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Ein leises Geräusch ließ ihn aufhorchen; ein Scharren oder Schleifen oben im Schlafzimmer. Er runzelte die Stirn, betrachtete für einen Moment die weißgetünchte Decke über sich und zuckte dann mit den Achseln. Wenn außer ihm noch eine weitere Person im Hause gewesen wäre, hätte ihm dies der Sicherheitsdienst längst mitgeteilt - das ganze Haus war in ein Netz von Videos und Mikrophonverbindungen eingesponnen, das direkt an die FBI-Zentrale angeschlossen war. Wahrscheinlich war eine von seinen drei Katzen oben im Schlafzimmer und spielte.

Cramer stand auf. Es wurde sowieso Zeit, nach oben zu gehen. Er war nicht eher aus dem Büro gekommen, um die Zeit zu vertrödeln.

Der Gedanke an den bevorstehenden Abend bereitete ihm Unbehagen. Wahrscheinlich würde es eine dieser öden, nicht enden wollenden Cocktailpartys werden, für die Bürgermeister Conelly berüchtigt war. Cramer verspürte nicht die geringste Lust, seine Zeit mit seichter Konversation und Händeschütteln zu vergeuden. Aber eine Einladung des Bürgermeisters konnte selbst er nicht so ohne weiteres ausschlagen. Außerdem waren noch einige weitere wichtige Männer eingeladen, mit denen er beruflich zu tun hatte, unter ihnen vor allem Croyd, der Leiter des größten privaten Sicherheitsdienstes, und Polizeipräsident Bender. Mit ihm mußte Cramer ohnehin sprechen. Vielleicht würde sich die Zeit doch noch einigermaßen nutzbringend verwenden lassen.

Er durchquerte das Wohnzimmer und stieg die Treppe hinauf. Das Haus verfügte zwar über einen Aufzug, der ins erste Stockwerk hinaufführte, doch Cramer verzichtete meistens darauf, ihn zu benutzen. Er bekam sowieso viel zu wenig Bewegung.

Das Schlafzimmer war kühl und dunkel. Die Klimaanlage, die eine stets gleiche Temperatur und Luftfeuchtigkeit gewährleistete, surrte leise. Die Jalousien waren heruntergelassen und ließen nur einen schmalen, flirrenden Lichtstreifen in den Raum. Cramer tastete nach dem Lichtschalter, knipste die Deckenleuchte an und ging zum Kleiderschrank hinüber.

Auf seinem Bett saß ein Mann.

Cramer blieb wie angewurzelt stehen, musterte den Fremden verblüfft, fragte sich einen Moment lang, wie dieser Mann ins Haus gekommen sein konnte, und schätzte ihn automatisch auf seine potentielle Gefährlichkeit hin ab. Das Ergebnis gefiel ihm nicht besonders.

»Mister Cramer.« Der Fremde lächelte flüchtig. »Schön, daß Sie kommen. Wie ich sehe, sind Sie pünktlich.«

»Wer sind Sie?« fragte Cramer ruhig, ohne sich seine Verblüffung anmerken zu lassen. »Und was wollen Sie? Wie kommen Sie hier herein?«

Der Mann stand mit geschmeidigen Bewegungen auf. Er war groß, fast zwei Köpfe größer als der gewiß nicht kleinwüchsige Cramer, schlank und muskulös. Seine Bewegungen waren irgendwie leicht, fast elegant, und zeugten von einem durchtrainierten Körper. Cramer wich unwillkürlich einen Schritt zurück, als der Mann auf ihn zukam. »Viele Fragen auf einmal«, sagte der geheimnisvolle Eindringling. »Mein Name ist Frank Porter, aber der wird Ihnen sicher nichts sagen. Und ich bin hier, um Sie mitzunehmen.«

Jeremy Cramer merkte, wie seine Nervosität stieg. Er spürte, daß dieser Mann gefährlich war, auch wenn es keine direkte Gefahr war, die er sehen konnte. Er hatte keine Angst vor körperlich überlegenen Gegnern. Seine FBI-Schulung befähigte ihn, leicht mit fünf solcher Figuren fertig zu werden, obwohl er etwas aus der Übung war, was seine körperliche Fitneß anbelangte. Aber irgend etwas war an dem Mann, das Cramer ängstigte. Eine Art ... Aura, eine unsichtbare Ausstrahlung, die den hünenhaften Fremden zu umgeben schien.

»Sie nehmen niemanden mit«, sagte Cramer kalt. Seine Hand fuhr mit einer blitzschnellen Bewegung in die Tasche und kam mit einer .38er Special wieder zum Vorschein. Der Sicherungshebel schnappte klickend zurück. »Ich möchte jetzt wissen, wer Sie sind und wie Sie hier hereinkommen«, sagte er ruhig. »Und wer Sie beauftragt hat.«

Frank Porter lächelte. Seine Hand schoß plötzlich vor, so schnell, daß Cramer die Bewegung erst wahrnahm, als seine Waffe schon im hohen Bogen davonflog, aber so schnell ließ sich der FBI-Mann nicht überrumpeln. Er wich zurück, fing den vorschnellenden Arm Franks mit dem Ellbogen ab und wich zur Seite aus. Seine Reflexe funktionierten noch so gut wie früher, als er im aktiven Dienst gewesen war. Der Angreifer taumelte an Cramer vorbei und kämpfte, von der Wucht seines eigenen Schlages mitgerissen, um sein Gleichgewicht. Cramers Fuß kam hoch, beschrieb einen Bogen und landete mit vernichtender Wucht an der Brust seines Gegners.

Porter jedoch schien den Treffer gar nicht zu spüren. Er fuhr herum, stieß ein ärgerliches Knurren aus und griff nach Cramers Handgelenken. Der FBI-Direktor schrie auf, als sich die Hände des Fremden wie Schraubstöcke um seine Gelenke legten und sie erbarmungslos zusammendrückten. In einer instinktiven Abwehr riß er die Knie hoch. Genausogut hätte er versuchen können, eine Planierraupe mit bloßen Händen aufzuhalten. Ein scharfer Schmerz zuckte durch sein Bein. Er hatte das Gefühl, gegen eine Stahlplatte getreten zu haben.

»Es hat keinen Zweck, Cramer«, zischte Frank. »Geben Sie auf. Ich will Sie nicht verletzen.«

Cramer wimmerte schmerzerfüllt, als sich der mörderische Griff der Hände noch verstärkte. Er brach vor dem Riesen auf die Knie.

»Gut so«, sagte Frank. »Wir haben schon viel zuviel Zeit verloren.« Er drehte sich um und schleifte Cramer wie eine gewichtslose Spielzeugpuppe hinter sich her, aber er ging nicht zur Tür. Sein Ziel war der mannshohe, dreigeteilte Spiegel, der neben dem Bett an der Wand hing.

Jeremy Cramer begann zu schreien, als sein Blick in den Spiegel fiel. Er sah sich selbst, eine hilflose, gefesselte Gestalt, die mit unwiderstehlicher Gewalt über den Boden geschleift wurde. Sein Oberkörper ragte in unmöglichem Winkel in die Luft, die Hände schienen haltsuchend nach oben zu greifen. Er konnte die Druckstellen sehen, die Porters brutaler Griff auf seinen Handgelenken hinterließen, seine Fußabdrücke im Teppich.

Aber der Fremde selbst war unsichtbar.

Der Spiegel schien plötzlich auf ihn zuzurasen. Cramer hörte das helle Splittern von Glas und spürte einen heißen, brennenden Schmerz, der über bloße körperliche Qual hinausging und sich tief in seine Seele zu fressen schien. Er hatte noch Zeit, einen letzten, halberstickten Schrei auszustoßen, dann versank die Welt um ihn in einem Wirbel aus Schmerzen und Kälte.

»Das ist Polizeichef Bender«, raunte Mark Vivian zu, als ein dynamischer, sonnenbankgebräunter Mittvierziger auf sie zukam, kaum daß sie den Ballsaal in Bürgermeister Conellys luxuriöser Villa betreten hatten. Der Mann sah eher aus wie ein aufstrebender Manager, fand Vivian.

»Ich freue mich, daß Sie gekommen sind, Mister Taylor«, sagte Paul Bender. Er schüttelte Mark die Hand und wartete, bis der ihn mit Vivian bekannt gemacht hatte und sie ihm ebenfalls die Hand reichte. Seine Haut fühlte sich kühl und glatt an. »Wir waren schon in Sorge, daß sie wegen der bedauerlichen Zwischenfälle vom heutigen Tag nicht kommen würden«, sagte er und zauberte ein nur halbwegs gelungenes Lächeln auf sein Gesicht.

»Sie wissen davon?«

»Sicher. Ich erfahre alles, was in meiner Stadt vorgeht. Oder jedenfalls fast alles«, fügte er mit einem listigen Lächeln hinzu. »Solche Gaunereien sind leider an der Tagesordnung.«

»Es war keine Gaunerei«, erwiderte Vivian ernst. Nach kurzem Zögern entschloß sie sich, Bender die Wahrheit zu sagen. Vielleicht besaß er tatsächlich Möglichkeiten, ihr das gestohlene Amulett wiederzubeschaffen. Wenn sie wie geplant morgen oder übermorgen mit Mark abreiste, würde es ansonsten bedeuten, sich mit dem Verlust einfach abzufinden, und dafür war ihr das Amulett zu wichtig. Der materielle Wert mochte gering sein, aber darauf kam es in diesem Fall nicht an.