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Aber offenbar zogen es sowohl der Mann als auch die Frau vor, Lathea den Flammen zu überlassen. Auch sie hofften wohl, daß das Feuer sämtliche Beweise für das wahre Ende der Hexenmeisterin vernichtete. Als die Frau davon sprach, sie habe ihrer Mutter Geld weggenommen, und er irgendwelchen Soldaten, da hatten sie fast wie Diebe geklungen. Sehr verdächtig.

Die Nacht erwies sich als eine einzige Abfolge von Überraschungen. Erst war er unbesiegbar geworden und hatte dadurch sein wahres inneres Selbst befreit, nur um herauszufinden, daß das Blut der Rahls in seinen Adern floß, und dann war dieses merkwürdige Paar aufgekreuzt, um ihm beim Vertuschen von Latheas wahrem Ende zu helfen. Die Geschichte wurde immer merkwürdiger. Soeben hatte sich herausgestellt, daß er, Oba Schalk, eine ziemlich bedeutende Persönlichkeit war, ein Mann von edlem Geblüt und adliger Geburt! Er fragte sich, ob er sich korrekterweise jetzt nicht Oba Rahl nennen sollte, und überlegte, ob er nicht in Wirklichkeit ein Prinz sei.

Dieser Gedanke erschien ihm durchaus verlockend. Unglücklicherweise hatte seine Mutter ihn jedoch in bescheidenen Verhältnissen großgezogen, daher kannte er sich in der Frage, welcher Rang oder welcher Titel ihm von Rechts wegen zustand, nicht besonders gut aus.

Außerdem wurde ihm klar, daß seine Mutter eine Lügnerin war. Sie hatte ihrem eigenen Sohn, ihrem eigen Fleisch und Blut – Darken Rahls Fleisch und Blut – seine wahre Identität verschwiegen. Wahrscheinlich war sie nachtragend und neidisch und wollte nicht, daß Oba von seinem hohen gesellschaftlichen Rang erfuhr. Ständig versuchte sie, ihn kleiner zu machen als er war, dieses Miststück.

Oba huschte verstohlen über die Schneefläche, um sich hinter dem dicken Stamm einer Eiche zu verstecken, und beobachtete, wie das Pärchen mit eiligen Schritten den Pfad zwischen den Bäumen in Richtung Straße hinunterlief. Als sie außer Sicht waren, folgte er ihren Fußstapfen. Eigentlich war er etwas zu kräftig gebaut, um sich hinter einem Baumstamm zu verstecken, aber in der Dunkelheit war das sicherlich kein Problem.

Diese Frau hatte von einem Quadron gesprochen. Zum Teil war es das, was ihn beunruhigte. Oba hatte bereits vage von Quadronen gehört, angeblich handelte es sich um eine Art gedungene Mörder – von Lord Rahl höchstpersönlich ausgesandte Meuchelmörder, die auf besonders wichtige oder als gefährlich geltende Personen angesetzt wurden. Vielleicht war das der Grund: Die beiden waren gefährliche Leute und am Ende doch keine gewöhnlichen Diebe.

Den Namen der Frau hatte Oba deutlich verstanden – Jennsen.

Aber was ihn wirklich die Ohren hatte spitzen lassen, war die Tatsache, daß Lathea eine Schwester namens Althea hatte – noch eine von diesen vermaledeiten Hexenmeisterinnen – und diese Althea die Einzige war, die diese Lücken in der Welt erkennen konnte. Das war es, was ihn am allermeisten beunruhigte, denn genau dieselben Worte hatte Lathea ihm gegenüber gebraucht.

Auf rätselhafte Weise schienen diese Frau namens Jennsen und er das zu sein, was Lathea als Lücken in der Welt bezeichnet hatte. Es klang irgendwie wichtig. Irgendwie war diese Jennsen so wie er, irgend etwas verband sie beide miteinander. Der Gedanke faszinierte ihn und er hätte sie sich gern genauer angesehen. Als sie sich umdrehte, war gerade Zeit für einen flüchtigen Blick gewesen, aber dieser flüchtige Blick hatte genügt, um zu erkennen, daß sie eine bemerkenswert schöne junge Frau war.

Oba versuchte noch immer, zwischen all den neuen Dingen, die er hinzugelernt hatte, einen Zusammenhang herzustellen. Das Ganze war überaus kompliziert – so viel zumindest war ihm klar. Er durfte nichts unberücksichtigt lassen, wenn sich alles ineinander fügen sollte. Als er zum nächsten Baum weiterhuschte, entschied er, daß es wohl das Beste wäre, Jennsen und Sebastian, diesen Kerl in ihrer Begleitung, genauer unter die Lupe zu nehmen.

Obwohl die beiden sich ständig umschauten, hatte Oba bei dieser Dunkelheit keine Mühe, ihnen unbemerkt zu folgen; nachdem sie die ersten Gebäude erreicht hatten, wurde es sogar noch einfacher. Nicht viel später öffneten sie die Tür zu einem Gasthaus. Gelächter und Musik drangen heraus auf die Straße – so, als sei man bereits dabei, das Ableben der Hexenmeisterin zu feiern. Schade nur, daß niemand wußte, wer der Held war der diesen Nagel zu ihrer aller Sarg beseitigt hatte. Wenn die Leute wüßten, was er, Oba, soeben vollbracht hatte, würde er vermutlich so viele Krüge spendiert bekommen, wie er sich nur wünschen konnte. Er sah zu, wie Jennsen und Sebastian im Innern der Gaststube verschwanden. Die Tür fiel mit einem dumpfen Knall ins Schloß, und die Stille der winterlichen Nacht kehrte zurück.

Oba wischte sich die Nase an seinem Jackenärmel ab und nahm Kurs Richtung Tür. Es war höchste Zeit, ein gemütliches Wirtshaus aufzusuchen und sich ein Gläschen zu genehmigen. Wenn jemand das verdient hatte, dann Oba Rahl. Jennsen musterte die Gesichter in der Gaststube argwöhnisch.

»Bleibt ganz ruhig«, ermahnte Sebastian sie leise. »Wir wollen auf keinen Fall Verdacht erregen.« Stufe um Stufe stiegen sie die Treppe hinauf, gemächlichen Schritts, wie ein Paar, das einfach sein Zimmer aufsucht.

Dort angekommen, sammelte Jennsen sogleich einige Dinge zusammen, die sie ihren Rucksäcken entnommen hatten, und stopfte sie wieder hinein, zurrte Riemen und Schnallen fest. Latheas grausiges Schicksal schien sogar Sebastian den letzten Nerv geraubt zu haben, denn er überprüfte ständig die Waffen unter seinem Umhang.

»Wollt Ihr wirklich nicht wenigstens ein bißchen schlafen? Lathea kann ihnen unmöglich etwas verraten haben – sie wußte nicht, daß wir hier im Gasthaus abgestiegen sind. Vielleicht wäre es besser, ausgeschlafen im Morgengrauen aufzubrechen.«

Sie warf ihm einen Blick zu, während sie sich ihren Rucksack über die Schulter warf.

»Also gut«, sagte er. Dann packte er sie beim Arm und fügte hinzu, »Ihr müßt Euch aber unbedingt zusammennehmen, Jennsen. Wenn Ihr anfangt zu laufen, werden die Leute den Grund dafür wissen wollen. Benehmt Euch einfach, als gingen wir hinunter, um ein Glas zu trinken oder der Musik zuzuhören.«

Beschämt nickte sie erneut. »Ich schätze, diese Dinge liegen mir nicht besonders, das Weglaufen, wenn man mir so dicht auf den Fersen ist, meine ich. Ich war mein Leben lang auf der Flucht und mußte mich verstecken, aber nicht so, nicht, wenn sie so nah sind, daß ich ihren Atem fast im Nacken spüre.«

Er bedachte sie mit seinem freundlichen Lächeln. »Ihr seid in diesen Dingen ungeübt. Trotzdem bin ich wahrscheinlich noch keiner anderen Frau begegnet, die sich in einer solchen Lage so vorbildlich verhalten hätte. Ihr macht Eure Sache ausgezeichnet – wirklich.«

Als sie und Sebastian sich ihren Weg durch die Menge und hinaus an die Luft bahnten, stieß sie mit einem kräftig gebauten Mann zusammen, der ihren Weg kreuzte. Sie blickte hoch in sein ansehnliches Gesicht, erinnerte sich an ihn, derselbe Mann, den sie vor gar nicht so langer Zeit auf der Straße zu Latheas Haus gesehen hatten!

Er nahm zum Gruß seine Kappe ab. »’n Abend.« Dabei sah er sie grinsend an.

»Guten Abend«, erwiderte sie. Sie zwang sich, zu lächeln und dabei glaubhaft und normal zu wirken, war sich allerdings nicht sicher, ob sie ihre Sache gut machte; er schien es jedoch überzeugend zu finden.

Auch benahm er sich längst nicht mehr so schüchtern, wie sie dies zuvor bei ihm beobachtet zu haben meinte; sogar seine Körperhaltung, seine Bewegungen verrieten mehr Selbstsicherheit. Vielleicht tat ihr Lächeln, wie erhofft, seine Wirkung.

»Ihr zwei seht aus, als könntet Ihr einen Schluck vertragen. Eure Nasen sind ganz rot vor Kälte. Darf ich Euch an einem so frostigen Abend zu einem Bier einladen?«

Bevor Sebastian annehmen konnte, was, wie sie befürchtete, durchaus möglich schien, erwiderte Jennsen, »Vielen Dank, nein. Wir... haben noch etwas Geschäftliches zu erledigen. Trotzdem, das Angebot ist sehr freundlich von Euch.« Sie zwang sich abermals zu lächeln. »Vielen Dank.«