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Doch da sie die Frage in einem Traum stellte, bekam sie auch nur eine Traumantwort: Sie sah, wie der Traum-Nafai und ihr Traum-Ich miteinander schliefen, so leidenschaftlich, daß sie vergaß, daß es nur ein Traum war, und sich in der Ekstase verlor. Und als sie sich gepaart hatten, sah sie, wie der Bauch ihres Traum-Ichs wuchs, bis ein Baby zwischen ihren Beinen hervorglitt und leuchtend in Nafais Arme rutschte, denn auch das Kind war mit der neuen Haut überzogen und lebendig vor Licht. Ah, das Kind war schön, so schön.

»Wach auf!‹

Sie hörte es wie eine Stimme, so klar und deutlich war es.

›Wach auf!‹

Sie setzte sich kerzengerade auf, hielt nach dem Sprecher Ausschau, versuchte die Stimme zu erkennen, die in ihrem Gedächtnis verweilte.

›Stehauf.‹

Es,war gar keine Stimme. Es war die Überseele. Aber warum unterbrach die Überseele ihren Traum, wenn die Überseele ihn ihr doch geschickt hatte?

›Steh auf, Wasserseherin, steh leise auf und gehe im Mondschein zu dem Ort, an dem Vas seine Frau und seinen Rivalen töten will! Auf dem Felsvorsprung, der Nafai das Leben gerettet hat, mußt du auf sie warten.‹

Aber ich bin zu schwach, um ihn aufzuhalten, wenn er Mord in seinem Herzen hat.

›Es genügt, daß du dort bist. Aber du mußt dort sein, und du.mußt sofort gehen, denn er hält jetzt Wache und glaubt, daß er und Sevet als einzige wach sind … er wird bald an Obrings Zelt kratzen, und dann wird es zu spät sein, dann wirst du es nicht mehr unbeobachtet zu dem Felsen schaffen‹

Luet glitt durch die Türöffnung ihres Zelts. Sie war so schläfrig, daß sie sich noch immer wie in einem Traum vorkam.

Warum muß ich den Berg hinab? fragte sie verwirrt. Warum kann ich nicht einfach Obring und Sevet sagen, was Vas für sie vorgesehen hat?

›Wenn sie dir glauben, ist Vas als Mitglied dieser Gruppe erledigt. Und wenn sie dir nicht glauben, wird Vas dein Feind sein, und du wirst nie wieder sicher sein. Vertraue mir. Mach es auf meine Weise, und alle werden leben, alle werden leben.‹

Bist du dir da sicher?

›Natürlich.‹

Du kannst die Zukunft genausowenig voraussagen wie ich. Wie sicher bist du dir?

›Die Aussichten auf Erfolg betragen vielleicht sechzig Prozent.«

Oh, wunderbar. Und was ist mit den vierzig Prozent Aussichten auf Mißerfolg?

›Du bist eine so intelligente Frau, du wirst improvisieren, du wirst es schon schaffen.‹

Ich wünschte, ich hätte so viel Vertrauen zu mir, wie du in mich zu setzen scheinst.

›Der einzige Grund dafür, daß du nicht dieses Vertrauen hast, besteht darin, daß du dich nicht so gut kennst, wie ich dich kenne.‹

Du kannst meine Gedanken lesen, liebe Überseele, aber du kannst mich nie kennen, denn du kannst einfach nicht so fühlen, wie ich fühle, oder so denken, wie ich denke.

›Glaubst du etwa, das wüßte ich nicht, du prahlerischer Mensch? Mußt du mich deshalb verspotten? Geh den Berg hinab! Sei dabei vorsichtig. Der Pfad ist im Mondlicht zwar gut zu sehen, aber trügerisch. Obring ist jetzt wach; du hast es gerade noch rechtzeitig geschafft. Nun bleibe ihnen voraus, so weit, daß sie dich nicht hören oder sehen können.‹

Elemak hatte bemerkte, daß Sevet und Obring zusätzliche Wasserflaschen an sich genommen hatten. Er wußte sofort, was dies zu bedeuten hatte — sie beabsichtigten, nach Dorova zu fliehen. Andererseits konnte er einfach nicht glauben, daß diese beiden den Plan ausgearbeitet hatten — sie sprachen nicht einmal privat miteinander, wenn auch nur, weil Kokor dafür sorgte, daß sie dazu keine Gelegenheit bekamen. Nein, es war noch jemand darin verwickelt, jemand, der bei solchen Täuschungen geschickter vorging, so daß Elemak dessen Diebstahl einer zusätzlichen Wasserflasche nicht bemerkt hatte.

Und dann, kurz vor Anbruch der Nacht, meldete Vas sich freiwillig für die verhaßte Spätwache, die vorletzte vor dem Morgen. Obring hatte bereits die letzte Wache übernommen. Man mußte kein Genie sein, um sofort zu wissen, daß sie während Vas’ Wache aufbrechen wollten. Narren! Glaubten sie etwa, es mit zwei Wasserflaschen pro Person den Berg hinab und über den wasserlosen Sand des Strandes um die Bucht herum zu schaffen? Nicht, wenn sie ihre Kinder mitnahmen.

Sie werden ihre Kinder nicht mitnehmen.

Der Gedanke war so empörend, daß Elemak es fast nicht geglaubt hätte. Doch dann wurde ihm klar, daß es stimmen mußte. Sein Abscheu vor Obring verdoppelte sich. Aber Vas … er konnte kaum glauben, daß Vas so etwas tun würde. Der Mann liebte seine Tochter abgöttisch. Er hatte sie sogar nach sich benannt — würde er sie nun herzlos zurücklassen?

Nein! Nein, er hat nicht die Absicht, sie zurückzulassen. Obring würde sein Baby im Stich lassen, ja. Obring würde auch Kokor verlassen — er hatte sie während ihrer Ehe ständig betrogen. Aber Vas würde sein Baby nicht im Stich lassen. Er muß ein anderes Motiv haben. Er hat gar nicht vor, mit Sevet und Obring zur Stadt zu fliehen. Ganz im Gegenteil. Er wird uns sagen, daß Sevet und Obring zur Stadt flohen, als er sich nach seiner Wache schlafen legte. Daß er ihnen den Berg hinab gefolgt ist, um sie aufzuhalten, doch nur noch ihre zerschmetterten Leichen fand, am Fuß einer Klippe.

Woher weiß ich das alles? fragte Elemak sich. Warum ist mir das alles so klar? Und trotzdem bezweifelte er es nicht.

Also meldete er sich für die mittlere Wache, und nachdem er an deren Ende Vas geweckt hatte und in sein Zelt zurückgekehrt war, zwang er sich, nicht einzuschlafen, obwohl er sich hinlegte und die Augen schloß und schwer atmete, als schliefe er, für den Fall, daß Vas nach ihm sah. Aber nein, Vas kam nicht. Er kam nicht, und er ging auch nicht zu Obrings Zelt. Die Zeit schleppte sich dahin, und schließlich schlief Elemak gegen seinen Willen ein. Vielleicht nur einen Augenblick lang. Aber er mußte geschlafen haben, denn er schreckte aus dem Schlaf hoch, und sein Herz hämmerte beunruhigt. Etwas … ein Geräusch. Er setzte sich in der Dunkelheit auf und lauschte. Er hörte, daß neben ihm Eiadh und Proja atmeten; sonst konnte er kaum etwas vernehmen. So leise wie möglich stand er auf, ging zur Tür seines Zelts und trat hinaus. Vas hielt nicht mehr Wache, und sonst auch niemand.

Leise, ganz leise, ging er zu Vas’ Zelt. Er ,war fort, und Sevet auch — aber das Baby Vasnaminanja lag noch dort. Elemaks Herz füllte sich mit Zorn über diese ungeheuerliche Tat. Was auch immer Vas beabsichtigte — entweder wollte er seine Tochter im Stich lassen oder die Mutter des Kindes töten —, es war unaussprechlich.

Ich werde ihn finden, dachte Elemak, und dann wird er dafür bezahlen. Ich weiß, daß uns auf dieser Reise Narren begleiten, Narren und Dummköpfe und Schwächlinge, aber ich habe nicht gewußt, daß auch ein so grausamer Mensch darunter ist. Ich habe nie gewußt, daß Vas zu so etwas fähig ist. Ich glaube, ich habe Vas nie richtig gekannt. Und ich werde ihn auch nicht kennenlernen, denn sobald ich ihn finde, wird er sterben.

Es war so leicht, sie den Berg hinab zu führen. Sie hatten völliges Vertrauen in ihn. Das war der Lohn dafür, daß er über ein Jahr lang so getan hatte, als würde ihm ihr Betrug an ihm nichts ausmachen. Hätte er — einmal abgesehen davon, daß er Obring ziemlich kühl behandelte — auch nur einen Funken Zorn gezeigt, hätte nicht die geringste Aussicht bestanden, daß der Mann ihm so sehr vertraute, daß er sich nun wie ein Mastschwein zum Schlachter führen ließ. Doch Obring vertraute ihm tatsächlich, und Sevet auf ihre verdrossene Art ebenfalls.

Der Pfad selbst war ziemlich schwierig — mehr als einmal mußte er ihnen bei problematischen Stellen helfen. Doch im Mondschein sahen sie nicht, wie gefährlich er war, und wann immer es verzwickt wurde, wartete er und half ihnen. Er nahm ganz vorsichtig Sevets Hand und führte sie ein besonders steiles Stück hinab oder zwischen zwei Felsen hindurch. Oder er flüsterte: »Siehst du den Ast, an dem du dich festhalten mußt, Obring?« Und Obring antwortete »Ja!« oder nickte, ich sehe ihn, ich komme damit klar, Vas, denn ich bin ein Mann. Wie lachhaft. Was für einen Streich spiele ich diesem Obring, der so pathetisch stolz darauf ist, Teil dieses großen Plans zu sein. Wie werde ich weinen, wenn wir die Leichen schließlich wieder den Berg hinauftragen. Wie werden die anderen um mich weinen, wenn ich meine kleine Tochter in den Armen halte, ihr von ihrer toten Mutter erzähle, und daß sie jetzt nur noch mich hat. Eine Halbwaise — aber nach ihrem Vater benannt. Und ich werde sie so erziehen, daß kein Wesenszug ihrer betrügerischen Mutter in ihr verbleibt. Sie wird eine ehrenhafte Frau sein, wird nie einen guten Mann betrügen, der ihr alles verziehen hätte, nur nicht, daß sie ihren Körper dem Mann ihrer eigenen Schwester gibt, diesem verachtenswerten, schleimigen kleinen gesellschaftlichen Emporkömmling. Du hast zugelassen, daß er seine kleine Blechdose in dich entleert, Sevet, meine Liebe, und deshalb werde ich dich töten.