Выбрать главу

»Wie viele sind es?« flüsterte Mark.

»Wie viele ... ich verstehe nicht, was Sie meinen.«

»Wie viele?« beharrte Mark.

»Acht«, antwortete Masterton automatisch. »Acht Personen - vier Männer und vier Frauen. Warum?«

Mark reichte ihm wortlos den Teller und deutete hinein. Masterton betrachtete das Spiegelbild einen Herzschlag lang kopfschüttelnd. Dann zuckte er plötzlich zusammen, erstarrte und fuhr mit entsetzt aufgerissenen Augen herum. »Aber ...«

»Still!« zischte Mark. Er sah, wie einer der Männer aufblickte und Masterton und ihn abschätzend musterte.

Masterton drehte sich schwerfällig herum. Auf seinem Gesicht stand ein hilfloser Ausdruck. »Ich ... verstehe überhaupt nichts mehr«, sagte er leise. Er war blaß geworden.

Plötzlich fiel Mark Vivians seltsames Benehmen ein, der kaum unterdrückte Widerwillen, den er an ihr bemerkt hatte, als sie den Ball betraten. Durch ihre paranormalen Sinne war sie sensibler als normale Menschen, was außergewöhnliche Geschehnisse betraf. Sie mußte gespürt haben, daß hier irgend etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Er blickte sich suchend um. »Wo ist Vivian? Ich muß mit ihr sprechen.«

Masterton zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht. Da hinten steht Conelly. Soll ich ihn fragen?«

Mark zögerte kurz, dann schüttelte er den Kopf. »Wir dürfen die beiden nicht aus den Augen lassen«, murmelte er. »Irgend etwas stimmt hier nicht. Und ich möchte herausfinden, was es ist.« Plötzlich spürte er den Blick eines der beiden Unheimlichen wie eine körperliche Berührung auf sich ruhen. Er kämpfte gegen den Impuls an, sich umzudrehen und den Blick zu erwidern. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie der Mann sich von seiner Begleiterin löste und mit zwei schnellen Schritten zu einem hünenhaften jungen Mann hinüberging. Die beiden unterhielten sich leise, ohne daß Mark etwas verstehen konnte. Aber der überraschte Ausdruck des jüngeren und der schnelle, abschätzende Blick, mit dem er ihn und Masterton bedachte, sagte Mark genug. »Sie haben es gemerkt.«

Die beiden schienen sich nicht einmal mehr die Mühe zu geben, ihr auffälliges Benehmen zu verbergen. Sie tauschten noch ein paar Worte aus, schenkten ihm und Masterton einen abfälligen, beinahe hämischen Blick und gingen dann auseinander, um im Trubel der Party zu verschwinden.

»Schnell«, sagte Mark. »Verfolgen Sie den Jüngeren. Ich übernehme den anderen.« Ohne sich weiter um Jonathan Masterton zu kümmern, drängte er sich an den Partygästen vorbei.

7

Direkt nachdem sein Besucher gegangen war, traf Ulthar erste Vorkehrungen. Es war zu früh, noch einmal Kontakt mit Melissa aufzunehmen. Er hatte einen ersten Anstoß gegeben, mehr zu tun wäre für den Moment zu gefährlich. Zudem erforderte die Beschwörung viel Kraft, und die brauchte er gegenwärtig für andere Aktivitäten.

Conelly versuchte, ihn auf die hinterhältigste Art zu betrügen. Er warf ihm einen kleinen Köder hin, um ihn damit abzulenken, während es sein wahres Ziel war, Melissa zu töten. Aber Ulthar war entschlossen, den Spieß umzudrehen. Zu lange schon war er passiv geblieben, um so geschickter mußte er jetzt taktieren. Es gab vieles nachzuholen, und ihm würde nicht viel Zeit bleiben, um Conelly zu täuschen.

Wenn es ihm gelang, Melissa zu befreien und sich erneut mit ihr zu verbünden, wären sie gemeinsam so mächtig, daß Conelly dies nicht einfach hinnehmen würde. Er würde versuchen, sie beide zu vernichten, aber er hatte bereits jetzt einen entscheidenden Fehler begangen. Der Pakt war eine Farce, aber durch ihn würde Ulthar sowohl den Köder als auch die Beute schlucken können, wenn er es geschickt genug anstellte - und Conelly noch dazu. Der Monstermacher würde sich wundern, wenn er erfuhr, wie mächtig die Spiegel in Wahrheit bereits waren, wie unbedeutend seine Kreaturen sich gegen die in den Spiegeln wartende Armee ausnahmen.

Die Sinne der meisten Menschen waren verkümmert, so daß sie nur einen winzigen Teil der Welt wahrnahmen und diesen für das Ganze hielten, so wie ein Blinder vielleicht durch Ertasten Form und Oberfläche eines Gegenstandes erkennen konnte, aber nicht einmal ahnte, daß es auch so etwas wie Farben und Muster gab. Aber seit Anbeginn der Zivilisation hatte es immer wieder auch Menschen gegeben, deren Bewußtsein schärfer, umfassender war und das es ihnen ermöglichte, auf unterschiedliche Art in die Bereiche jenseits der normalen Wahrnehmungsfähigkeit einzudringen; Bereiche, die so phantastisch und bizarr waren, so voller Wunder, aber auch fremdartiger Gefahren, daß sie schon das Vorstellungsvermögen der meisten Menschen überstiegen.

Melissa hatte sich weit in diese Bereiche vorgewagt, vielleicht zu weit. Ulthar hatte die Geschichten über ihren Tod nie geglaubt. Zunächst war es angeblich nur ein Unfall gewesen, dann hatten Conellys Leute Spuren gefunden, die darauf hindeuteten, daß eine Gruppe fanatischer Hexenjäger, die sich als Nachfolger der spanischen Inquisition betrachteten, sie ermordet hatten. Die Wahrheit jedoch würde ihm nur Melissa selbst erzählen können.

Fast zwei Stunden verharrte Ulthar reglos. Sein Gesicht war unbewegt, eine steinerne Maske, auf der keinerlei Gefühlsregung abzulesen war, aber in seinem Inneren brodelte es. Der Moment, auf den er jahrzehntelang gewartet hatte, war gekommen, doch nun, da es endlich soweit war, verspürte Ulthar nicht nur Aufregung, sondern auch Angst. Zuviel hing von dem ab, was in den nächsten Stunden passieren würde, und unbarmherzig spürte er auch die fortschreitende, durch sein hohes Alter bedingte Schwäche seines Körpers. Die Beherrscher der Spiegel hatten ihm eine ungeheure Macht verliehen, aber wie jedem anderen Menschen waren auch ihm in dieser Hinsicht Grenzen gesetzt.

Noch.

Bald jedoch würde er auch dieses Problem lösen. Ulthar versuchte, seine Erregung zu unterdrücken. Er mußte einen klaren Kopf behalten. Seine Vorbereitungen waren schon zu weit gediehen, als daß er jetzt noch einen Fehler begehen durfte. Bei einem Gegner wie Conelly konnte jede noch so kleine Nachlässigkeit tödlich sein. Sobald der Monstermacher merkte, daß er nicht mehr länger die Regeln des Spiels bestimmte, würde er mit aller Macht zuschlagen.

Eine Tür wurde geöffnet, und ein junger Mann in einem billigen Anzug trat ein. »Nun?« erkundigte sich Ulthar.

»Es hat alles wie vorgesehen geklappt«, antwortete der Mann. Er griff in die Tasche, zog eine Kette mit einem Anhänger heraus. Ulthar betrachtete das Amulett nachdenklich. Auch er spürte die darin schlummernden Kräfte. Sie waren nicht besonders stark, der bläulich glänzende Stein wirkte eher wie ein Prisma, das paranormale Energien bündelte und dadurch verstärkte. Er selbst konnte nicht viel damit anfangen, seine Spiegel, die er in ähnlicher Weise nutzen konnte, waren ungleich mächtiger, aber der Verlust des Amuletts würde Vivian Taylor schwächen. Er steckte die Kette in die Tasche und verließ das Zimmer, ging durch einen niedrigen, mit dunklem Samt ausgekleideten Raum und betrat schließlich sein Allerheiligstes: einen weiten Saal, dessen Dimensionen im krassen Gegensatz zu den äußeren Abmessungen des Gebäudes standen. Hunderte von großen rechteckigen und in weiße Leinentücher eingeschlagene Spiegel standen in scheinbarem Durcheinander auf dem schimmernden Boden, bildeten ein verwirrendes Labyrinth von Gängen und Kreuzungen, Sackgassen und Abzweigungen und verliehen dem Raum eine eigene, irgendwie bedrückende Geometrie.

Ulthar schlurfte zielsicher durch die schmalen Gänge. Jeder Fremde hätte sich hier hoffnungslos verirrt, aber der alte Magier hätte den Weg sogar mit geschlossenen Augen gefunden.

Am Ende eines langen, schmalen Ganges, dessen Wände aus verhangenen Spiegeln bestanden und nach innen geneigt waren, blieb er stehen. Er zögerte einen winzigen Augenblick, ehe er nach dem Leinentuch griff und es mit einem entschlossenen Ruck herunterzog. Das Spiegelbild, das ihm entgegenstarrte, gehörte nicht ihm. Der Spiegel zeigte ein getreues Abbild des Ganges mit seinen weißen, an eine Leichenhalle erinnernden Wände und des klinisch sauberen Fußbodens. Und der Mann darin war nicht Ulthar.