie versucht es immer wieder, obwohl sich an dem, was ist, dadurch niemals etwas ändern wird.«

Oba.

Eine Öllampe auf dem von Schrägen gestützten Tisch beleuchtete die Fläschchen, als sie eines nach dem anderen dort abstellte. Lathea brütete irgend etwas aus – wahrscheinlich, welch abscheuliches Gebräu sie ihm diesmal zusammenmischen könnte, in welch ekelhaften Zustand sie ihn versetzen sollte, um ihn von seiner allgegenwärtigen Verdorbenheit zu erlösen.

Die Eichenscheite im Kamin waren in der flackernden Glut des Feuers aufgeplatzt und gaben nicht nur eine angenehme Wärme ab, sondern auch Licht. Oba und seine Mutter hatten nur eine einfache Feuergrube mitten in ihrer Hütte, deshalb gefiel es ihm, wie der Rauch in Latheas offenem Kamin sogleich durch den Schornstein und aus dem Haus abzog, statt erst einmal im Raum zu stehen, bevor er sich allmählich durch ein winziges Loch in der Decke einen Weg nach draußen suchte. Oba hätte gern einen richtigen offenen Kamin gehabt und fand, er sollte für sich und seine Mutter einen bauen. Wenn er bei Lathea weilte, merkte er sich jedes Mal genau, wie ihr Kamin konstruiert war – aus dem wichtigen Bedürfnis heraus, ständig dazuzulernen.

Außerdem behielt er Latheas Rücken im Auge, während sie aus den Fläschchen Flüssigkeit in einen Krug mit weiter Öffnung goß. Sie verrührte die Mischung mit einem gläsernen Stab und gab nach und nach die einzelnen Ingredienzien hinzu. Als sie zufrieden war, füllte sie die Medizin in ein Fläschchen um und verschloß es mit einem Korken.

Dieses kleine Fläschchen reichte sie ihm nun mit den Worten, »Für deine Mutter.«

Oba händigte ihr die Münze aus, die ihm seine Mutter mitgegeben hatte. Seine Augen fest im Blick, ließ sie die Münze mit ihren knotigen Fingern in eine Tasche ihres Kleides gleiten. Oba atmete erleichtert auf, als sie sich wieder dem Tisch und ihrer Arbeit zuwandte. Sie nahm einige Fläschchen zur Hand und prüfte sie im Schein des Feuers, bevor sie mit dem Zusammenmischen seiner Arznei begann. Seine verfluchte Arznei.

Oba unterhielt sich äußerst ungern mit Lathea, doch wenn sie schwieg, war ihm noch weit unbehaglicher zumute; es machte ihn nervös. Obwohl ihm im Grunde nichts einfiel, das zu sagen sich gelohnt hätte, entschied er sich schließlich dennoch, etwas zu sagen.

»Mama wird sich über ihre Medizin bestimmt freuen. Sie hofft, daß sie ihren Knien hilft.«

»Und hofft sie auch auf eine Arznei, die ihren Sohn kuriert?«

Oba zuckte mit den Achseln; er bedauerte seinen Versuch zu einer zwanglosen Plauderei bereits. »Ja, Ma’am.«

Die Hexenmeisterin warf ihm einen viel sagenden Blick über die Schulter zu. »Ich habe Mutter Schalk bereits mehrmals erklärt, daß sie meiner Meinung nach nichts nützen wird.«

Der Ansicht war Oba auch, zumal er ohnehin nicht glaubte, daß es da etwas gab, das geheilt werden mußte. Als kleines Kind hatte er immer geglaubt, seine Mutter wisse es am besten und würde ihm die Arznei nicht geben, wenn er sie nicht wirklich brauchte, inzwischen aber waren ihm Zweifel gekommen.

»Aber sie macht sich bestimmt Sorgen um mich. Sie versucht es immer wieder.«

»Vielleicht hofft sie, dich mit Hilfe der Arznei loszuwerden«, bemerkte Lathea ein wenig geistesabwesend, da sie so vertieft in ihre Arbeit war.

Oba.

Oba hob den Kopf, starrte auf den Rücken der Hexenmeisterin. Auf den Gedanken war er nie gekommen! Vielleicht hoffte Lathea ja sogar selbst, daß die Medizin sie beide von dem Bankert erlösen würde. Ab und zu besuchte seine Mutter Lathea, womöglich hatten sie darüber gesprochen.

Hatte er ganz naiv geglaubt, die beiden Frauen versuchten ihm etwas Gutes zu tun, ihm zu helfen, obwohl in Wahrheit genau das Gegenteil zutraf? Vielleicht hatten die beiden einen Plan ausgeheckt? Womöglich hatten sie schon die ganze Zeit versucht, ihn heimlich zu vergiften?

Wenn ihm etwas zustieße, müßte seine Mutter ihn nicht länger unterstützen. Sie beklagte sich ja ohnehin ständig darüber, wie viel er aß. Immer wieder hielt sie ihm vor, daß sie mehr für seinen Unterhalt schuftete als für ihren eigenen und deshalb seinetwegen niemals etwas zurücklegen konnte. Wenn sie das Geld statt dessen zurückgelegt hätte, das sie in all den Jahren für seine Medizin ausgegeben hatte, hätte sie vielleicht längst einen beruhigenden Notgroschen beisammen.

Andererseits, wenn ihm etwas zustieße, müßte seine Mutter die ganze Arbeit allein machen.

Vielleicht taten die beiden Frauen es einfach aus purer Gemeinheit.

Oba beobachtete den flackernden Feuerschein, der über das feine, glatte Haar der Hexenmeisterin spielte. »Mama meinte heute, sie hätte längst tun sollen, was Ihr ihr von Anfang an geraten habt.«

Lathea, damit beschäftigt, eine sämige bräunliche Flüssigkeit in den Krug umzufüllen, sah über ihre Schulter. »Ach, hat sie das?«