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Ich kroch an die Schanzkleidung heran und sah über Bord. Das Wasser schien seicht genug zu sein. Ich hielt mich zur Sicherheit mit beiden Händen an dem gekappten Ankertau fest und ließ mich sachte über Bord gleiten.

Das Wasser reichte mir kaum bis an die Brust; der Sand war fest, und ich watete guten Mutes an Land und ließ die Hispaniola auf ihrer Seite liegen, das Hauptsegel weit über die Wasserfläche dabei ausgebreitet. Fast in demselben Augenblick ging die Sonne unter, und der Abendwind pfiff leise durch die wiegenden Fichten in der Dämmerung.

Endlich, endlich war ich wieder vom Wasser herunter! Und nicht mit leeren Händen kehrte ich zurück! Da lag der Schoner, endlich den Piraten entrissen, und unsere eigenen Leute brauchten nur an Bord zu gehen und konnten wieder in See stechen!

Ich weidete mich an dem Gedanken, zum Blockhaus zurückzukehren und meine Heldentaten zu verkünden. Vielleicht konnte ich wegen meiner Waghalsigkeit einen kleinen Tadel bekommen, aber die Zurückeroberung der Hispaniola war eine Antwort, die jeden Mund schließen mußte, und ich hoffte, sogar Kapitän Smollett würde zugeben, daß ich meine Zeit nicht verloren hätte.

Unter solchen Gedanken lenkte ich in vergnügter Stimmung meine Schritte dem Blockhaus und meinen Kameraden zu. Ich erinnerte mich, daß der östlichste von den Bächen, die in Kapitän Kidds Ankergrund münden, auf dem zweigipfeligen Berg zu meiner Linken entsprang; deshalb ging ich in dieser Richtung, um den Bach an einer schmalen Stelle überschreiten zu können. Der Wald war ziemlich licht, und indem ich mich an dem unteren Rande hielt, hatte ich rasch den Berg umgangen, und bald darauf konnte ich durch den Bach waten, dessen Wasser mir nur bis an die Waden reichte.

Auf diese Weise kam ich in die Nähe der Stelle, wo ich Ben Gunn getroffen hatte. Ich sah mich deshalb nach allen Seiten um, als ich vorsichtig weiterging. Es war inzwischen tiefe Nacht geworden, und als ich aus der Kluft zwischen den beiden Berggipfeln ins Freie trat, bemerkte ich am Himmel eine wabernde Lohe. Ich dachte mir, der Inselmann koche wahrscheinlich an einem hellen Feuer sein Abendessen. Indessen wunderte ich mich im geheimen über eine solche Sorglosigkeit. Denn wenn ich diesen Feuerschein sehen konnte, so mußte wohl auch Silver ihn von dem Lager an der sumpfigen Wiese erblicken können.

Es wurde allmählich immer finsterer; es kostete mir große Mühe, auch nur einigermaßen die Richtung einzuhalten. Der Doppelberg hinter mir und das» Fernrohr «wurden immer undeutlicher in ihren Umrissen; nur wenige Sterne waren am Himmel und schimmerten mit schwachem Glanz. Ich wanderte in einem tiefen Talgrunde und geriet fortwährend in Gebüsche hinein oder stürzte in Sandgruben.

Plötzlich wurde es um mich herum heller. Ich blickte auf; ein bleicher Schimmer von Mondstrahlen hatte den Gipfel des Fernrohrs getroffen, und bald darauf sah ich etwas Breites, Silberglänzendes sich hinter den Bäumen bewegen. Da wußte ich, daß der Mond aufgegangen war.

Dies war für mich eine große Hilfe. Schnell legte ich jetzt den noch übrigen Teil meiner Wanderung zurück; bald gehend, bald laufend, strebte ich ungeduldig dem Blockhaus zu. Doch war ich, als ich in den Wald unmittelbar vor dem Pfahlwerk kam, nicht so gedankenlos, daß ich nicht meinen Schritt verlangsamt hätte. Vorsichtig ging ich weiter. Es wäre auch ein dummes Ende meiner Abenteuer gewesen, wenn meine Kameraden mich aus Versehen niedergeschossen hätten.

Der Mond kletterte immer höher und höher am Himmel empor; sein Licht fiel hier und dort in breiten Streifen auf die Waldlichtungen. Gerade vor mir aber erschien zwischen den Bäumen ein Licht von anderer Farbe: es war glühend rot und verdunkelte sich von Zeit zu Zeit ein wenig — wie wenn es die glühenden Kohlen eines heruntergebrannten Holzfeuers wären.

So sehr ich mir den Kopf zerbrach, konnte ich mir nicht vorstellen, was dies sein möchte.

Endlich erreichte ich den Saum der Lichtung. Das westliche Ende lag bereits im hellen Mondlicht, alles übrige aber um das Blockhaus selbst im schwarzen Schatten, in den nur einzelne silberweiße Streifen hineinfielen. Auf der anderen Seite des Hauses war ein gewaltiges Feuer bis auf die Kohlen herabgebrannt; diese verbreiteten einen roten Schein, der seltsam gegen das bleiche Mondlicht abstach. Keine Seele regte sich, und es war kein Ton zu hören außer dem Sausen der Nachtbrise.

Voller Verwunderung im Herzen und vielleicht mit einem auch etwas ängstlichen Gefühl, blieb ich stehen. Es war nicht unsere Gewohnheit gewesen, große Holzfeuer anzuzünden; im Gegenteil, wir waren auf Befehl des Kapitäns eher etwas geizig mit unserem Brennholz umgegangen, und ich begann zu befürchten, daß während meiner Abwesenheit etwas schief gegangen sein könnte.

Ich schlich mich nach der Ostseite herum, indem ich mich vorsichtig im Schatten hielt, und als ich eine passende Stelle gefunden hatte, wo die Finsternis am dicksten war, kletterte ich über die Palisade.

Um ganz sicher zu gehen, kroch ich auf Händen und Füßen auf die Ecke des Hauses zu — ganz leise und geräuschlos. Als ich näher kam, fühlte plötzlich mein Herz sich sehr erleichtert. Es ist an und für sich nicht gerade ein angenehmes Geräusch, und ich habe zu anderer Zeit mich oft darüber geärgert; aber in jenem Augenblick klang es mir wie die schönste Musik, als ich meine Freunde alle miteinander so laut und friedlich schnarchen hörte. Der Ruf der Schiffswache auf See, das schöne» Alles wohl!«war niemals beruhigender an mein Ohr geklungen.

Indessen stand eins außer allem Zweifeclass="underline" sie hielten niederträchtig schlecht Wache! Wenn jetzt Silver und seine Kerle an sie herangekrochen wären, wie ich es tat — keine Menschenseele hätte das Morgenlicht gesehen! Das kommt davon — so dachte ich bei mir selber —, wenn man einen verwundeten Kapitän hat! Und wieder machte ich mir bittere Vorwürfe, sie in der Gefahr verlassen zu haben, da doch so wenige nur auf Wache ziehen konnten.

Mittlerweile hatte ich die Tür erreicht und richtete mich auf. Drinnen war alles dunkel, so daß mein Auge nichts zu unterscheiden vermochte. Zu hören war weiter nichts als das gleichmäßige Schnarchen der Schläfer und ab und zu ein eigentümliches Geräusch, das ich mir nicht erklären konnte — eine Art von leisem Flattern oder Picken.

Meine Pistolen vor mich hinhaltend, betrat ich festen Schrittes das Blockhaus. Mit einem leisen Kichern dachte ich bei mir selber, ich wollte mich ohne ein Wort zu sagen auf meinen gewöhnlichen Platz zum Schlafen legen und mich dann über ihre erstaunten Gesichter freuen, wenn sie am anderen Morgen mich plötzlich erblickten.

Mein Fuß stieß gegen etwas Weiches, das nachgab. Es war offenbar das Bein eines Schläfers. Er drehte sich um und grunzte — aber ohne aufzuwachen.

Und dann schrie ganz plötzlich eine schrille Stimme aus der Finsternis heraus:

«Piaster! Piaster! Piaster! Piaster! Piaster!«— unaufhörlich immer dasselbe, ohne Unterbrechung, ohne Abwechslung, wie das Klappern einer Kaffeemühle.

Silvers grüner Papagei — Käpp'n Flint!

Ihn hatte ich an einem Stück Baumrinde knabbern und picken hören!

Der Papagei hatte besser Wache gehalten als alle die Menschen drinnen, und meldete jetzt meine Ankunft mit seinem unermüdlichen Geschnatter.

Mir wurde keine Zeit gelassen, mich zu besinnen. Von dem scharfen Gekreisch des Vogels erwachten alle Schläfer. Sie sprangen auf, und mit einem mächtigen Fluch schrie Silver:

«Wer da?!«

Ich drehte mich um und wollte hinausspringen, lief aber gegen einen Menschen an, prallte von ihm ab und fiel einem zweiten in die Arme, die sich sofort um mich schlossen und mich nicht wieder losließen.»Bring 'ne Fackel, Dick!«sagte Silver, als auf diese Weise meine Gefangennahme gesichert war.

Einer von den Leuten verließ das Blockhaus und kam gleich darauf mit einer Fackel wieder herein.

Achtundzwanzigstes Kapitel

Im feindlichen Lager