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»Sieben«, sagte sie leise. »Siebenmal sieben Steine.«

Man hörte einen tiefen, hallenden Donner, eine unzufriedene Stimme der Seelen aus der Unterwelt.

Friedrich legte seiner Frau eine Hand auf die Schulter. Eine Erscheinung war in ihr Haus eingedrungen und hatte sich in ihr Leben gedrängt; sehen konnte er sie nicht, aber er wußte, daß sie da war. Eine ungeheure Mattigkeit befiel ihn, so als spürte er plötzlich all die Jahre seines Lebens auf einmal, die ihn unter ihrem Gewicht zu erdrücken schienen und ihm das Gefühl gaben, alt, sehr alt zu sein. Er fragte sich, ob dies in geringerem Maß der Mattigkeit entsprach, die sie stets nach einer Weissagung verspürte. Die Vorstellung, sich immer in einem solchen Zustand emotionaler Aufgewühltheit zu befinden, ließ ihn schaudern. In ihrer Blindheit für die Turbulenzen der stürmischen Kräfte rings um sie her erschien ihm seine Welt, die Welt des Vergoldens, im Vergleich dazu sehr einfach und glücklich.

Das Schlimmste aber war, daß er sie vor dieser unsichtbaren Bedrohung nicht schützen konnte. In dieser Hinsicht war er völlig hilflos.

»Was hat das zu bedeuten, Althea?«

Sie hatte sich nicht von der Stelle gerührt und starrte noch immer unverwandt auf die abgewetzten dunklen Steine.

»Es kommt jemand, der die Stimmen hört.«

Ein blendender, wütender Blitz zuckte und ließ den Raum in seinem weißen Gleißen taghell aufleuchten, der flimmernde Kontrast zwischen strahlend hellem Licht und alles erstickender Dunkelheit war Schwindel erregend. Das heftige Flackern schien noch nicht ganz erloschen, als ein krachender Donnerschlag erfolgte, dessen dumpfer Nachhall den Boden erzittern ließ. Unmittelbar darauf folgte ein weiteres ohrenbetäubendes Krachen.

Friedrich schluckte. »Weißt du auch, wer?«

Sie langte hinauf und tätschelte die auf ihrer Schulter ruhende Hand. »Tee. hast du gesagt? Mir ist ein wenig kalt vom Regen. Ja, ich hätte gern einen Tee.«

Sein Blick wanderte von ihren faltigen, lächelnden Augen zu den Steinen auf ihrer Huldigung. Was immer der Grund sein mochte, im Augenblick war sie nicht bereit, die Frage zu beantworten; also stellte er statt dessen eine andere.

»Warum sind deine Steine so gefallen, Althea? Was könnte das bedeuten?«

Ganz in der Nähe schlug ein Blitz ein; das anschließende Krachen des Donners fühlte sich an, als bestünde die dabei zerreißende Luft aus massivem Stein. Der Regen peitschte in hemmungslosen Wellen gegen die Fensterscheiben.

Schließlich löste Althea ihren Blick vom Fenster, hinter dem die Schöpfung ihrem Zorn freien Lauf ließ, und wandte sich wieder dem Brett zu. Sie streckte die Hand vor und berührte den Stein in der Mitte mit dem Zeigefinger.

»Der Schöpfer?«, riet er laut, bevor sie ihn benennen konnte.

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Lord Rahl.«

»Aber der Stern im Zentrum steht doch für den Schöpfer – für seine Gabe.«

»Innerhalb der Huldigung trifft das auch zu. Nur darfst du nicht vergessen, daß es sich hier um eine Weissagung handelt, das ist etwas völlig anderes. Eine Weissagung bedient sich lediglich der Huldigung, und in dieser Weissagung steht der Stein im Zentrum für den, der im Besitz Seiner Gabe ist.«

»Dann könnte es also jeder x-Beliebige sein«, erwiderte Friedrich. »Jeder, der die Gabe besitzt.«

»Nein. Die von den acht Zacken des Sterns ausgehenden Linien stellen die Gabe in dem Augenblick dar, da sie das Leben verläßt, den Schleier zwischen den Welten und anschließend den äußeren Kreis passiert, um schließlich in die Unterwelt einzudringen. Somit repräsentiert der Stern die Gabe auf eine Weise, wie dies bei keiner anderen Person möglich wäre, die Gabe für die Magie beider Welten, der Welt des Lebens und der Welt der Toten, additive und subtraktive Magie. In dem in der Mitte liegenden Stein vereint sich beides.«

Er blickte noch einmal auf den Stein im Zentrum der Huldigung. »Aber wieso sollte das ausgerechnet auf Lord Rahl hindeuten?«

»Weil er seit drei Jahrtausenden der Einzige ist, der mit beiden Seiten der Gabe geboren wurde. Während dieser endlos langen Zeit, bis er seine Gabe erhielt, ist kein von mir geworfener Stein jemals auf dieser Stelle liegen geblieben; es wäre auch gar nicht möglich gewesen.

Wie lange ist das jetzt her, daß der jetzige die Nachfolge seines Vaters angetreten hat – zwei Jahre?«

»Aber ich erinnere mich, wie du mir vor vielen Jahren erzählt hast, Darken Rahl habe sich beider Seiten der Magie bedient«, unterbrach Friedrich seine Frau.

Schreckliche Erinnerungen vor Augen, schüttelte Althea den Kopf. »Er hat sich auch subtraktiver Kräfte bedient, aber nicht aufgrund seiner Abstammung. Als Gegenleistung für die Gunst des Hüters mußte er ihm unschuldige Kinderseelen opfern. Darken Rahl hat sich die eingeschränkte Nutzung dieser Kräfte erkaufen müssen. Dieser Mann dagegen, der jetzige Lord Rahl. wurde mit beiden Seiten der Gabe geboren, wie früher die Altvorderen.«

Friedrich wußte nicht recht, was er davon halten sollte, worin nun die Gefahr bestand, die er so überdeutlich spürte. Der Tag, an dem der neue Lord Rahl an die Macht gekommen war, war ihm noch klar und deutlich in Erinnerung. Friedrich war im Palast gewesen, um seine vergoldeten Schnitzereien zu verkaufen, als das große Ereignis stattgefunden hatte. An diesem Tag hatte er den neuen Lord Rahl, Richard Rahl, gesehen.

Es war einer jener Augenblicke im Leben gewesen, die man nie vergaß – es war erst der dritte Lord Rahl zu Friedrichs Lebzeiten. Und dann war da noch das Schwert gewesen, das er trug, eine legendäre Waffe, wie man sie seit Friedrichs Kindertagen – lange vor Errichtung der Grenzen, die D’Hara vom Rest der Neuen Welt trennten – dort nicht mehr gesehen hatte.

Der frisch erkorene Lord Rahl war in Begleitung eines alten Mannes – eines Zauberers, dem Vernehmen nach – und einer außergewöhnlichen Frau durch die Korridore des Palastes des Volkes gewandelt. Die Frau mit ihrem langen, vollen Haar und ihrem weißen, schimmernden Kleid hatte den Prunk und die Eleganz des Palasts im Vergleich belanglos und gewöhnlich aussehen lassen.

Es schien kein Zweifel daran zu bestehen, daß Richard Rahl und diese Frau zusammengehörten. Friedrich sah es an den Blicken, die sie miteinander wechselten. Die Entschlossenheit, Treue und Verbundenheit in den grauen Augen dieses Mannes und den grünen Augen dieser Frau waren ebenso vollkommen wie unverkennbar gewesen.

»Und was ist mit den anderen Steinen?«, fragte er.

Althea wies auf den Bereich außerhalb des größeren Kreises der Huldigung, in den sich nur die goldenen Strahlen der Gabe des Schöpfers wagten und wo nun die beiden dunklen Steine in der Welt der Toten lagen.

»Das sind die, die die Stimmen hören«, meinte Althea.

Er nickte, als er seine Vermutung bestätigt sah. Es geschah nicht oft, daß seine aus dem Offenkundigen geschlossene Vermutung in Dingen, die sich mit Magie befaßten, auch tatsachlich richtig war.

»Und die anderen?«

Den Blick auf die vier auf den Kreuzpunkten der Linien liegenden Steine gerichtet, antwortete sie mit leiser Stimme, die sich mit dem Prasseln des Regens vermischte. »Das sind die Beschützer.«

»Wen beschützen sie? Lord Rahl?«

»Nein, uns alle.«

In diesem Moment bemerkte er. wie ihr Tränen über die Wangen liefen.

»Bete dafür«, sagte sie leise, »daß ihre Zahl groß genug sein möge, da wir sonst allesamt dem Hüter in die Hände fallen.«

»Soll das heißen, es gibt nur diese vier, die uns beschützen?«

»Es gibt auch noch andere, aber von diesen vier hängt alles ab.«

Friedrich benetzte die Lippen; er war sehr besorgt um das Schicksal der vier Wächter, die es mit dem Hüter der Toten aufzunehmen hatten. »Weißt du, wer sie sind, Althea?«

Daraufhin drehte sie sich um, schlang ihre Arme um ihn und schmiegte ihre Wange an seine Brust. Er hätte sich kaum eine kindlichere Geste vorstellen können; sie rührte ihn zutiefst und erinnerte ihn schmerzlich daran, wie sehr er sie liebte. Behutsam legte er seine Arme schützend um sie und tröstete sie.