»Was machen Ihre Verhandlungen?« erkundigte sich Conelly neugierig.
»Es läuft alles ganz hervorragend«, entgegnete Masterton. »Mark und ich sind uns bereits in einer Vielzahl von Punkten einig geworden. Wir hoffen, daß wir die Verträge morgen unterzeichnen können.«
»Es würde mich sehr freuen, wenn alles gutginge und Sie in Zukunft verstärkt auf dem amerikanischen Markt tätig würden, Mister Taylor«, kommentierte Conelly. »Diese Stadt braucht dringend weitere Steuergelder. Vielleicht sollte ich das als Bürgermeister nicht so offen sagen, aber es ist ja ohnehin kein Geheimnis.« Er lächelte, hakte sich jovial bei Vivian unter und zog sie fast gewaltsam mit sich. »Kommen Sie, überlassen wir die beiden ihren Geschäften. Sie werden schon nicht verlorengehen. Im Zweifelsfall finden wir sie bestimmt am Bufett wieder. Gefällt Ihnen unsere kleine Party?«
»Sicher«, antwortete Vivian ohne große Überzeugung.
»Also nicht.«
Vivian zuckte mit den Achseln. »Es ist ...«
»Etwas ungewohnt, ich weiß«, sagte Conelly und nickte. »Bei Ihnen in England geht es sicher gemütlicher zu. Aber Sie werden sehen, auch unsere hektische Lebensweise hat ihre Vorzüge.« Er streichelte Vivian mit einer väterlichen Geste die Hand, lächelte gutmütig und angelte zwei Gläser von einem Tablett. Eines gab er Vivian. »Trinken Sie, Kind«, sagte er. »Trinken Sie. Ich habe nur das Beste vom Besten kommen lassen. Alles nur Ihnen zu Ehren.«
Er sprach so schnell, daß Vivian Mühe hatte, seinen Worten zu folgen, und seine Bewegungen waren derart nervös, daß Vivian sich unwillkürlich an einen auf und ab hüpfenden Gummiball erinnert fühlte. Conelly war ein Mensch, für den man auf Anhieb Sympathie empfinden mußte: klein, ein wenig fett und mit einem gutmütigen, sanften Gesicht - der Typ des gütigen alten Mannes, den man zu Weihnachten in ein rotes Kostüm steckte und ihn die Kinder bescheren ließ. Vivian fragte sich unwillkürlich, wie es jemand wie Conelly schaffen konnte, zum Bürgermeister einer Stadt der Größe New Yorks zu werden.
»Dafür, daß Sie mich noch nicht einmal gekannt haben, ein beachtlicher Aufwand.«
»Was heißt nicht gekannt? Glauben Sie, ich würde keine Zeitungen lesen?«
»Und trotzdem wäre fast alles umsonst gewesen. Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich eine Weile mit mir gerungen. Ich wollte eigentlich gar nicht kommen.«
Conelly nickte verständnisvoll. »Mich öden diese Partys im Grunde auch an«, sagte er. »Aber von Zeit zu Zeit muß es sein.« Er nippte an seinem Glas, ließ seine kleinen, durchdringenden Augen blitzartig über die versammelte Menge gleiten und nahm Vivian abermals am Arm. »Kommen Sie, meine Liebe. Ich stelle Sie den anderen vor. Mister Bender kennen Sie ja bereits?«
»Flüchtig.«
Conelly scheuchte ein paar andere Partygäste beiseite und führte Vivian quer durch den Raum zu einer Nische. Musik und Stimmengewirr waren hier nicht ganz so laut. Conelly deutete auf eine Gruppe etwa gleichaltriger, in elegante Smokings gekleideter Männer. »Mister Croyd, Mister Bender, Mister Sorensen, Mister Cramer.« Conelly grinste listig. »Sozusagen das Gehirn der Stadt. Ihnen zu Diensten, Missis Taylor.«
Vivian musterte die vier Männer mit gemischten Gefühlen. Sie kannte die Namen bereits von Mark. Conellys harmlos klingende Worte waren kaum übertrieben. In den Händen dieser vier Männer - fünf, Conelly mitgerechnet - lag praktisch die gesamte Macht der Millionenstadt. Bender konnte im Notfall praktisch allein über die fünfunddreißigtausend Polizeibeamten der Stadt gebieten. Das gleiche galt für Cramer. Seine FBI-Truppe war wesentlich kleiner, aber deshalb nicht weniger schlagkräftig, zumal er jederzeit Verstärkung anfordern konnte. Croyd war alleiniger Geschäftsführer eines privaten Sicherheitsdienstes, über dessen wirkliche Größe nur er allein Bescheid wußte, aber wenn auch nur die Hälfte der Gerüchte zutrafen, die Vivian über ihn gehört hatte, mußte er über eine regelrecht Armee verfügen.
Und schließlich Sorensen - ein großer, schlanker Mann mit grauen Schläfen und durchdringenden Augen, Leiter der Gesundheitsbehörde. Wenn Sorensen nicht wollte, würde sich in der gesamten Stadt kein Rad mehr drehen. Vivian konnte die Aura der Macht, die die fünf Männer einhüllte, fast körperlich spüren. Der Eindruck war nur vage, nicht mehr als ein flüchtiges Gefühl. Irgend etwas ... Vivian versuchte, die Empfindung in Worte zu kleiden, aber es gelang ihr nicht. Diesen Männern schien irgend etwas gemein zu sein, ein unsichtbares Band, das sie verband, eine Gemeinsamkeit, die man nicht sehen, aber desto deutlicher spüren konnte. Wieder fiel ihr die seltsame Empfindung ein, die sie bei Benders Berührung gehabt hatte. Seine Haut hatte sich kühl und glatt und irgendwie hart angefühlt - und irgendwie sah Bender auch so aus. Sie hatte plötzlich das Gefühl, gar keinem lebenden Menschen, sondern einer Maschine gegenüberzustehen.
Vivian spürte einen fast unüberwindlichen Widerwillen in sich aufsteigen. Die Musik in ihren Ohren schien plötzlich schriller zu klingen. Die Bewegungen der vier Männer wirkten plötzlich irgendwie hölzern und gezwungen, und in ihren Stimmen, die bruchstückhaft zu ihr herüberdrangen, schien ein drohender Unterton mitzuschwingen. Vivian merkte kaum, wie Conelly sie ansprach. Erst, als er sie sanft am Arm berührte und sie dem besorgten Blick seiner Augen begegnete, löste sich der Bann, der von ihr Besitz ergriffen hatte.
»Was ist mit Ihnen, meine Liebe?« fragte Conelly. »Fühlen Sie sich nicht wohl?«
Vivian schüttelte hastig den Kopf. »Es ist ... nichts, Mister Conelly. Wirklich.«
Aber Conelly ließ sich nicht beirren. »Sie fühlen sich nicht wohl, nicht?« fragte er verständnisvoll. »Der lange Flug, dann der Klimawechsel ...« Er lockerte demonstrativ seinen Krawattenknoten. »Es ist verdammt heiß hier bei uns. Ich vergesse das manchmal, aber für jemanden, der das milde englische Wetter gewohnt ist, muß die Umstellung nicht so leicht zu verkraften sein.«
»Wirklich, Mister Conelly, es ist ... nichts weiter«, wehrte Vivian ab. »Wenn mir vielleicht jemand den Weg zum Bad zeigen könnte? Ich werde mich ein wenig frisch machen - danach geht es mir sicher besser.«
Conelly nickte, und Vivian registrierte erfreut, daß er ihre Erklärung offenbar akzeptierte. »Meine Frau wird Ihnen den Weg zeigen«, sagte er. Er drehte sich um, stellte sich auf die Zehenspitzen und schrie dann, ohne sich um Etikette oder die Feinheiten gesellschaftlichen Zusammenseins zu scheren: »Susan!«
Eine Reihe mißbilligender Blicke trafen Conelly, aber das schien ihn nicht zu stören. Cramer lächelte kalt. Offensichtlich war man ein derart exzentrisches Benehmen von Conelly gewohnt.
»Mister Conelly«, sagte Vivian, »es ist wirklich ...«
Conelly brachte sie mit einer energischen Geste zum Schweigen und rief ein zweites Mal nach seiner Frau. Seine Bemühungen wurden nach wenigen Augenblicken belohnt. Susan Conelly war eine kleine, stämmige Frau, die in dem teuren Ballkleid ebenso deplaziert wirkte wie ihr Mann im Smoking. Sie kam mit kleinen, schnellen Schritten auf ihren Mann zu. Auf ihrem Gesicht stand eine Mischung zwischen Mißbilligung und Ergebenheit. Wahrscheinlich, dachte Vivian, hatte sie schon vor langer Zeit aufgehört, sich über das Benehmen ihres Mannes zu wundern.
»Sei so lieb und kümmere dich um Missis Taylor«, bat Conelly. »Sie möchte sich ein wenig frisch machen.«
»Gern. Kommen Sie.«
Vivian atmete innerlich auf, als Susan Conelly ihren Arm nahm und sie die Nische verließen. Ihr war, als würde ein dumpfer Druck von ihrer Seele genommen, nachdem sie aus der unmittelbaren Nähe der vier Männer verschwunden war.
»Die Reise muß sehr anstrengend gewesen sein«, sagte Susan redselig. Sie führte Vivian in einem komplizierten Zickzackkurs zwischen den übrigen Partygästen hindurch und steuerte auf die rückwärtige Wand des Ballsaales zu. »Mein Mann hat schon den ganzen Tag von Ihnen und Ihrem Mann geredet, Vivian«, sagte sie. »Er schien ganz begeistert von Ihnen zu sein.«