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Draußen tröpfelte der Regen gegen die Fensterscheiben. Obwohl erst Mittag, war es unter den gemächlich dahinziehenden, gelegentlich einen Schauer bringenden Wolken so düster, als dämmerte es bereits.

Friedrich sah auf, schaute von seinem Arbeitsplatz im Hinterzimmer durch die Türöffnung in den eigentlichen Wohnraum und beobachtete seine Frau, die mit vertrauten Bewegungen ihre Steine über die Huldigung streute. Er hatte die Linien ihrer Huldigung vor vielen Jahren vergoldet – den achtstrahligen Stern innerhalb eines Kreises, der von einem Quadrat mit einem weiteren umliegenden Kreis umschlossen wurde –, natürlich erst, nachdem sie alles ganz präzise vorgezeichnet hatte. Hätte er sie gezeichnet, wäre die Huldigung unbrauchbar gewesen, denn nur wer die Gabe besaß, war fähig, eine echte Huldigung zu zeichnen.

Es bereitete ihm Freude, alles in seiner Macht stehende zu tun, um ihr Leben ein wenig schöner zu gestalten, schließlich war sie es, die sein Leben lebenswert machte. Seiner Ansicht nach konnte nur der Schöpfer selbst ihrem Lächeln diesen goldenen Glanz verliehen haben.

Friedrich sah auch, wie die Frau, die sich wegen einer Weissagung bis zu ihrem Haus gewagt hatte, sich erwartungsvoll vorbeugte, um ganz gefesselt die Entwicklung ihres Schicksals zu verfolgen.

Diese Frau, mittleren Alters und verwitwet, war eine sympathische Person, die Althea bereits zweimal aufgesucht hatte, das lag jedoch einige Jahre zurück. Ganz in seine Arbeit versunken, hatte er zerstreut zugehört, wie sie Althea von ihren erwachsenen Kindern erzählte, die allesamt verheiratet waren und ganz in ihrer Nähe lebten, und daß ihr erstes Enkelkind unterwegs sei. Nun aber war es kein Kind, sondern der Fall der Steine, dem ihre ganze Aufmerksamkeit galt.

»Wieder?«, rief sie. Es war weniger eine Frage als vielmehr ein Ausdruck der Verblüffung. »Jetzt haben sie es schon wieder getan.«

Althea enthielt sich eines Kommentars. Friedrich polierte das frisch aufgetragene Gold und lauschte auf die vertrauten Geräusche seiner Frau beim Aufnehmen der Steine vom Brett.

»Tun sie das öfters?«, wollte die Frau wissen. Althea antwortete ihr nicht. Die Frau rieb sich so fest die Knöchel, daß Friedrich befürchtete, die Haut könnte sich lösen. »Was hat das zu bedeuten?«

»Still«, murmelte Althea, während sie die Steine in ihrer hohlen Hand schüttelte.

Friedrich hatte seine Frau gegenüber einer Kundin noch nie so verschlossen erlebt. Von dem knöchernen Klacken der Steine in Altheas locker geschlossener Faust schien eine gewisse Dringlichkeit auszugehen. Die Frau rieb sich in Erwartung ihres Schicksals erneut die Knöchel.

Abermals rollten die sieben Steine über das Brett, um die heiligen Geheimnisse des Schicksals preiszugeben.

Von seinem Platz aus konnte Friedrich den Fall der Steine nicht sehen, hörte aber das vertraute Klackern, wenn ihre unregelmäßigen Formen über das Brett kullerten. Nach all den Jahren sah er Althea nur noch selten bei der Ausübung ihres Berufes zu, das heißt, dem eigentlichen Werfen der Steine; nichtsdestoweniger war es für ihn auch nach all den Jahren noch ein Genuß, Althea anzuschauen.

Die Frau hielt erschrocken den Atem an. »Schon wieder!«, flüsterte sie dann tonlos. Wie um ihre Bemerkung zu unterstreichen, rollte fernes Donnergrollen über das Haus hinweg. »Was mag das nur bedeuten, Lady Althea?« Der besorgte Unterton in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

Althea, auf ihrem Kissen auf dem Boden liegend, die kraftlosen Beine seitlich ausgestreckt, stützte sich mit einem Arm vom Boden ab, um sich aufzurichten. Schließlich sah sie die Frau an.

»Es bedeutet. Margery, daß Ihr eine Frau von großer seelischer Kraft seid ...«

»Das hier bin ich, einer von diesen beiden Steinen? Eine Frau von großer seelischer Kraft?«

»Ganz recht«, bestätigte Althea mit einem Nicken.

»Und der andere? Das kann doch unmöglich etwas Gutes verheißen, nicht an dieser Stelle.«

»Ich war gerade im Begriff, Euch zu erklären, daß die Position des anderen Steins, so wie sie sich nach jedem Wurf ergibt, ebenfalls für eine Person von großer seelischer Kraft steht und zwar für einen Mann.«

Margery rieb sich nervös die Knöchel und besah sich die Steine auf dem Brett noch einmal. »Aber aber sie fallen beide ...« Sie machte eine fahrige Handbewegung. »Sie fallen beide immer dorthin ... ganz an den Rand, außerhalb des äußeren Kreises. In die Unterwelt.« Ihre besorgten Augen versuchten Altheas Gesicht zu ergründen.

Althea umfaßte ihre Knie und zog ihre Beine vor den Körper wo sie sie übereinander schlug. Obwohl sie keine Kraft mehr in den Beinen hatte und sie nahezu nutzlos waren, fiel ihr das aufrechte Sitzen leichter, wenn sie sie vor ihrem auf dem Boden liegenden Kissen verschränkte.

»Ach was, nein, meine Liebe, keineswegs. Begreift Ihr denn nicht? Das verheißt etwas Gutes. Diese beiden starken Seelen gehen gemeinsam durchs Leben und durch alles, was danach kommt. Ein besseres Ergebnis könnte eine Weissagung gar nicht haben.«

Margery betrachtete das Brett erneut mit sorgenvoller Miene. »Wirklich? Ganz bestimmt, Lady Althea? Eurer Ansicht nach ist es ein gutes Zeichen, wenn sie ... das immer wieder tun?«

»Selbstverständlich, Margery. Das Ergebnis ist eindeutig positiv. Zwei starke Seelen, die zueinander finden.«

Nachdenklich sah Margery hoch zu Althea. »Aber wer könnte es sein? Wer ist dieser geheimnisvolle Mann, den ich bald kennen lernen werde?«

Althea zuckte mit den Achseln. »Für eine solche Aussage ist es noch zu früh. Aber die Steine sagen, daß Ihr einem Mann begegnen werdet« – sie preßte zur Verdeutlichung Zeige- und Mittelfinger fest gegeneinander – »und daß Ihr beide unzertrennlich sein werdet. Meinen Glückwunsch, Margery. Es sieht ganz so aus, als solltet Ihr schon bald das Glück finden, das Ihr sucht.«

»Wann wird es so weit sein?«

Wieder zuckte Althea mit den Achseln. »Für eine solche Aussage ist es noch zu früh. Die Steine sagen lediglich, daß etwas geschehen wird, nicht wann. Vielleicht schon morgen, vielleicht erst nächstes Jahr. Das Wichtige aber ist, daß Ihr über kurz oder lang einem Mann begegnen werdet, der gut zu Euch sein wird, Margery. Ihr müßt von nun an die Augen offen halten.«

»Aber wenn die Steine doch sagen ...«

»Die Steine sagen, daß er stark und Euch gegenüber aufgeschlossen ist, aber sie legen es nicht unverrückbar fest. Das bleibt Euch und diesem Mann vorbehalten. Seid offen für ihn, wenn er in Euer Leben tritt, sonst könnte es sein, daß er vorübergeht, ohne Euch zu bemerken.«

»Das werde ich tun, Lady Althea.« Ihre Stimme klang bereits merklich überzeugter. »Ganz bestimmt. Ich werde mich bereithalten, und wenn er dann wie zufällig in mein Leben tritt, werde ich ihn erkennen, und er mich auch – genau so. wie die Steine es geweissagt haben.«

»Gut.«

Die Frau kramte in dem ledernen Geldbeutel, der an ihrem Gürtel hing, bis sie eine Münze gefunden hatte. Sichtlich zufrieden mit dem Ergebnis ihrer Weissagung, war sie gern bereit, sich von dem Geldstück zu trennen.

Nahezu vier Jahrzehnte schaute Friedrich jetzt schon zu, wie Althea ihre Weissagungen machte, und noch nie hatte er in all den Jahren erlebt, daß sie jemanden angelogen hätte.

Die Frau erhob sich und reichte ihr die Hand. »Darf ich Euch aufhelfen, Lady Althea?«

»Danke, meine Liebe, aber Friedrich wird mir helfen, später. Im Augenblick möchte ich noch ein wenig vor meinem Brett sitzen bleiben.«

Die Frau lächelte, wahrscheinlich träumte sie bereits von dem neuen Leben, das sie erwartete. »Nun, dann sollte ich mich jetzt besser auf den Weg machen, bevor es noch später wird ... und die Nacht hereinbricht. Außerdem ist es ein langer Ritt zurück.« Sie beugte sich ein Stück zur Seite und winkte durch die offene Tür. »Schönen Tag noch, Meister Friedrich.«