»Oh, sie wissen schon, daß es sie gibt«, sagte Schedemei. »Sie wissen nur niemals, welche Menschen sie haben. Nicht, daß meine Gefühle in diesem Augenblick mich als moralische Schönheit qualifizieren würden.«
»Du denkst an Mord, nicht wahr?« fragte Rasa.
»Ach, an nichts so Direktes oder Endgültiges«, sagte Schedemei. »Ich habe mir nur gewünscht, daß sie sich im Sattel fürchterlich wund reitet.«
»Und Elemak? Hast du ihm auch einen Fluch auferlegt, der ihm Unannehmlichkeiten bereiten soll?«
»Keineswegs«, sagte Schedemei. »Es war vielleicht überflüssig, daß er uns, wie du festgestellt hast, durch Furcht zum Gehorsam zwingen wollte. Aber ich glaube, er hat recht. Schließlich hat die Überseele nicht gerade den besten Ruf, wenn es darum geht, Gefahren von uns abzuwenden. Nein, Elja gegenüber hege ich keinen Groll.«
»Dann wünschte ich, ich wäre so reif wie du. Ich habe verabscheut, auf welche Art er mit mir sprach. So herablassend. Ich weiß natürlich, warum er es tat — er befürchtet, daß mein Status in der Stadt für seine Autorität hier draußen eine Bedrohung darstellt, und so mußte er mich zurechtweisen. Aber er müßte begreifen, daß ich klug genug bin, seine Führung anzuerkennen, ohne daß er mich vorher erniedrigen muß.«
»Es steht nicht zur Debatte, was du brauchst«, sagte Schedemei. »Das spielt überhaupt keine Rolle. Die Frage lautet, was er braucht. Er muß sich dir überlegen fühlen. Und was dies betrifft, so ist es bei mir genauso, du dumme alte Frau.«
Einen Augenblick lang sah Rasa sie entsetzt an. Als Schedemei dann gerade erklären wollte, daß sie gescherzt hatte — warum verstand einfach niemand ihren Humor? —, grinste Rasa sie an. »Ich bin lieber eine dumme alte Frau, als eine dumme junge«, sagte sie. »Dummen alten Frauen unterlaufen nicht so spektakuläre Fehler.«
»Ach, da bin ich mir aber nicht sicher«, sagte Schedemei. »Uns zum Beispiel auf dieser Expedition zu begleiten …«
»Ein Fehler?«
»Für mich ganz bestimmt. Mein Leben ist die Genetik, doch den Rest meines Lebens werde ich mich ihr höchstens nähern können — falls es mir gelingt, meine Gene zu reproduzieren.«
»Du klingst so verzweifelt. Es ist gar nicht so schrecklich, Kinder zu haben. Nicht alle sind wie Kokor, und vielleicht wird sogar sie einmal zu einem Menschen heranwachsen.«
»Ja, aber du hast deine Gatten geliebt«, sagte Schedemei. »Mit wem werde ich mein Leben verbringen, Tante Rasa? Mit deinem verkrüppelten Sohn? Oder mit Gaballufix’ Bibliothekar?«
»Ich glaube, Huschidh will Issib heiraten«, sagte Rasa. Ihre Stimme war kalt, doch Schedemei störte sich nicht daran.
»Oh, ich weiß, daß du uns füreinander bestimmt hast. Aber sag mir, Tante Rasa, hätte Nafai nicht zufällig den Bibliothekar mitgeschleppt, als er den Index stahl … hättest du mich dann auch mitgenommen?«
Rasas Gesicht war wie versteinert. Ihre Antwort ließ lange auf sich warten.
»Komm schon, Tante Rasa. Ich bin keine Närrin, und mir wäre es lieber, du würdest mich auch nicht wie eine behandeln.«
»Wir brauchen deine Fähigkeiten, Schedja. Die Überseele hat dich ausgewählt, nicht ich.«
»Du bist ganz sicher, daß nicht du es warst, nachdem du die Männer und Frauen durchgezählt hattest und dafür sorgen wolltest, daß eine gerade Zahl herauskommt?«
»Die Überseele hat dir diesen Traum geschickt.«
»Das Traurige daran ist …« sagte Schedemei, »abgesehen von dir hat noch keiner von uns bewiesen, daß er Kinder bekommen kann. Vielleicht hast du einem dieser Männer eine sterile Frau zugeteilt. Oder vielleicht hast du für eine von uns Frauen einen sterilen Mann vorgesehen.«
Rasas kalte Wut verwandelte sich allmählich in heißen Zorn. »Ich habe doch gesagt, nicht ich habe die Auswahl getroffen … auch Luet hatte eine Vision, und …«
»Wirst du mit gutem Beispiel vorangehen? Wirst du noch weitere Kinder bekommen, Tante Rasa?«
Rasa schien jetzt völlig verwirrt zu sein. »Ich? In meinem Alter?«
»Du hast noch ein paar gute Eier in dir. Ich weiß, du hast die Menopause noch nicht erreicht, denn du hast gerade deine Tage.«
Rasa sah sie konsterniert an. »Warum lege ich mich nicht einfach unter eins deiner Mikroskope?«
»Da würdest du nie drunter passen. Ich müßte dich in rasierklingendünne Scheibchen schneiden.«
»Manchmal habe ich das Gefühl, als hättest du das schon getan.«
»Rasa, du läßt uns mehrmals am Tag anhalten. Ich weiß, daß du deine Blase besser beherrschen kannst. Wir alle wissen, daß du die Tränen des Mondes vergießt.«
Rasa runzelte kurz die Stirn, eine Art Achselzucken mit dem Gesicht. »Also weitere Kinder.«
»Dir bleibt wohl keine andere Wahl. Du mußt uns allen ein Vorbild sein«, sagte Schedemei. »Verstehe doch, wir unternehmen nicht nur eine Reise. Wir sind eine Kolonie. Die wichtigste Aufgabe von Kolonisten ist die Reproduktion. Jeder, der keine Kinder bekommt, ist so gut wie wertlos. Und ganz gleich, wie neidisch Elemak auf deine Autorität ist, du bist die Führerin der Frauen. Du mußt uns allen als Modell dienen. Wenn du bereit bist, während dieser Reise schwanger zu werden, werden die anderen nachziehen, besonders, da die Ehemänner beweisen wollen, daß nicht nur der alte Wetschik, sondern auch sie eine Frau schwängern können.«
»Er ist nicht mehr Wetschik«, sagte Rasa, obwohl es nichts zur Sache tat. »Er ist Volemak.«
»Aber er kann noch seine ehelichen Pflichten erfüllen, oder?«
»Also wirklich, Schedemei, gibt es eine Frage, die du nicht zu stellen wagst? Demnächst bittest du uns noch, dir Proben von unserem Stuhlgang zur Verfügung zu stellen.« — »Bevor diese Reise zu Ende ist, werde ich mir wohl Proben von fast allem ansehen. Ich bin diejenige von uns, die einer Ärztin am nächsten kommt.«
Rasa kicherte plötzlich. »Ich kann mir bildlich vorstellen, wie Elemak dir eine Samenprobe bringt.«
Schedemei mußte bei dem Gedanken, ihn darum zu bitten, ebenfalls lachen. So ein Anschlag auf seine Würde als Führer dieser Karawane!
Ein paar Minuten lang ritten sie schweigend weiter. Dann ergriff Rasa das Wort. »Wirst du es tun?« fragte sie.
»Was?«
»Zdorab heiraten?«
»Wen?«
»Zdorab, den Bibliothekar.«
»Ihn heiraten«, seufzte Schedemei. »Ich hatte nie heiraten wollen.«
»Heirate ihn und bekomme seine Kinder.«
»Ach, das werde ich wohl müssen«, sagte Schedemei. »Aber nicht, wenn wir nach dem Pavian-Gesetz leben.«
»Nach dem Pavian-Gesetz!«
»Wie in Basilika — jedes Jahr mit einem Wettstreit für neue Gefährten. Ich werde diesen Mann mittleren Alters nehmen, den ich gar nicht kenne, ich gehe mit ihm ins Bett, bekomme seine Kinder und ziehe sie mit ihm groß — aber nicht, wenn ich darum kämpfen muß, ihn zu behalten. Nicht, wenn ich zusehen muß, daß er jedesmal, wenn unser Ehevertrag ausläuft, Eiadh oder Huschidh oder Dolja oder … oder Kokor den Hof macht und dann zu mir zurückgekrochen kommt und mich bittet, den Vertrag mit ihm um ein weiteres Jahr zu verlängern, aber nur, weil keine der wirklich begehrenswerten Frauen ihn haben will.«
Rasa nickte. »Ich begreife jetzt, was du zuvor hast sagen wollen. Es ging nicht um Kokors eheliche Untreue, sondern um die Gebräuche, mit denen wir alle aufgewachsen sind.«
»Genau«, sagte Schedemei. »Wir sind eine zu kleine Gruppe, als daß wir die alten Ehegebräuche Basilikas beibehalten könnten.«
»Es ist wirklich nur eine Frage des Maßstabs, nicht wahr?« sagte Rasa. »Wenn in der Stadt eine Frau den Vertrag mit einem Mann nicht verlängert oder er nicht darum bittet, kann man einander aus dem Weg gehen, bis der Schmerz nachläßt. Man findet schnell jemand anderen, weil es so viele tausend Menschen gibt, unter denen man wählen kann. Aber wir sind nur sechzehn Personen. Acht Männer, acht Frauen. Es wäre unerträglich.«