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Ihre Beunruhigung wuchs. »Ein Kundschafter? Was sollte er in seiner eigenen Heimat auskundschaften wollen?«

Der Mann richtete den Blick in die Ferne, auf die tief stehenden dunklen Wolken. »Keine Ahnung. Ich habe mich nur gefragt, ob Ihr vielleicht etwas über ihn wißt.«

»Nein, natürlich nicht. Ich habe ihn doch eben erst gefunden.«

»Sind diese d’Haranischen Soldaten gefährlich? Ich meine, belästigen sie normale Bürger? Leute, die einfach auf der Durchreise sind?«

Ihr Blick wich seinem fragenden Blick aus. »Ich – das weiß ich nicht. Vermutlich, ja, das wäre möglich.«

Sie hatte Angst, zu viel zu verraten, andererseits wollte sie aber auch nicht, daß er durch ihre übertriebene Verschwiegenheit womöglich in Schwierigkeiten geriet.

»Was hat Eurer Meinung nach ein einzelner Soldat hier in dieser abgeschiedenen Gegend verloren? Es kommt nicht oft vor, daß Soldaten ganz allein unterwegs sind.«

»Auch das weiß ich nicht. Wieso glaubt Ihr eigentlich, daß eine einfache Frau mehr über das Soldatenleben weiß, als ein Mann von Welt, der viel herumgekommen ist? Könnt Ihr Euch nicht selbst einen Reim darauf machen? Vielleicht dachte er gerade an sein Mädchen daheim und hat deshalb nicht die nötige Vorsicht walten lassen. Vielleicht ist er deshalb ausgerutscht und abgestürzt.«

Er rieb sich abermals den Hals, so als hätte er dort Schmerzen.

»Verzeihung. Ich drücke mich wohl nicht besonders deutlich aus, denn ich bin ein wenig müde. Vielleicht denke ich nicht klar, vielleicht war ich auch nur Euretwegen besorgt.«

»Meinetwegen? Was wollt Ihr denn damit sagen?«

»Ich will damit sagen, daß Soldaten immer irgendeiner Einheit angehören. Und die anderen Soldaten wissen gewöhnlich, wo sie normalerweise zu finden sind. Soldaten ziehen nicht einfach aufs Geratewohl allein los. Bei ihnen ist das anders als bei einem einsamen Fallensteller, der verschwinden könnte, ohne daß jemand etwas davon erfährt.«

»Oder bei einem einsamen Reisenden?«

Ein nachsichtiges Lächeln nahm seinem Gesichtsausdruck etwas von seiner Angespanntheit. »Oder bei einem einsamen Reisenden.« Das Lächeln erlosch. »Worauf ich hinaus will, ist: Wahrscheinlich werden seine Kameraden nach ihm suchen. Wenn sie die Leiche hier finden, werden sie Truppen hierher beordern, um zu verhindern, daß irgend jemand das Gebiet verläßt. Sobald sie alle aufgegriffen haben, derer sie habhaft werden können, werden sie anfangen, Fragen zu stellen. Und nach allem, was ich von d’Haranischen Soldaten gehört habe, wissen sie, wie man dabei vorgeht. Sie werden über jeden, den sie verhören, alles bis ins kleinste Detail wissen wollen.«

Ein heftiges, widerwärtiges Gefühl der Bestürzung ließ Jennsens Magengegend krampfartig zusammenschrumpfen. Daß d’Haranische Soldaten ihr oder ihrer Mutter Fragen stellten, war das Letzte, was sie wollte. Dieser tote Soldat konnte am Ende ihren Tod bedeuten.

»Aber wie groß ist denn die Wahrscheinlichkeit, daß ...«

»Ich will damit nur sagen, ich möchte nicht, daß die Kameraden dieses Burschen hier aufkreuzen und auf die Idee kommen, jemand müsse für seinen Tod bezahlen. Womöglich betrachten sie es nicht als Unglück. Der Tod eines Kameraden wühlt Soldaten auf, auch wenn es nichts Vorsätzliches war. Wir zwei sind die beiden einzigen Personen in der Nähe. Ich möchte nicht erleben müssen, daß ein Trupp Soldaten den Toten findet und auf die Idee kommt, uns dafür verantwortlich zu machen.«

»Soll das etwa heißen, selbst wenn es ein Unglück war, könnten sie einen Unschuldigen festnehmen und ihm die Schuld daran geben?«

»Das weiß ich nicht, aber meiner Erfahrung nach verhalten Soldaten sich so. Wenn sie aufgebracht sind, suchen sie sich jemanden, dem sie die Schuld in die Schuhe schieben können.«

»Aber doch nicht uns. Ihr wart nicht einmal hier, und ich war nur auf dem Weg, um nach meinen Angelschnüren zu sehen.«

Er stützte einen Ellbogen auf seinem Knie ab und beugte sich über den Toten hinweg zu ihr. »Und dieser Soldat, unterwegs im Dienste des großen D’Haranischen Reiches, sieht eine hübsche junge Frau daherstolzieren und ist durch sie so abgelenkt, daß er ausrutscht und abstürzt.«

»Ich bin nicht ›daherstolziert‹!«

»Das wollte ich damit auch keineswegs andeuten, sondern Euch lediglich vor Augen führen, wie man einen Schuldigen findet, wenn man es darauf anlegt.«

Das hatte sie nicht bedacht! Dann dämmerte ihr allmählich, was er außerdem noch gesagt hatte. Noch nie hatte ein Mann Jennsen als hübsch bezeichnet. So unvermutet und deplaziert die Bemerkung hier, inmitten einer so Besorgnis erregenden Situation, sein mochte – sie fühlte sich geschmeichelt. Da sie nicht wußte. wie sie auf das Kompliment reagieren sollte, und da so viele wichtigere Gedanken ihre Gefühle beherrschten, tat sie ganz einfach so, als hatte sie es nicht gehört.

»Das Mindeste, was sie tun werden, wenn sie ihn finden«, fuhr der Mann fort, »ist, jeden in der Nähe aufzugreifen und ihn einem langwierigen und strengen Verhör zu unterziehen.«

Auf einmal sah sie all die unschönen Folgen nur zu deutlich vor sich; ihr Schicksalstag rückte auf einmal in bedrohliche Nähe.

»Was sollen wir Eurer Meinung nach also tun?«

Er dachte einen Augenblick nach. »Nun, sollten sie tatsächlich hier vorbeikommen, ohne ihn jedoch zu finden, hätten sie keinen Grund, hier zu bleiben und die Leute aus der Gegend zu verhören. Und wenn sie ihn hier nicht finden, werden sie woanders weiter nach ihm suchen.«

Er stand auf und sah sich um. »Der Boden ist zu hart, um ein Grab auszuheben.« Er zog seine Kapuze tiefer ins Gesicht, um seine Augen beim Suchen gegen den Nebel zu schützen. Dann zeigte er auf eine Stelle in der Nähe der Felsklippe. »Da. Dort ist eine tiefe Spalte, die mir groß genug erscheint. Wir könnten ihn hineinlegen und ihn mit Geröll und Steinen bedecken. Das beste Begräbnis, das wir ihm in dieser Jahreszeit geben können.«

Und vermutlich ein besseres, als er verdient hatte. Lieber hätte sie ihn einfach liegen lassen, aber das wäre gar nicht klug. Sie hatte ihn ja bereits verstecken wollen, bevor der Fremde zufällig des Weges gekommen war, und seine Vorgehensweise war eindeutig besser.

Er schaute sie an. »Der Mann ist tot, daran ist nichts zu ändern. Es war ein Unglück. Warum sollten wir uns durch dieses Mißgeschick in Schwierigkeiten bringen lassen? Wir haben nichts Unrechtes getan, wir waren ja nicht einmal hier, als es passierte. Ich sage, wir vergraben ihn und leben einfach weiter wie zuvor.«

Jennsen erhob sich; der Mann hatte einfach Recht. »Einverstanden«, sagte sie. »Wenn wir es wirklich tun wollen, sollten wir uns sputen.«

Er lächelte, eher aus Erleichterung denn aus einem anderen Grund, wie sie fand. Dann drehte er sich herum, um ihr unmittelbar ins Gesicht zu sehen, und schlug die Kapuze zurück, wie Männer dies aus Respekt gegenüber einer Frau zu tun pflegten.

Erschrocken stellte Jennsen fest, daß sein kurz geschorenes Haar schneeweiß war, dabei schien er höchstens sechs oder sieben Jahre älter als sie zu sein. Sie musterte es ebenso staunend, wie die Leute ihr rotes Haar bestaunten. Seine Augen schimmerten ebenso blau wie ihre, so blau, wie Erzählungen zufolge auch die ihres Vaters gewesen waren.

Die Kombination aus seinem kurzen weißen Haar und den blauen Augen bot einen eindrucksvollen Anblick, beides harmonierte mit seinem glattrasierten Gesicht und verschmolz mit seinen Gesichtszügen zu einer Einheit, die ihr absolut vollkommen zu sein schien.

Über den toten Soldaten hinweg reichte er ihr die Hand.

»Ich heiße Sebastian.«