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»Hier ist die Stelle, an der Nafai und ich übersetzen wollten«, flüsterte er ihnen zu. »Seht ihr, wie wir über diesen kahlen Felsen gehen mußten, der nun im Mondschein leuchtet?«

Obring nickte.

»Aber der Felsvorsprung, der sein Leben gerettet hat, ist der wirkliche Pfad«, sagte Vas. »Wir müssen noch eine schwierige Stelle überwinden — es geht vielleicht zwei Meter tief hinab —, doch dann können wir gefahrlos an der Klippe entlanggehen, und danach erreichen wir das flache Reststück, das direkt zum Strand führt.«

Sie folgten ihm an der Stelle vorbei, von der aus er stumm Nafais Kampf beobachtet hatte. Nun würde er ihnen auf den Felsvorsprung hinabhelfen. Doch er würde ihnen nicht folgen. Statt dessen würde er Obring gegen den Kopf treten und ihn hinabstürzen. Dann würde Sevet alles begreifen. Dann würde Sevet wissen, weshalb er sie hierher geführt hatte. Und sie würde ihn — endlich — um Vergebung bitten. Sie würde ihn um Verständnis anflehen, sie würde weinen und schluchzen. Und seine Antwort würde darin bestehen, die schwersten Steine zu nehmen, die es hier gab, und sie auf sie zu werfen, bis sie den Felsvorsprung entlanglief. Er würde sie zu der schmalen Stelle treiben und so lange Steine werfen, bis sie stolperte oder von einem Treffer aus dem Gleichgewicht gebracht wurde. Dann würde sie fallen und schreien, und er würde das Geräusch hören und für immer in seinem Herzen bewahren.

Dann würde er natürlich den richtigen Pfad hinabsteigen und ihre Leichen finden, dort, wo der Pulsator gelegen hatte. Sollte einer von ihnen noch leben, würde er ihm das Genick brechen, notfalls auch beiden — es würde niemanden überraschen, wenn sie sich bei solch einem Sturz das Genick gebrochen hatten. Aber er bezweifelte, daß sie überleben würden. Es ging tief hinab. Der Pulsator war völlig zerstört worden. Diese lästige kleine Pißnelke Nafai wäre genauso zerschmettert worden, wäre er nicht auf dem von oben unsichtbaren Vorsprung gelandet. Ach was, Nafai war nur ein Ärgernis — Vas war es gleichgültig, ob er lebte oder starb, solange nur alle Pulsatoren vernichtet wurden und sie in die Zivilisation zurückkehren mußten. Und nun hatte er sogar vor ihrer Rückkehr Gelegenheit zu seiner Rache, und niemand würde ihn verdächtigen. »Ich vermute, sie haben gehört, daß ich ihnen folgte, denn sie gingen viel zu schnell, besonders, wenn man bedenkt, daß es dunkel war. Und dann sah ich, daß sie auf diesen Felsvorsprung zuhielten. Ich wußte, wie gefährlich er war, ich rief ihnen eine Warnung zu, aber sie haben mich wohl nicht verstanden. Oder sie wollten mich nicht hören. Gott stehe mir bei, aber ich habe sie geliebt! Die Mutter meines Kindes!« Ich werde sogar eine Träne um sie vergießen, und sie werden mir glauben. Was bleibt ihnen anderes übrig? Jeder weiß, daß ich ihren Ehebruch schon vor langem verziehen und vergeben habe.

Ich bin kein sehr fordernder Mann. Ich verlange von anderen keine Perfektion. Ich tue meine Arbeit und komme mit allen zurecht. Aber wenn jemand mich wie einen Wurm behandelt, als würde es mich gar nicht geben, als würde ich einfach keine Rolle spielen, nein, dann vergebe ich nicht, niemals, nie, dann warte ich einfach die richtige Gelegenheit ab, und dann werden sie feststellen: Ich spiele eine Rolle, und mich zu verachten war der schlimmste Fehler ihres Lebens. Das wird Sevet denken, wenn die Steine sie treffen und sie nirgendwo hin fliehen kann, nur in den Abgrund und ihren Tod: Wäre ich ihm doch nur treu gewesen, dann würde ich leben und könnte meine Tochter großziehen.

»Hier«, sagte er. »Das ist die Stelle, an der wir uns auf den tieferen Vorsprung hinablassen müssen.«

Sevet war eindeutig mulmig zumute, und Obring setzte eine Maske der Tapferkeit auf, die seine Furcht so deutlich zeigte, als hätte er sich in die Hose gemacht und gejammert. Was er ja auch bald tun würde. »Kein Problem«, sagte er.

»Sevet zuerst«, sagte Vas.

»Warum ich?« fragte sie.

»Weil wir beide dich sicherer hinablassen können«, sagte Vas. Und hauptsächlich, weil ich dann Obring gegen den Kopf treten kann, sobald ich ihn hinabgelassen habe, und du dann schon auf dem Felsvorsprung gefangen bist, wo du alles sehen, aber nichts mehr tun kannst.

Es würde funktionieren. Sevet kauerte sich am Rand des Vorsprungs nieder und wollte sich schon umdrehen, damit die beiden Männer sie hinablassen konnten. Und dann erklang diese andere Stimme, diese unerwartete, schreckliche Stimme.

»Die Überseele verbietet dir, dort hinabzusteigen, Sevet.«

Sie alle drehten sich um, und dort stand sie, im Mondschein strahlend. Ihr weißes Gewand flatterte ein wenig im Wind, der dort unten stärker wehte.

Wie konnte sie es wissen? dachte Vas. Wie konnte sie wissen, daß sie hierher kommen würde? Ich dachte, die Überseele wäre damit einverstanden — einfache Gerechtigkeit! Hätte die Überseele nicht gewollt, daß er dies tat, hätte sie ihn doch schon längst aufhalten können. Warum ausgerechnet jetzt, so dicht vor dem Ziel? Nein, er würde sich nicht aufhalten lassen! Es war zu spät. Nun würden drei Leichen auf dem Grund der Schlucht liegen statt nur zwei. Und er würde nicht wieder den Berg hinaufsteigen, sondern die drei Wasserflaschen nehmen und nach Dorova fliehen. Er würde dort ankommen und schon längst wieder weg sein, bevor man ihn unter Anklage stellen konnte. Und in Seggidugu oder Potokgavan, wohin auch immer er dann ging, würde er alles abstreiten. Es gab keine Zeugen, und keiner dieser Leute hatte einen herausragenden Ruf. Er würde seine Tochter verlieren — aber das war die gerechte Strafe dafür, Luet getötet zu haben. Alles würde seinen Ausgleich finden. Er würde dem Universum keine Rache schuldig bleiben, und das Universum würde ihm keine Rache schuldig bleiben. Alles würde ausgeglichen und gerecht und gut sein.

»Du kennst mich, Sevet«, sagte Luet. »Ich spreche als Wasserseherin zu dir. Wenn du auf diesen Vorsprung hinabsteigst, wirst du dein Kind nie wiedersehen, und in den Augen der Überseele gibt es für eine Mutter kein größeres Verbrechen als das, ihr Kind aufzugeben.«

»Wie deine Mutter dich und Huschidh aufgegeben hat?«

sagte Vas. »Erspare uns deine Lügen über Verbrechen in den Augen der Überseele. Die Überseele ist ein Computer, den ein paar alte Vorfahren darauf programmiert haben, auf uns aufzupassen, mehr nicht — das sagt sogar dein eigener Gatte, nicht wahr? Meine Frau ist nicht so abergläubisch, daß sie dir Glauben schenken würde.«

Nein, nein, er hätte nicht so viel sagen sollen. Er hätte handeln müssen. Er hätte drei Schritte machen und die schwache Frau von dem Sims stoßen sollen. Sie konnte ihm keinen Widerstand leisten. Wenn die anderen dann sahen, daß er einen Mord begangen hatte, würden sie ihm nur um so bereitwilliger gehorchen und sich auf den Weg machen — in die Sicherheit, in die Stadt, wie sie glaubten. Es war dumm, mit ihr zu streiten. Er war dumm!