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Der Gang gabelte sich nach etwa dreißig Metern. Mark schlich vorsichtig weiter. Der Gang verengte sich, wurde schließlich so schmal, daß Mark mit den Schultern an der Wand entlangstreifte, und endete dann abrupt vor einer steilen, ausgetretenen Holztreppe, die in die Höhe führte.

Irgend etwas warnte Mark hinaufzugehen. Plötzlich sah er wieder Conellys kalte, stechende Augen vor sich, den mühsam unterdrückten Triumph darin. Wahrscheinlich tat er genau das, was Conelly und die anderen von ihm erwarteten, dennoch konnte er nicht anders.

Er streckte die Hand nach dem morschen Treppengeländer aus, setzte vorsichtig den Fuß auf die unterste Stufe und zog sich hinauf. Das Holz knarrte so laut unter seinem Gewicht, daß er glaubte, das Geräusch müsse im ganzen Haus gehört werden.

Vorsichtig, Stufe um Stufe, schlich er höher. Conellys Schritte waren jetzt nicht mehr zu hören, aber dafür glaubte er, aus den über ihm liegenden Räumen dumpfes Stimmengemurmel wahrzunehmen. Ein niedriger Türrahmen tauchte vor ihm auf. Mark zog den Kopf ein, stieß sich das Schienbein an einem unsichtbaren Hindernis und unterdrückte mühsam einen Schmerzenslaut. Er hätte viel für eine Taschenlampe oder wenigstens ein Streichholz gegeben. Aber er war schließlich zu einer Party gegangen, nicht zu einer Abenteuersafari.

Die Treppe machte einen scharfen Knick, führte weitere zwanzig oder fünfundzwanzig Stufen steil empor und endete dann abrupt vor einer niedrigen Brettertür. Er mußte sich jetzt unmittelbar unter dem Dachgeschoß des Hauses befinden.

Mark preßte das Ohr gegen die Tür und lauschte. Er hörte dumpfe Schritte, Stimmen und eine Reihe weiterer unidentifizierbarer Geräusche. Sein Verdacht wurde zur Gewißheit. Irgend etwas war mit Conellys sogenannter Party faul. Er tastete im Dunkeln nach dem Türgriff, fand ihn und ging vorsichtig in die Knie, um durch das Schlüsselloch zu spähen.

Er hatte richtig vermutet. Hinter der Tür befand sich der Dachboden - ein weiter, von freistehenden Balken und ausrangierten Möbeln beherrschter Raum, der von einem Dutzend brennender Taschenlampen in fleckige Helligkeit getaucht wurde. Conelly stand mit dem Rücken zu ihm vor einer Gruppe von vielleicht zwanzig sonderbar aussehenden Männern. Ihre Kleidung bestand aus einem scheinbar sinnlos zusammengewürfelten Haufen von Straßenanzügen, Overalls, Uniformen, Sommer- und Wintermänteln, die fast ausnahmslos veraltet und aus der Mode gekommen waren. Einer von ihnen kam dicht genug an Marks Position vorbei, daß er ihn in allen Einzelheiten begutachten konnte. Der Mann trug nicht nur einen Haarschnitt, der den ›Pilzköpfen‹ der Beatles exakt glich, er wirkte ganz so, als hätte er sich um drei Jahrzehnte in der Zeit geirrt.

Hinter den Männern war ein hoher, rechteckiger Umriß zu erkennen, der Mark entfernt an einen überdimensionalen Bilderrahmen erinnerte.

»Ihr wißt Bescheid«, sagte Conelly gerade. »Niemand tut etwas ohne meinen ausdrücklichen Befehl. Geht jetzt auf eure Plätze und wartet.« Er machte eine befehlende Geste, und die Männer setzten sich gehorsam in Bewegung.

Mark wartete mit angehaltenem Atem, bis das dumpfe Poltern der Schritte verklungen war. Irgendwo wurde knarrend eine Tür geschlossen.

Conelly war jetzt allein auf dem Dachboden. Mark spannte sich unwillkürlich. Wenn er überhaupt eine Chance hatte, den Bürgermeister allein zu fassen zu kriegen, dann jetzt. Aber er kam nicht mehr dazu, die Tür aufzureißen und Conelly zur Rede zu stellen. Der Bürgermeister, ging mit schnellen, energischen Schritten auf den riesigen Rahmen zu und - verschwand.

Mark sprang auf, rammte die Tür mit der Schulter auf und war mit einem Satz auf dem Dachboden. Trockene, zum Husten reizende Staubwolken wallten unter seinen Füßen auf, und der Lärm, mit dem die zerborstenen Türrahmen auf den Boden polterten, schien überlaut in seinen Ohren zu gellen.

Er war allein.

Für die Dauer eines Atemzuges blieb er bewegungslos stehen und lauschte. Aber das einzige Geräusch, das er hörte, war das leise Echo der Musik, die von der Party heraufwehte. Mark machte ein paar zögernde Schritte, blieb abermals stehen und sah sich nach irgend etwas um, das er im Notfall als Waffe benutzen konnte. Er spürte die Gegenwart des Fremden, Bösen überdeutlich. Er hatte das Gefühl, von tausend unsichtbaren Augen beobachtet zu werden. Die lastenden Schatten in Ecken und Winkel schienen zu drohendem, lauerndem Leben erwacht zu sein; unsichtbare Spinnenbeine, die ihr Opfer langsam und geduldig in ein Netz der Dunkelheit und Horror einwoben.

Unsinn, sagte er sich. Was er sah - und vor allem, was er vorher gesehen hatte - war zwar unheimlich, aber er durfte sich nicht selbst verrückt machen. Es würde für alles eine Erklärung geben, mochte sie auch noch so unglaublich sein. Dank Vivian hatte er längst gelernt, Dinge als Realität zu akzeptieren, die andere in das Reich der Fabeln verbannen würden. Mark wünschte sich, Vivian wäre hier. Sie würde ihm am ehesten eine Erklärung geben können.

Er versuchte, das Klopfen seines Herzens zu ignorieren, und ging langsam auf den Bilderrahmen zu, als er plötzlich eine huschende, undeutliche Bewegung wahrnahm, einen monströsen, umrißlosen Schatten.

Mark er starrte.

Irgend etwas lauerte in der Dunkelheit vor ihm. Vorsichtig, jederzeit auf einen Angriff gefaßt, ging er in die Hocke und hob ein zerbrochenes Stuhlbein vom Boden auf. Geduckt setzte er einen Fuß vor und machte einen Schritt nach vorne.

Wieder glaubte er, eine Bewegung wahrzunehmen, und wieder war er sich nicht sicher, ob ihm seine überreizten Nerven nicht nur einen Streich vorspielten. Er machte einen weiteren Schritt, hob die Rechte mit dem Stuhlbein und sprang mit einem entschlossenen Satz vor. Er sah eine Gestalt vor sich, duckte sich instinktiv und schlug mit dem Stuhlbein zu, um gleich darauf krachend auf dem Fußboden zu landen, als sein Schlag ins Leere ging. Geschlagene zehn Sekunden lag er bewegungslos da, starrte sein Gegenüber an und kam sich unbeschreiblich dumm vor. Dann richtete er sich benommen auf und hustete.

Der rechteckige Umriß, in dem Conelly verschwunden war, war kein Bilderrahmen, sondern ein überdimensionaler Spiegel. Und der riesige Schatten, der ihn vermeintlich angegriffen hatte, war nichts anderes als sein eigenes Spiegelbild gewesen.

»Mark Taylor«, flüsterte er, »du bist ein Idiot.« Er stand auf, klopfte sich den Staub aus den Kleidern und betrachtete sein Spiegelbild mit neu erwachendem Mißtrauen. Conelly war in dem Spiegel verschwunden, das hatte er mit eigenen Augen gesehen. Er trat vorsichtig an den riesigen Spiegel heran, tastete mit bebenden Fingern über den Rahmen und berührte schließlich das Glas.

Seine Finger versanken in dem schimmernden Glas.

Mark schrie auf, zog die Hand blitzschnell zurück und starrte fassungslos auf seine Fingerspitzen. Sie fühlten sich kalt und taub an.

Hinter ihm ertönte plötzlich ein dumpfes Poltern. Mark fuhr herum. Der gelbe, zitternde Lichtkreis einer Taschenlampe stach aus dem Treppenaufgang, durch den er selbst den Dachboden betreten hatte, glitt über das zerbrochene Holz der Türfüllung und wanderte schließlich über die spinnwebenverhangenen Dachziegel. Aufgeregte Stimmen wurden laut, dann hörte er das dumpfe Trampeln schwerer Schritte, die die ausgetretenen Stufen hinauf rannten.

Mark fluchte lautlos und sah sich nach einem Versteck um, obwohl er wußte, daß es sinnlos sein würde sich zu verbergen. Ganz abgesehen davon, daß seine Verfolger den Speicher Stück für Stück auseinandernehmen würden, um ihn zu finden, würden ihn seine Fußspuren genauso verraten, wie Conellys Abdrücke ihn selbst hierhergeführt hatten. Aber wenigstens würde er mit etwas Glück ein paar Sekunden Zeit gewinnen und seine Gegner überraschen können.