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»Ich weiß.«

»Horner Dees sagte, daß du ihm das Leben gerettet hast. Du hast auch meines gerettet. Hättest du nicht das Schwert benutzt, so zersplittert, wie es war, hätte Uhl Belk mich getötet. Ich glaube, Par und Col Ohmsford können sich keinen besseren Beschützer wünschen. Geh sie suchen. Sorg dafür, daß sie wohlauf sind. Hilf ihnen, wo immer du kannst.«

»Das werde ich.«

Sie schüttelten sich die Hände, hielten sie einen Moment fest und schauten sich in die Augen.

»Sei vorsichtig, Walker«, sagte Morgan.

Walker lächelte schwach und ein wenig ironisch. »Bis zum nächsten Mal, Morgan Leah.«

Dann drehte Walker sich um und machte sich auf den Weg über den Paß. Er gelangte aus der Sonne in den Schatten der Felsen und schaute nicht mehr zurück.

Für den Rest des Tages und auch noch den ganzen nächsten zog Walker Boh westwärts über die Streleheimebenen, entlang der dunklen, alten, von den Drachenzähnen umgebenen Wälder im Süden. Am dritten Tag schlug er den Weg in den schattigen Wald ein und ließ die Ebene und den Sonnenschein hinter sich. Die Bäume standen da wie riesige, hohe Wachposten, die darauf warteten, in den Kampf geschickt zu werden, ihre dicken Stämme kameradschaftlich dicht beieinander, und die Äste zu einem Baldachin verflochten. Es waren die Wälder, die vor vierhundert Jahren die Druidenfestung vor der übrigen Welt abgeschirmt hatten. Zu Shea Ohmsfords Zeiten waren Wölfe zur Bewachung eingesetzt worden. Und selbst später hatte es noch eine Dornenhecke gegeben, die niemand außer Allanon persönlich überwinden konnte. Die Wölfe waren nicht mehr da, auch die Dornenhecke war verschwunden und sogar die Festung selbst. Nur die Bäume waren geblieben, in tiefes, allgegenwärtiges Schweigen gehüllt.

Walker folgte den Pfaden, als wäre er ein Schatten, glitt lautlos zwischen den Stämmen über den Teppich toter Nadeln, verloren in der Trübsal seiner wachsenden Unentschlossenheit. Die Gedanken an das, was er auf dem Wege zu tun war, waren wirr und nervenzehrend, und die Ungewißheit, die er sorgfältig überwunden zu haben glaubte, suchte ihn erneut heim. Sein ganzes Leben lang hatte er sich bemüht, Brin Ohmsfords Vermächtnis zu entkommen; und jetzt beeilte er sich freiwillig, es zu umarmen. Die Entscheidung, es zu tun, hatte lange gebraucht, und er hatte sie oft in Frage gestellt. Sie war das Ereignis einer seltsamen Mischung aus Umständen, Gewissen und Überlegung. Er hatte so viel darüber nachgedacht, wie er imstande war, und er war überzeugt, daß er die richtige Wahl getroffen hatte. Und dennoch war die Aussicht auf die Konsequenzen beängstigend, und je näher der Moment rückte, da er sie erkennen würde, desto mehr nahmen die bösen Vorahnungen überhand.

Als er schließlich im Herzen des Waldes bei der Anhöhe, auf der Paranor einst gethront hatte, ankam, waren seine Gefühle in wildem Aufruhr. Lange Zeit stand er da und starrte zu den wenigen Steinblöcken hinauf, die von den Außenmauern übriggeblieben waren, auf die roten Streifen, die der Sonnenuntergang mit heißem, schwindendem Leuchten über die Hügelkuppe warf. Im Schein des verblassenden Lichts konnte er sich vorstellen, daß es möglich wäre, Paranor vor der hereinbrechenden Nacht in die Höhe ragen zu sehen, seine Zinnen scharf umrissen, mit Türmen, die wie Speere in das Blau des Himmels stachen. Er konnte die ungeheure Größe der Präsenz der Festung, die trotzende Masse ihrer Steine fühlen. Er konnte das Leben ihrer Magie anrühren, die auf ihre Wiedergeburt wartete.

Er machte ein Feuer, saß davor und wartete auf den Einbruch der Nacht. Als es vollständig dunkel war, stand er auf und ging an den Fuß des Hügels zurück. Über ihm glitzerten die Sterne, und die Wälder rundum waren voller nächtlicher Geräusche. Er fühlte sich fremd und einsam. Er starrte noch einmal auf die Hügelkuppe hinauf und suchte von innen her mit seiner Magie einen Hinweis auf das zu finden, was dort wartete. Nichts gab sich zu erkennen. Dennoch war die Festung dort; er konnte ihre Gegenwart in einer Weise fühlen, die er nicht zu erklären imstande war. Die Tatsache, daß seine Magie versagte, das zu bekräftigen, was er ohnehin wußte, verursachte ihm zusätzliches Unbehagen. Bring das verlorene Paranor und die Druiden zurück, hatte Allanon gesagt. Was würde es brauchen, um es zu tun? Was, über den bloßen Besitz des schwarzen Elfensteins hinaus? Es brauchte noch mehr, das wußte er. Da mußte noch mehr sein.

Er schlief ein paar Stunden, obwohl der Schlaf nicht leicht kommen wollte, eine schwache Notwendigkeit gegen das Gewisper seiner Ängste. Er lag lange wach, seine Entschlossenheit entglitt ihm, zersetzte sich und bekam Risse. Die Fallen eines lebenslänglichen Mißtrauens verstrickten ihn, befreiten sich aus den Winkeln, in die er sie verbannt hatte, und drohten, erneut die Oberhand zu gewinnen. Er zwang sich, an Quickening zu denken. Wie mußte es für sie gewesen sein, da sie doch wußte, was ihr bevorstand? Welche Ängste sie ausgestanden haben mußte! Und doch opferte sie sich selbst, weil es nötig war, um dem Land das Leben zurückzugeben. Es gab ihm Kraft, wenn er an ihren Mut dachte, und nach einer Weile ließ das Gewisper nach, und er schlief ein.

Der Tag brach schon an, als er wieder erwachte. Er wusch sich und aß eilig etwas hölzern und nervös im Schatten dessen, was ihn erwartete. Als er fertig war, ging er wieder zum Fuß des Hügels und schaute hinauf. Die Sonne war hinter ihm und schien auf die kahle Kuppe des Hügels. Nichts hatte sich verändert. Kein Hinweis auf das, was einst war oder was sein könnte, ließ sich entdecken. Paranor war und blieb in der Zeit, im Raum und in der Legende verschollen.

Walker wandte sich ab und kehrte wieder zum Waldrand zurück, in sichere Entfernung von der Anhöhe. Er faßte in die Tasche seines Umhangs und holte den Beutel mit dem schwarzen Elfenstein hervor. Er starrte darauf und fühlte das Gewicht der magischen Kraft in seiner Hand. Sein Körper war steif und müde, sein fehlender Arm schmerzte. Seine Kehle war so trocken wie Herbstblätter. Er merkte, wie die Unsicherheiten und Zweifel und Ängste wieder aufstiegen und sich zu einer Woge zusammenballten, die ihn fortzuschwemmen drohte.

Hastig ließ er den Elfenstein aus dem Beutel auf seine Handfläche gleiten.

Er schloß die Hand augenblicklich, zu furchtsam, in sein dunkles Licht zu schauen. Sein Kopf arbeitete rasend. Ein Stein, einer für alles, einer für Herz, Geist und Körper – so gemacht, glaubte er, weil er die Antithese aller anderen Elfensteine darstellte; ein Stein, von den Geschöpfen der Alten Welt der Feen geschaffen und mit einer Magie ausgestattet, die verschlang, statt auszustrahlen, die absorbierte, statt etwas freizusetzen. Die Elfensteine, die Allanon Shea Ohmsford gegeben hatte, waren ein Talisman, der seinen Besitzer gegen jegliche finstere Magie beschützte, die ihm drohen mochte. Aber der schwarze Elfenstein war aus einem völlig anderen Grund geschaffen worden – nicht zur Verteidigung, sondern zur Befähigung. Er war für einen einzigen Zweck gedacht – um der Magie entgegenzuwirken, die die Druidenfeste hatte verschwinden lassen, und um damit das verlorene Paranor aus der Vergessenheit zurückzuholen. Er würde das vollbringen, indem er jene Magie aufzehrte – und sie in den Körper dessen, der den Stein besaß, übertrug – ihn selbst. Was das bei ihm bewirken würde, konnte Walker sich nur ausmalen. Er wußte, daß der Schutz des Steins gegen Mißbrauch in der Tatsache lag, daß er in der gleichen Weise wirkte, gleich, wer ihn handhabte und zu welchem Zweck. Das war es, was Uhl Belk zerstört hatte. Seine Aufnahme der Magie des Malmschlunds hatte ihn zu Stein gemacht. Walkers eigenes Schicksal mochte ähnlich sein, glaubte er – wenn auch komplexer. Aber wie? Wenn das Benutzen des schwarzen Elfensteins Paranor wiederherstellte, was waren dann die Folgen, wenn die Magie, die die Festung verbannt hatte, auf ihn übertragen würde?