Der Lichtbogen knisterte erneut durch die Luft, traf Mebs Kopf und warf ihn zu Boden.
Nafai war erschöpft. Er konnte kaum noch stehen. Luet, hilf mir, sagte er stumm und drängend.
Er fühlte ihre Hände an seinem Arm; sie stützte ihn. Sie mußte neben ihn in den Paritka geklettert sein.
Ach, Luet, so sollte es immer sein. Ich kann nicht stehen, wenn du nicht neben mir bist. Wenn du nicht dazugehörst, schaffe ich es auch nicht.
Als Antwort fühlte er lediglich die Liebe, die sie ihm entgegenbrachte, die gewaltige Erleichterung, daß die Gefahr vorüber war, und ihren Stolz über die Stärke, die er gezeigt hatte.
Wie kannst du so nachsichtig und versöhnlich sein? fragte er sie stumm.
Ich liebe dich! war die einzige Erwiderung, die er in ihrem Herzen fand.
Nafai entschied, der Paritka solle landen, also tat er es. Luet half ihm hinaus, und während ihre Kinder um sie herumliefen, führte sie ihn zum Haus zurück. Im Lauf der nächsten paar Minuten schauten alle anderen vorbei und fragten, ob sie helfen könnten. Doch Nafai brauchte nur Schlaf. »Seht nach den anderen«, flüsterte er. »Ich befürchte, daß der Schaden nicht mehr zu reparieren ist.«
Als Nafai erwachte, dämmerte es fast schon. Zdorab war in ihrer Küche und kochte; Issib, Huschidh, Schedemei und Luet hatten sich um sein Bett versammelt. Sie sahen ihn nicht an …. sie unterhielten sich leise miteinander. Er lauschte.
Sie sprachen darüber, wie leid es ihnen um Eiadh und Dol tat und um deren Kinder, besonders um Proja, der so stolz auf seinen Vater Elemak gewesen war. »Er sah aus, als hätte er gerade gesehen, wie sein Vater starb«, sagte Luet.
»Dem war auch so«, sagte Huschidh. »Zumindest hat er den Tod des Vaters gesehen, den er kannte.«
»Es wird lange dauern, bis der Schaden, der heute angerichtet wurde, wieder verheilt ist«, sagte Schedemei.
»War es ein Schaden?« fragte Luet. »Oder der Anfang des Heilungsprozesses von Wunden, die wir in den letzten acht Jahren einfach ignoriert haben?«
Huschidh schnalzte mit der Zunge. »Nafai würde euch als erster sagen, daß heute keine Heilung, sondern ein Krieg stattgefunden hat. Heute hat die Überseele ihren Willen bekommen — das Sternenschiff wird ausgerüstet werden, und Elemak und Mebbekew werden so hart wie alle anderen arbeiten, nachdem sie sich erholt haben. Aber der Schaden ist dauerhaft. Elemak und Mebbekew werden Nafai immer als ihren Feind sehen. Und alle anderen auch, die Nafai dienen.«
»Niemand dient Nafai«, sagte Luet. »Wir dienen nur der Überseele, wie Nafai auch.«
»Ja«, pflichtete Schedemei ihr sofort bei. »Wir alle wissen das, Luet. Es war nicht Nafais Kampf, es war der der Überseele. Jeder von uns hätte den Mantel bekommen können.«
Nafai stellte fest, daß Schedemei einen Moment versucht war, zu sagen, daß sie den Mantel bekommen hätte, hätte Nafai ihn zurückgewiesen. Doch sie entschied sich dagegen. Sie würde es niemandem mehr sagen — außer Zdorab natürlich. Elemak und Mebbekew, Vas und Obring — sie würden es wohl keinem verraten, falls sie überhaupt verstanden hatten, was Schedemei ihnen am vergangenen Abend gesagt hatte. Schedemei wußte nun, daß die Überseele als nächste sie als Führerin der Kolonie auserwählt hätte — das genügte ihr, sie war zufrieden.
»Er ist wach«, sagte Luet.
»Woher weißt du das?« fragte Issib.
»Seine Atmung hat sich verändert.«
»Ich bin wach«, sagte Nafai.
»Wie geht es dir?« fragte Luet.
»Ich bin noch müde. Aber mir geht es besser. Nein, sogar gut. Eigentlich bin ich auch nicht mehr müde.« Er richtete sich auf einen Ellbogen auf, und sofort wurde ihm etwas schwindlig. »Wenn ich es mir genau überlege, bin ich eindeutig noch müde.« Er legte sich wieder auf den Rücken.
Die anderen lachten.
»Wie geht es Elja und Meb?«
»Sie schlafen sich aus, genau wie du«, sagte Schedemei.
»Und wer hat eure Kinder?« fragte Nafai sie.
»Mutter«, sagte Issib.
»Herrin Rasa«, sagte Schedemei. »Zdorab war der Ansicht, daß du etwas Richtiges zu essen haben willst, wenn du aufwachst. Also ist er mitgekommen und hat gekocht.«
»Unsinn«, sagte Luet. »Er hat gewußt, welche Sorgen ich mir mache, und wollte nicht, daß ich mich auch noch um das Kochen kümmern muß. Du hast nicht nach unseren Kindern gefragt.«
»Eigentlich muß ich nach gar keinen Kindern fragen«, sagte er. »Ich weiß, wo sie sind.«
Darauf konnten sie nichts erwidern. Kurz darauf brachten sie das Essen herein, und sie aßen gemeinsam, während sie um das Bett saßen. Nafai erklärte ihnen, welche Arbeiten am Sternenschiff ausgeführt werden mußten, und sie überlegten, wie sie diese Arbeit aufteilen konnten. Sie sprachen jedoch nicht lange darüber, da Nafai eindeutig erschöpft war — körperlich, wenn auch nicht geistig. Kurz darauf gingen sie alle, auch Luet; aber Luet kehrte bald mit den Kindern zurück, die hereinkamen und ihren Vater umarmten. Schveja drückte sich besonders fest an ihn. »Papa«, sagte sie, »ich habe deine Stimme in meinem Herzen gehört.«
»Ja«, sagte er. »Aber das ist in Wirklichkeit die Stimme der Überseele.«
»Es war deine Stimme, als du gedacht hast, du würdest sterben«, sagte sie. »Du standest auf einem Hügel, wolltest gerade herunterlaufen und dich durch eine unsichtbare Wand werfen. Und du hast mir zugerufen, Veja, ich liebe dich.«
»Ja«, sagte er. »Das war doch meine Stimme.«
»Ich liebe dich auch, Papa«, sagte sie.
Er schlief wieder ein.
Und wachte mitten in der Nacht auf und hörte eine Brise vom Meer, die im Stroh des Daches spielte. Er fühlte sich wieder stark, stark genug, um sich in den Wind zu erheben und zu fliegen.
Statt dessen streckte er die Hand aus und berührte Luet, zog sie zu sich. Sie erwachte schläfrig und protestierte nicht, schmiegte sich sogar an ihn. Sie wäre bereit gewesen, mit ihm zu schlafen, hätte er es gewollt. Doch er wollte sie heute nacht nur berühren, sie festhalten, das tanzende Licht des Mantels mit ihr teilen, damit auch sie sich an alle Dinge aus dem Geist der Überseele erinnern konnte, an die er sich erinnerte. Damit sie so deutlich in sein Herz sehen konnte, wie er in das ihre sehen konnte, und wußte, daß er sie so sehr liebte, wie er wußte, daß sie ihn liebte.
Das Licht vorn Mantel wuchs und wurde heller. Er küßte sie auf die Stirn, und als er die Lippen von ihrer Haut löste, sah er, daß auch auf Luet ein schwaches Licht funkelte. Er wußte, es würde wachsen. Es wird wachsen, bis es keinen Unterschied mehr zwischen uns gibt. Laß keine Barriere zwischen uns stehen, Luet, mein Schatz. Ich will nie wieder allein sein!