In den Äußerungen seiner Mutter klang erster Argwohn durch, doch darauf war Oba vorbereitet. Er beugte sich ein wenig näher zu ihr hin.
»Als das Feuer weit genug heruntergebrannt war, haben ein paar von uns Männern Schnee darüber geworfen, damit wir über die rauchenden Trümmer ins Haus selbst klettern konnten. Drinnen fanden wir dann Latheas Gebeine.«
Oba zog einen schwarz verkohlten Fingerknochen aus seiner Hosentasche und hielt ihn seiner Mutter hin. Sie starrte auf das grausige Indiz und verschränkte die Arme, ohne es jedoch in die Hand zu nehmen. Zufrieden über den erzielten Effekt, steckte Oba das kostbare Stück wieder ein. »Sie lag mitten im Zimmer, eine Hand über ihren Kopf erhoben, als hätte sie noch versucht die Tür zu erreichen und wäre dann vom Rauch überwältigt worden. Die Männer erzählten, es sei immer der Rauch, der die Menschen zusammenbrechen läßt; anschließend verbrannten sie dann in den Flammen. Genau so muß es sich auch bei Lathea zugetragen haben. Erst hat sie der Rauch übermannt, und dann, als sie auf dem Fußboden lag. die Hand nach der Tür ausgestreckt, ist sie in den Flammen umgekommen.«
Seine Mutter funkelte ihn wütend an, sagte aber nichts. Dieses eine Mal hatte es ihr die Sprache verschlagen. Er fand jedoch, daß ihr wütender Blick kein bißchen weniger unangenehm war. Die Aggressivität, die aus diesen Augen sprach, verriet ihm, was sie dachte, Er taugte nichts, ihr kleiner Bankert.
Sie ließ verdrießlich die Arme sinken und wandte sich ab. »Ich muß wieder zurück an meine Spinnerei für Mr. Tuchmann. Und du siehst zu, daß der Boden endlich sauber wird, hast du verstanden?«
»Aber ja, Mama.«
»Außerdem tätest du gut daran, das Freßgitter in Ordnung zu bringen, bevor ich zurückkomme und feststellen muß, daß du den ganzen Tag vertrödelt hast.« Mehrere Tage lang bearbeitete Oba den gefrorenen Mist auf dem Boden, ohne jedoch recht voranzukommen. Nach wie vor herrschte bitterkaltes Wetter, so daß der gefrorene Misthaufen eher noch härter geworden war. Sosehr er sich auch abmühte, ihn abzutragen, es schien aussichtslos, ganz so, als versuchte man, ein Stück Granitgestein mit dem Meißel zu bearbeiten. Oder das steinharte Gemüt seiner Mutter.
Natürlich waren da noch seine anderen Obliegenheiten, die er auf keinen Fall vernachlässigen durfte. Er hatte das Freßgitter repariert sowie ein gebrochenes Scharnier am Scheunentor. Er hatte die Tiere versorgt und hundert andere Kleinigkeiten erledigt.
Im Kopf jedoch, während der Arbeit, tüftelte er bereits an der Konstruktion des neuen Kamins. Er würde ihn vor die Trennwand zwischen Wohnbereich und Scheune setzen, da diese bereits existierte; in Gedanken schichtete er bereits Steine vor ihr auf, aus denen er dann die Brennkammer formen würde. Auch hatte er schon einen länglichen Stein ins Auge gefaßt, den er als Querbalken benutzen wollte, anschließend würde er alles ordnungsgemäß mit Mörtel verfugen. Wenn Oba sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, tat er alles, um es auch zu verwirklichen.
Vor seinem inneren Auge malte er sich aus, wie seine Mutter sich freuen würde, sobald sie sah, was er für sie gebaut hatte. Endlich würde sie begreifen, wie wertvoll seine Arbeit war, endlich würde er bei ihr Anerkennung finden. Doch bevor er mit dem Bau des Kamins anfangen konnte, mußte er noch verschiedene andere Arbeiten erledigen.
Irgendwann hatte sich aber dann der quälende Gedanke bei ihm festgesetzt, daß ein Mann von seiner Bedeutung seine Zeit vielleicht nicht mit einer derart niederen Arbeit verschwenden sollte. Gefrorener Dung, das schlug wohl kaum in das Fach eines Mannes, der aller Wahrscheinlichkeit nach so etwas wie ein Prinz war. Zumindest wußte er jetzt, daß er eine bedeutende Persönlichkeit war, ein Mann, in dessen Adern Rahl’sches Blut floß. ein unmittelbarer Nachkomme – der Sohn – jenes Mannes, der einst über ganz D’Hara geherrscht hatte, Darken Rahl. Vermutlich gab es keinen einzigen Menschen, der nicht irgendwann schon einmal von Darken Rahl, von Obas Vater, gehört hatte.
Früher oder später würde er seiner Mutter die Wahrheit ins Gesicht sagen, die sie ihm so lange vorenthalten hatte – die Wahrheit über den Mann, der er in Wirklichkeit war. Nur wußte er noch nicht so recht, wie er es anstellen sollte, ohne daß sie dahinterkam, daß ausgerechnet Lathea diese Information ausgeplaudert hatte.
Erschöpft stützte sich Oba mit den Unterarmen auf den Schaufelgriff; trotz der Kälte lief ihm der Schweiß aus seinen verfilzten Haaren.
»Oba, der Einfaltspinsel«, rief seine Mutter, als sie in die Scheune kam. »Steht rum, tut nichts, denkt nichts, taugt nichts. So ist es doch, oder etwa nicht, Oba, mein kleiner Einfaltspinsel?«
Sie blieb, ganz ruhig vor ihm stehen und musterte ihn angewidert.
»Ich hab bloß kurz verschnauft, Mama.« Dabei deutete er um sich, auf die Eissplitter, mit denen der Boden ringsum übersät war, Beweis seiner tatkräftigen Bemühungen. »Ich hab daran gearbeitet, Mama, wirklich.«
Sie sah nicht einmal hin, sondern durchbohrte ihn mit ihrem Blick. Er wartete, sich völlig darüber im Klaren, daß sie etwas ganz anderes beschäftigte als der gefrorene Misthaufen. Er spürte immer ganz genau, wenn sie darauf aus war, ihm Scherereien zu machen und ihm das Gefühl zu geben, nicht besser zu sein als der Mist, in dem er watete. Aus den dunklen Ecken und Verstecken überall in der gesamten Scheune verfolgten die Ratten aus ihren kleinen schwarzen Rattenaugen das Geschehen.
Den vorwurfsvollen Blick durchdringend auf ihn geheftet, hielt ihm seine Mutter eine Münze hin. Sie hielt sie zwischen Daumen und Zeigefinger, um ihm nicht einfach nur die Münze selbst, sondern ihre tiefere Bedeutung vor Augen zu führen.
Oba war ein wenig verdutzt. Lathea war tot, und in der Nähe gab es, zumindest seines Wissens, nirgendwo eine andere Hexenmeisterin, die seiner Mutter ihre Medizin beschaffen konnte – oder ihm seine Arznei. Trotzdem hielt er artig die Hand auf.
»Sieh sie dir genau an«, befahl sie und ließ die Münze in seine Hand fallen.
Oba hielt sie in das durch die Tür hereinfallende Licht und unterzog sie einer sorgfältigen Prüfung. Mit einem verstohlenen Seitenblick zu seiner Mutter hin drehte er die Münze um. Sorgfältig untersuchte er die Rückseite, vermochte aber noch immer nichts Außergewöhnliches zu entdecken.
»Ja. Mama?«
»Fällt dir daran etwas Ungewöhnliches auf, Oba?«
»Nein, Mama.«
»Da ist kein Kratzer am Rand.«
Oba besah sich die Münze noch einmal.
»Stimmt, Mama.«
»Es ist die Münze, die du mir zurückgegeben hast.«
Oba nickte, schließlich hatte er keine Veranlassung, ihr nicht zu glauben. »Richtig, Mama, die Münze, die du mir für Lathea mitgegeben hast.«
Ihr zornig funkelnder Blick war mörderisch, ihre Stimme dagegen klang erstaunlich ruhig und gefaßt. »Es ist nicht dieselbe Münze, Oba.«
Oba feixte. »Das ist sie ganz bestimmt, Mama.«
»Die Münze, die ich dir gegeben habe, hatte eine Markierung am Rand. Eine Markierung, die ich selbst dort angebracht habe.«
Obas Grinsen schmolz dahin, seine Gedanken rasten. Krampfhaft versuchte er darüber nachzudenken, was er sagen sollte – sagen konnte –, damit sie ihm glaubte. Er konnte wohl schlecht behaupten, die Münze in die Tasche gesteckt und dann bei der Rückgabe eine andere Münze hervorgezogen zu haben, denn schließlich wußte sie nur zu gut, daß er nie Geld hatte.
»Aber ... bist du wirklich sicher Mama? Vielleicht meinst du nur, du hättest sie markiert. Vielleicht hast du es ja vergessen.«
Das hinterhältige Weib traute nicht mal ihrem eigenen Sohn. Was war das eigentlich für eine Mutter? Und was hatte sie schon für Beweise, außer einem winzigen, nicht vorhandenen Kratzer am Rand einer Münze? Keinen einzigen. Die Frau war krank im Kopf. Er beschloß, dreist alles abzustreiten.
»Du irrst dich ganz bestimmt, Mama. Ich habe kein Geld – das weißt du doch. Wie sollte ich denn an eine andere Münze kommen?«
»Genau das würde ich auch gern wissen.« Ihre Augen waren furchterregend, er wagte unter ihrem sengenden, forschenden Blick kaum zu atmen. Ihre Stimme dagegen blieb weiterhin gefaßt, als sie sagte, »Ich hatte dir doch aufgetragen, von dem Geld Medizin zu kaufen.«