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Jennsen schob die Hände unter den Umhang, um sie zu wärmen, und blickte die dunkle Straße hinunter zu Latheas Haus.

»Vorhin bin ich sogar vor Lathea davongelaufen. Ich weiß nicht, warum Lord Rahl hinter mir her ist, aber sie. Ich hatte Angst darauf zu bestehen, daß sie es mir sagt, wollte mich auf den weiten Weg bis zum Palast des Volkes machen, um ihre Schwester Althea zu finden, in der Hoffnung, sie würde sich vielleicht, wenn ich ganz bescheiden an ihre Tür klopfe, dazu herablassen, es mir zu verraten und mir zu helfen.

Aber wenn nicht? Was, wenn auch sie mich wieder fortschickt? Was dann? Könnte es etwas Gefährlicheres für mich geben, als den Palast des Volkes aufzusuchen? Und wozu das alles? Nur für die vage Hoffnung, daß sich irgend jemand endlich aus freien Stücken dazu herabläßt, einer einsamen Frau beizustehen, die von den mächtigen Streitkräften eines von dem mörderischen Bankert eines Ungeheuers regierten Volkes verfolgt wird?

Begreift Ihr nicht? Wenn ich ein ›Nein‹ nicht länger als Antwort akzeptierte und darauf bestünde, daß Lathea mir den Grund verrät, könnte ich mir womöglich die gefährliche Reise in das noch gefährlichere Herz D’Haras ersparen und statt dessen von hier fortgehen. Zum allerersten Mal in meinem Leben könnte ich in Freiheit leben, doch war ich drauf und dran, die Gelegenheit ungenutzt verstreichen zu lassen, nur weil ich mich sogar vor Lathea fürchtete. Ich habe es so abgrundtief satt. Angst zu haben.«

Er stand im trüben Licht und überlegte, welche Möglichkeiten sie hatten.

»Dann gehen wir doch einfach fort. Laßt Euch von mir aus D’Hara wegbringen, wenn Ihr das wirklich wollt.«

»Nein. Nicht, solange ich nicht herausgefunden habe, warum Lord Rahl mich töten will.«

»Welchen Unterschied macht es. Jennsen, ob,..«

»Nein!« Sie ballte die Fäuste. »Nicht, solange ich nicht herausgefunden habe, warum meine Mutter sterben mußte!«

Sie spürte, wie ihr Tranen bitterer Wut über die Wangen liefen.

Schließlich nickte Sebastian. »Verstehe. Gehen wir also zu Lathea. Ich werde Euch helfen, eine Antwort von ihr zu bekommen. Vielleicht laßt Ihr Euch dann von mir aus D’Hara fortbringen, an einen Ort, wo Ihr in Sicherheit seid.«

Sie wischte ihre Tränen ab. »Danke, Sebastian. Aber habt Ihr hier nicht auch Dinge zu erledigen? Ich kann nicht zulassen, daß meine Probleme Euch noch länger in die Quere kommen. Ihr müßt Euer eigenes Leben leben.«

Daraufhin lächelte er. »Das geistige Oberhaupt unseres Volkes, Bruder Narev, sagt immer, unsere wichtigste Aufgabe im Leben ist es, denen beizustehen, die unserer Hilfe bedürfen.«

Diese Gesinnung machte ihr wieder Mut, als sie die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte. »Das klingt, als sei er ein wundervoller Mann.«

»Das ist er.«

»Aber nichtsdestoweniger steht Ihr noch immer in der Pflicht Eures Führers, Jagangs des Gerechten, oder nicht?«

»Bruder Narev ist gleichzeitig enger Freund und geistiger Ratgeber Kaiser Jagangs. Bestimmt würden beide wollen, daß ich Euch helfe, da bin ich ganz sicher, schließlich ist Lord Rahl auch unser Feind. Diese beiden Männer, Bruder Narev und Kaiser Jagang, würden geradezu darauf bestehen, daß ich Euch helfe. Und das ist die Wahrheit.«

Ihre Kehle war wie zugeschnürt vor lauter Rührung, und sie brachte kein Wort heraus. Sie erlaubte ihm, seinen Arm um ihre Hüfte zu legen, und ließ sich von ihm die Straße hinunterführen. Während sie mit ihm zusammen die Stille und die Dunkelheit genoß, lauschte Jennsen auf das leise Knirschen ihrer Stiefel im verharschten Schnee.

Lathea mußte ihr ganz einfach helfen. Jennsen war fest entschlossen, dafür zu sorgen.

11

Oba fand es überaus bedauerlich, daß es vorbei war, aber irgendwann mußte es ja mal enden. Im Übrigen mußte er schleunigst zurück nach Hause, da seine Mutter bestimmt wieder verärgert wäre, wenn er zu lange im Ort blieb. Davon abgesehen war aus Lathea beim besten Willen kein Vergnügen mehr herauszuholen; dabei war es durchaus faszinierend gewesen, solange es währte, über alle Maßen faszinierend sogar zumal er eine Menge neuer Dinge gelernt hatte. Die Erregung, die ihm Tiere verschafften, war einfach nicht zu vergleichen mit der, die er bei Lathea empfunden hatte – ganz besonders, als sie den einzigartig inspirierenden Augenblick allerhöchster Qual erwartete, da die Seele ihre irdische Hülle verließ und der Hüter der Toten sie in sein ewiges Reich aufnahm.

Aber auch bei Tieren überkam ihn so etwas wie Begeisterung; daß sie eine Seele besaßen, glaubte er allerdings nicht. Sie ... starben einfach.

Lathea war auch gestorben, doch das war eine völlig neue Erfahrung gewesen.

Latheas Tod hatte ihm ein Grinsen entlockt, wie er noch nie zuvor gegrinst hatte.

Oba schraubte den Lampenaufsatz ab, zog den geflochtenen Docht heraus und träufelte eine Spur aus Lampenöl quer über den Fußboden, über die zersplitterten Teile des Schrägentisches und um Latheas Medizinschrank herum, der mitten im Zimmer lag.

Er konnte sie nicht einfach dort liegen lassen, bis man sie entdeckte. Wenn man sie so fände, würde man ohne jeglichen Zweifel Fragen stellen. Allein die Vorstellung, daß jemand fähig war, die mächtige Hexenmeistern auf so grauenerregende Weise zu töten, würde für Aufsehen sorgen. Die Menschen würden wissen wollen, wer es getan hatte, und für manche Leute würde er daraufhin zum Racheengel werden. Überall würden sich die Menschen den Mund zerreißen. Was wäre das für ein Spaß!

Gerade wollte er den letzten Rest des Lampenöls verschütten, als er sein Messer neben dem umgestürzten Schrank erblickte. Er warf die leere Lampe auf den Trümmerhaufen und bückte sich, um das Messer aufzuheben; es befand sich in einem beklagenswerten Zustand. Man kann kein Omelett braten, ohne Eier zu zerschlagen, pflegte seine Mutter zu sagen. Und das tat sie oft, in diesem Fall fand Oba ihren lahmen, albernen Spruch allerdings durchaus passend.

Sein Messer war ein wertvolles Werkzeug, und er achtete stets darauf, daß es rasiermesserscharf war. Erleichtert registrierte er, wie der alte Glanz wieder zum Vorschein kam, nachdem er das Blut abgewischt hatte. Er hatte gehört, daß Magie auf vielfältigste Weise unsäglichen Verdruß bereiten konnte, und einen Augenblick lang hatte Oba befürchtet, womöglich könnte eine Art ätzend saures Blut in den Adern der Hexenmeisterin fließen, das in der Lage war, Stahl zu zerfressen. Doch es war ganz gewöhnliches Blut – allerdings jede Menge davon.

Ja, die Geschichte würde zweifellos Aufsehen erregen.

Nur behagte ihm die Vorstellung nicht, daß möglicherweise auch Soldaten vorbeikommen und Fragen stellen könnten. Soldaten waren ein mißtrauischer Schlag. So sicher, wie eine Kuh Milch gab, würden sie ihre Nase überall hineinstecken und mit ihrem Argwohn und ihrer Herumfragerei alles verderben. Davon abgesehen glaubte er nicht, daß Soldaten sonderlich scharf auf Omeletts waren.

Nein, am besten, Latheas Haus brannte bis auf die Grundmauern nieder. Es kam ständig vor, daß irgendwo ein Haus niederbrannte – vor allem im Winter. Mal rollten Scheite aus dem Kamin und verteilten überall ihre glühende Asche; mal sprangen Funken auf Gardinen über und ließen ganze Häuser in Flammen aufgehen; dann wieder schmolzen Kerzen, kippten um und setzten irgendwelche Gegenstände in Brand. So etwas passierte ständig. Ein Feuer, mitten im Winter, würde also kaum Verdacht erregen. In Anbetracht all der Blitze und Funken, mit denen die Hexenmeisterin wohl oder übel ständig um sich schmiß, kam es sowieso einem Wunder gleich, daß das Haus nicht längst abgebrannt war.

Oba entfuhr ein Seufzer des Bedauerns über das Getratsche, das nun ausbliebe, über das, was hätte sein können, wäre da nicht dieser tragische Brand gewesen, dem man die Schuld an Latheas Tod geben würde.

Mit Feuersbrünsten kannte Oba sich aus. denn sein Zuhause war im Laufe der Jahre mehrmals abgebrannt. Oba sah gerne zu, wie etwas niederbrannte, er liebte das Geschrei der Tiere. Es gefiel ihm, wenn die Menschen in wilder Panik angerannt kamen; sie wirkten dann immer so klein und unscheinbar angesichts dessen, was er vollbracht hatte. Eine Feuersbrunst weckte in den Menschen stets Angstgefühle, und das Durcheinander gab ihm jedesmal ein Gefühl von Macht.