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»Wie hätte ich das tun sollen? Lathea ist tot, also habe ich dir die Münze zurückgegeben.«

Sie wirkte so stark und mächtig, wie sie dort vor ihm stand, ein Fleisch gewordener Racheengel, der gekommen war, seine Stimme im Namen der Toten zu erheben. Vielleicht war Latheas Seele zurückgekehrt, um ihn zu verpetzen, diese Möglichkeit hatte er noch gar nicht in Betracht gezogen. Das sähe dieser widerwärtigen Hexenmeisterin absolut ähnlich. Die Frau steckte auch im Jenseits noch voller Heimtücke.

»Weißt du eigentlich, warum ich dich Oba genannt habe?«

»Nein, Mama.«

»Es ist ein sehr alter d’Haranischer Name. Wußtest du das, Oba?«

»Nein, Mama.« Seine Neugier gewann die Oberhand über ihn. »Was bedeutet er?«

»Zweierlei, sowohl Diener als auch König. Ich habe dich Oba genannt, weil ich hoffte, du könntest eines Tages König werden, und wenn nicht, so wärst du wenigstens ein treuer Diener deines Schöpfers. Aber Narren werden nur selten Könige, daher wirst du wohl nie einer werden. Es war nichts weiter als der törichte Traum einer jungen, unerfahrenen Mutter. Bleibt also ›Diener‹. Und wem dienst du, Oba?«

Oba wußte nur zu gut, wem er diente, denn dadurch war er unbesiegbar geworden.

»Woher hast du diese Münze. Oba?«

»Hab ich doch schon gesagt, Mama. Ich konnte deine Medizin nicht kaufen, weil Lathea bei dem Brand in ihrem Haus ums Leben gekommen war. Vielleicht hat irgendwas in meiner Hosentasche deine Markierung abgewetzt.«

Sie schien über seine Worte nachzudenken. »Bist du ganz sicher, Oba?«

Oba nickte, in der Hoffnung, sie endlich von dieser verworrenen Münzgeschichte ablenken zu können. »Aber ja, Mama.«

Seine Mutter zog eine Braue hoch. »War es wirklich so, Oba?«

Sie zog langsam ihre Hand aus der Tasche ihres Kleides. Er konnte nicht erkennen, was sie darin hielt, war aber erleichtert, weil er offenbar im Begriff war, sie endlich zur Vernunft zu bringen.

»Aber ja, Mama, Lathea war tot.« Er merkte, daß es ihm gefiel, die Worte auszusprechen.

»Wirklich, Oba? Du konntest die Medizin gar nicht kaufen? Du würdest deine Mutter doch niemals anlügen, oder, Oba?«

Er schüttelte entschieden den Kopf. »Bestimmt nicht, Mama.«

»Und was ist dann das hier?« Sie drehte ihre Hand um und hielt ihm das Medizinfläschchen unter die Nase, das Lathea ihm gegeben hatte, bevor er sich eingehender mit ihr beschäftigt hatte. »Das habe ich in deiner Jackentasche gefunden, Oba.«

Oba starrte auf das vermaledeite Fläschchen, die Rache dieser widerwärtigen Hexenmeisterin. Er hätte die Frau auf der Stelle umbringen sollen, bevor sie ihm das verräterische Fläschchen geben konnte. Hatte er doch tatsächlich vergessen, daß er es – in der Absicht, es noch am selben Abend auf dem Nachhauseweg im Wald fortzuwerfen – in eine seiner Jackentaschen gesteckt hatte! Wegen der vielen wichtigen Dinge, die er in letzter Zeit hinzugelernt hatte, war ihm das verdammte Medizinfläschchen völlig entfallen.

»Nun, ich denke ... ich denke, es muß wohl ein altes Fläschchen sein.«

»Ein altes Fläschchen? Es ist bis oben hin voll!« Da war er wieder, dieser schneidend scharfe Ton in ihrer Stimme. »Wie hast du es bloß angestellt, von einer Toten ein Fläschchen mit Arznei zu bekommen – noch dazu in ihrem bereits abgebrannten Haus? Wie, Oba? Und wie kommt es, daß du mir eine andere Münze zurückgegeben hast als die, die ich dir zum Bezahlen mitgegeben habe? Raus mit der Sprache!« Sie machte einen Schritt auf ihn zu. »Wie, Oba?«

Oba wich einen Schritt zurück. Er konnte seine Augen nicht von der vermaledeiten Medizin losreißen.

»Na ja, ich ...«

»Na ja was, Oba? Na ja was, du widerlicher Bankert, du nichtsnutziger, arbeitsscheuer, verlogener Wechselbalg. Du niederträchtiger, hinterhältiger, widerwärtiger Bastard, Oba Schalk.«

»Oba Rahl«, verbesserte er.

Sie zuckte nicht mal mit der Wimper. In diesem Augenblick wurde ihm bewußt, daß sie ihn die ganze Zeit dazu getrieben hatte, es zuzugeben; es war alles Teil ihres Plans. Dieser Name, Rahl, schrie geradezu heraus, woher er sein Wissen hatte, und verriet es seiner Mutter. Oba stand da wie versteinert, sein Verstand befand sich im Zustand unbändiger Panik, wie bei einer Ratte, deren Schwanz von einem Stiefel festgehalten wurde.

»Bei den Seelen, ich will verdammt sein«, entfuhr es ihr leise. »Ich hatte tun sollen, was Lathea mir immer schon geraten hat. Ich hätte uns das alles ersparen sollen. Du hast sie umgebracht, du widerlicher Bankert, du abscheulicher, verlogener...«

Flink wie ein Wiesel ließ Oba die Schaufel herumschnellen und legte sein ganzes Gewicht und all seine Körperkraft in den Schlag. Das stählerne Schaufelblatt tönte beim Zusammenprall mit ihrem Schädel wie eine Glocke.

Wie ein Sack Getreide, den man vom Heuboden herunterstößt, klatschte seine Mutter auf den Boden.

Oba sprang hastig einen Schritt zurück, aus Angst, sie könnte wie eine Spinne auf ihn zugekrabbelt kommen, um ihm mit ihrem boshaften kleinen Mund in den Knöchel zu beißen. Er hatte nicht den geringsten Zweifel, daß sie dazu fähig wäre. Dieses heimtückische Weibsstück!

Blitzschnell versetzte er ihr mit der Schaufel einen zweiten Schlag. In einem von Angst und Wut genährten Tobsuchtsanfall drosch er dann wieder und wieder mit der Schaufel auf ihren Schädel ein. Die Ratten, die aus ihren winzigen kleinen Rattenaugen zugeschaut hatten, verzogen sich ängstlich in ihre Löcher.

Oba taumelte zurück, völlig außer Atem von der gewaltigen Anstrengung, sie zum Schweigen zu bringen. Keuchend betrachtete er ihren reglosen Körper, der ausgestreckt auf dem gefrorenen Dung lag. Ihre zu beiden Seiten ausgebreiteten Arme schienen um eine Umarmung zu bitten. Dieses hinterhältige Weibsstück. Womöglich führte sie etwas im Schilde, wahrscheinlich wollte sie Besserung geloben und erbot sich, ihn zu umarmen, so als könnte das die unzähligen Male ungeschehen machen, die er im Verschlag hatte zubringen müssen.

Ihr Gesicht hatte sich verändert, der Ausdruck war irgendwie komisch; auf Zehenspitzen ging er näher heran. Der Schädel hatte völlig seine Form verloren, und dieser Anblick war so ungewohnt, daß es ihm nicht gelang, seine Gedanken zu ordnen.

Mamas Melonenschädel, zerplatzt wie eine reife Frucht.

Sicherheitshalber schlug er, so schnell es ihm möglich war, noch dreimal auf sie ein, dann ging er, die Schaufel schlagbereit, auf sichere Entfernung, für den Fall, daß sie plötzlich aufsprang und ihn anschnauzte. Das sähe ihr durchaus ähnlich, diese Heimtücke.

In der Scheune war nach wie vor alles ruhig. Er sah, wie sein Atem stoßweise in der kalten Luft verdampfte. Aus seiner Mutter entwich keine Atemluft, ihre Brust hatte aufgehört sich zu bewegen. Die rote Lache um ihren Kopf sickerte über den Mist ringsum; einige der Löcher, die er herausgehackt hatte, füllten sich mit dem flüssigen Inhalt ihres seltsam melonenartigen, völlig zerschmetterten Schädels.

In diesem Augenblick keimte in Oba die Gewißheit, daß seine Mutter nie wieder häßliche Dinge zu ihm sagen würde. Nicht gerade mit Klugheit geschlagen, hatte sie vermutlich Latheas Nörgeleien nachgegeben und sich einreden lassen, sie hasse ihn, ihren einzigen Sohn. Die beiden Frauen hatten sein Leben absolut beherrscht, er war nichts weiter gewesen als der machtlose Diener dieser zwei machtgierigen Weiber.

Welch ein Glück, daß er endlich unbesiegbar geworden war und sich von beiden befreit hatte.

»Möchtest du wissen, wem ich diene, Mama? Ich diene der Stimme, die mich unbesiegbar gemacht hat, der Stimme, die mich von dir befreit hat.«

Seine Mutter wußte nichts darauf zu erwidern. Endlich einmal hatte sie nicht das letzte Wort.

Oba mußte grinsen.

Er zog sein Messer. Er war ein neuer Mensch, ein Mann, der sich den geistigen Anforderungen stellte, so wie sie sich ergaben. Deshalb fand er, er sollte einen Blick riskieren und nachsehen, was sich sonst noch an merkwürdigen und seltsamen Dingen im Innenleben seiner Mutter finden ließe.