»In Ordnung.« Vivian nickte. »Allerdings nur unter einer Bedingung. Wir sollten uns verpflichten, Stillschweigen über das zu bewahren, was wir vielleicht erfahren, bis die Verhandlungen wirklich abgeschlossen sind. Sonst greifen wir auf eine Art in diese Verhandlungen ein, die den normalen Lauf der Dinge möglicherweise verändern.«
Das war zwar äußerst unwahrscheinlich, aber Vivian hatte gar nicht vor, dem Pendel eine exakte Aussage zu entlocken, da sie wußte, daß sich trotz aller Zusicherungen höchstwahrscheinlich niemand an diese Bedingung halten würde, dennoch wartete sie, bis die anderen ihr Einverständnis erklärt hatten.
»Also gut. Fassen wir uns nun an den Händen, um den Kreis zu schließen.«
Sie griff nach den Händen ihrer beiden Tischnachbarn und begann, sich zu konzentrieren. »Werden die Geschäftsverhandlungen zwischen William Masterton und Mark Taylor Erfolg haben?« fragte sie laut.
Zwei, drei Minuten lang geschah gar nichts. Dann spürte sie einen Strom schwacher mentaler Kräfte, die auf sie eindrangen, sog sie in sich auf und bündelte sie, bevor sie sie kontrolliert an das Pendel weitergab. Es begann sich zu bewegen, fast unmerklich zunächst, als würde es nur von einem Lufthauch gestreift, dann schwang es etwas stärker, bis es deutlich sichtbar hin und her schwang.
»Es funktioniert!« stieß Amy Masterton hervor. Allem, was sie zuvor gesagt hatte zum Trotz, schien sie selbst nicht recht an einen Erfolg geglaubt zu haben. Der Konzentrationsfluß riß ab, und Vivian warf ihr einen strafenden Blick zu.
Wieder dauerte es mehrere Minuten, bis sie das Pendel zum Ausschlagen brachte, aber die Bewegungen waren noch unkoordiniert, in keiner Weise zielgerichtet. Die eigentliche Arbeit würde erst noch beginnen. Langsam und behutsam begann Vivian, mit ihren Gedanken nach dem Bewußtsein der anderen zu tasten, wobei sie das durch die gemeinsame Konzentration gewobene Band der Verbundenheit wie einen Leitfaden benutzte, an dem sie sich entlangtasten konnte. Spätestens an diesem Punkt wäre jedes unbegabte Medium gescheitert, doch ihr gelang es ohne große Anstrengung, die gesamte Gruppe unbemerkt in einen Zustand leichter Trance zu versetzen, in dem sie sich die kollektiven unterbewußten Kräfte leichter zunutze machen konnte.
»Werden die Geschäftsverhandlungen Erfolg haben?« wiederholte sie die Frage.
Erneut wirkte sie auf das Pendel ein, aber sie versuchte nicht, es als Werkzeug zu benutzen, um eine wahre Antwort zu erhalten, sondern beeinflußte es in ihrem Sinne. Sie ließ es stärker pendeln, bis es nacheinander einige der Buchstaben anschlug. Zunächst wollte sie ein vielleicht formen. Das Pendel schlug gegen das ›VIELLEICHT‹, das ›I‹, das ›E‹ und das ›L‹, dann setzte es ihr plötzlich Widerstand entgegen. Irritiert verstärkte Vivian ihre Bemühungen, zwang das Pendel erneut gegen das ›L‹, dann das ›E‹ und das ›I‹, dann wurde der fremde Einfluß größer.
Als würde es mit einemmal ein Vielfaches seines ursprünglichen Gewichts wiegen, blieb das Pendel unbeweglich in der Ausgangsposition ruhen, widersetzte sich all ihren Bemühungen, bis es plötzlich von selbst wild auszuschlagen begann.
C-H-T formte es das von Vivian geplante Wort zu Ende, fügte aber ohne ihr Zutun weitere Buchstaben hinzu: E-R--A-L-S--I-C-H--D-A-C-H-T-E.
Vivian begriff, daß es sich nicht mehr länger nur um ein Spiel handelte. Ihr geistiger Kontakt mit den anderen war abgebrochen, sie saßen reglos wie Statuen auf ihren Stühlen, mit weit aufgerissenen Augen ins Leere starrend. Anscheinend bekamen sie nicht einmal mehr mit, was geschah. Vivian wollte ihre Hände zurückreißen, um den Kreis zu durchbrechen, doch es gelang ihr nicht. Die Hände ihrer Tischnachbarn hielten ihre wie Schraubstöcke umfangen. Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn.
G-I-B--D-I-R--K-E-I-N-E--M-Ü-H-E, schrieb das Pendel.
Vivian hatte Mühe, die rasch aufeinanderfolgenden Buchstaben zu sinnvollen Worten zu ordnen. Das Tor in die Bereiche, mit denen sie nur als Medium Kontakt aufnehmen konnte, hatte sich sperrangelweit geöffnet, und sie hatte keinerlei Einfluß mehr auf das Geschehen.
»Mary-Lou!« rief sie. Aus der Dunkelheit jenseits des Tisches kam keine Antwort.
S-I-E--K-A-N-N--D-I-C-H--N-I-C-H-T--H-O-E-R-E-N, verkündete das Pendel. N-I-E-M-A-N-D--K-A-N-N--D-I-C-H--H-O-E-R-E-N.
»Wer bist du?« Sie hatte die Frage laut stellen wollen, doch es gelang ihr nicht. Sie war wie gelähmt, hatte nicht einmal mehr Macht über ihre Stimmbänder, aber es war auch nicht nötig, die Frage laut auszusprechen.
M-E-L-I-S-S-A, erhielt sie zur Antwort. I-C-H--B-I-N--D-U. Das Pendel verharrte kurz und fügte dann hinzu: D-E-I-N--W-A-H-R-E-S--I-C-H--D-A-S--D-U--B-I-S-L-A-N-G--S-T-E-T-S--U-N-T-E-R-D-R-U-E-C-K-T--H-A-S-T.
Die Buchstaben wurden nun so rasend schnell nacheinander angeschlagen, daß es Vivian kaum noch gelang, sie einzeln wahrzunehmen, aber sie hörte die unterschiedlichen Töne, die sich zu einer schrillen, disharmonischen Melodie zusammenfügten, deren Sinn sie auch ohne den Umweg über die einzelnen Buchstaben verstand. Verzweifelt bemühte sie sich, die Verbindung abreißen zu lassen, doch sie schaffte es nicht. Anders als zunächst geglaubt, gab es keinen fremden Einfluß, der Kontrolle über das Geschehen erlangt hatte, jedenfalls spürte sie keinen. Immer noch bestimmte sie allein mit ihren Kräften die Seance, aber sie gehorchten nicht mehr ihrem eigenen Willen, sondern schienen plötzlich ein unheimliches, furchterregendes Eigenleben entwickelt zu haben.
Ich bin Melissa, dein wahres Ich, das du bislang unterdrückt hast, durchzuckte sie noch einmal, was das Pendel behauptet hatte. Obwohl sie rund ein Dutzend Jahre Zeit gehabt hatte, sich an ihre medialen Kräfte zu gewöhnen und sie beherrschen zu lernen, waren sie ihr im Grunde immer fremd geblieben. Sie hatte es nicht wirklich ernst gemeint, als sie in der vergangenen Nacht zu Mark gesagt hatte, sie hätte Angst davor, daß ihre Fähigkeiten irgendwann sie beherrschen würde, aber bis zu einem gewissen Grad schien genau das jetzt zu passieren. Wieder mußte sie daran denken, daß sie in ihrem Traum eine Hexe gewesen war, die keinerlei Skrupel hatte, zu töten. Ihr Pulsschlag jagte, pochte dumpf in ihren Schläfen.
E-S--W-A-R--K-E-I-N--T-R-A-U-M--D-U--D-U-M-M-E-S--D-I-N-G verkündete das Pendel, wild hin und her, zu schnell, als daß das Auge den einzelnen Bewegungen noch folgen konnte, dennoch hatte Vivian keine Schwierigkeiten, die Worte anhand der aufklingenden Töne zu verstehen. Durch die rasenden Bewegungen schien sich das Pendel in eine glatte Fläche zu verwandeln, und Vivian schrie innerlich auf, als sich darin ein Gesicht zu formen begann. Es war ihr eigenes Gesicht, doch waren die Züge zu einer höhnischen Grimasse verzerrt, und die Augen schienen Vor Haß in verzehrendem Feuer zu lodern.
DU WIRST STERBEN SCHON BALD STERBEN STERBEN STERBEN ...
»Nein!« schrie Vivian gellend auf, und erst nach ein paar Sekunden wurde ihr bewußt, daß sie tatsächlich laut aufgeschrien und den Bann damit durchbrochen hatte. Die Bewegungen des Pendels hatten aufgehört, ruhig hing es an dem Faden herab. Vivian atmete tief durch.
Fragend schaute Mrs. Masterton sie an. »Wann geht es denn endlich los?« fragte sie ungeduldig.
Vivian riß ihre Hände so schnell zurück, als hätte sie sich daran verbrannt. Alles um sie herum schien unwirklich zu werden und begann sich zu drehen, dann sank sie ohnmächtig auf ihrem Stuhl zusammen.