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»Die Überseele hat euch drei ausgesucht, zu ihrer Gruppe zu gehören«, sagte Luet. »Ich sage euch, wenn ihr jetzt auf diesen Vorsprung steigt, wird keiner von euch mehr das Tageslicht sehen, kein einziger.«

»Eine Prophezeiung?« sagte Vas. »Ich wußte nicht, daß auch so etwas zu deinen zahlreichen Talenten gehört.« Töte sie jetzt! schrie er innerlich, doch sein Körper gehorchte ihm einfach nicht.

»Die Überseele sagt mir, daß Nafai seinen Bogen und die Pfeile gemacht hat und sie geradeaus fliegen und ihr Ziel finden. Diese Expedition wird fortgesetzt, und ihr werdet sie mit uns fortsetzen«, sagte sie. »Wenn ihr jetzt zurückkehrt, werden eure Töchter nie erfahren, daß ihr sie einmal im Stich gelassen habt. Die Überseele wird das Versprechen erfüllen, das sie euch gegeben hat — ihr werdet ein Land des Überflusses erben, und eure Kinder werden eine große Nation bilden.«

»Wann hat man mir solche Versprechungen gemacht?« sagte Obring. »Für Volemaks Söhne mag das zutreffen, ja – aber nicht für mich. Für mich geht es nur darum, Befehle auszuführen und mich anschreien zu lassen, wenn ich nicht alles so tue, wie König Elemak es sagt.«

»Hör auf zu jammern«, sagte Vas. »Siehst du nicht, daß sie uns alle umgarnen will?«

»Die Überseele hat mich hierher geschickt, um euer Leben zu retten«, sagte Luet.

»Das ist eine Lüge«, sagte Vas. »Und du weißt, daß es gelogen ist. Mein Leben war keinen Augenblick lang in Gefahr.«

»Ich sage dir, hättest du deinen Plan ausgeführt, Vas, hättest du keine fünf Minuten mehr gelebt.«

»Und wie wäre dieses Wunder geschehen?« fragte Vas.

Und in diesem Augenblick erklang hinter ihm Elemaks Stimme, und er wußte, daß alles verloren war.

»Ich hätte dich getötet«, sagte Elemak. »Mit bloßen Händen.«

Vas wirbelte herum, wütend und — ausnahmsweise — nicht imstande, seinen Zorn im Zaum zu halten. Warum sollte er ihn auch mäßigen? Nun, da Elemak hier war, war er so gut wie tot — warum sollte er seine Verachtung also nicht offen äußern? »Das würdest du?« schrie er. »Glaube ja nicht, du wärst mir gewachsen! Du warst mir nie gewachsen! Ich habe ständig deine Pläne durchkreuzt! Und du bist nie darauf gekommen, hast es nicht einmal vermutet. Du Narr, du brüstest dich, daß nur du unsere Karawane führen kannst. Und wer hat getan, was du nicht tun konntest, damit wir endlich umkehren?«

»Umkehren? Du hast doch nicht …« Doch da hielt Elemak inne, und Vas sah, wie das Verständnis in seine Augen trat. Jetzt wußte Elja, wer die Pulsatoren zerstört hatte. »Ja«, sagte Elemak. »Es sieht dir hinterlistigem Feigling ähnlich, uns alle in Gefahr zu bringen, meine Frau und meinen Sohn, und wir sind dir nicht auf die Schliche gekommen, weil keinem von uns in den Sinn gekommen ist, daß jemand aus unserer Gruppe so gemein und abscheulich sein könnte, absichtlich die …«

»Das reicht«, unterbrach Luet ihn. »Sag nichts mehr, oder es wird Anklagen geben, mit denen man sich offen befassen muß, während sie jetzt noch im stillen geregelt werden können.«

Vas begriff sofort. Luet wollte nicht, daß Elemak offen äußerte, Vas habe die Pulsatoren zerstört, nicht vor Obring und Sevet, oder er würde bestraft werden müssen. Und sie wollte nicht, daß er bestraft wurde. Sie wollte nicht, daß er getötet wurde. Luet war die Wasserseherin; sie sprach für die Überseele; und das bedeutete, daß die Überseele ihn nicht sterben lassen wollte.

›Das stimmt.‹

Der Gedanke war so klar wie eine Stimme in seinem Kopf.

›Ich will, daß du lebst. Ich will, daß Luet lebt. Ich will, daß Sevet und Obring leben. Zwinge mich nicht, mich zu entscheiden, wer von euch sterben muß.‹

»Kommt wieder hinauf«, sagte Elemak. »Alle drei.«

»Ich will nicht zurückgehen«, sagte Obring. »Dort erwartet mich nichts. Ich gehöre in die Stadt.«

»Ja«, sagte Elemak, »in einer Stadt kannst du deine Schwäche und Faulheit und Feigheit und Dummheit hinter feinen Kleidern und ein paar Scherzen verbergen, und die Leute halten dich für einen Mann. Aber mach dir keine Sorgen – dafür bleibt noch genug Zeit. Wenn Nafai scheitert und wir in die Stadt zurückkehren …«

»Aber sie. sagt, er habe seinen Bogen gemacht«, erwiderte Obring.

Elemak schaute zu Luet hinüber und schien die Bestätigung in ihren Augen zu sehen. »Auch wenn man es geschafft hat, einen Bogen zu machen, kann man noch lange nicht damit umgehen«, sagte er. »Wenn er Fleisch nach Hause bringt, weiß ich, daß die Überseele wahrhaftig bei ihm und stärker ist, als ich es je für möglich gehalten habe. Aber das wird nicht geschehen, Wasserseherin. Dein Gatte wird sein Bestes geben, aber er wird scheitern. Nicht, weil er nicht gut genug, sondern weil es unmöglich ist. Und wenn er scheitert, kehren wir nach Norden und in die Stadt zurück. Du hättest dies nicht tun müssen.«

Vas hörte zu und verstand die wahre Bedeutung des Gesagten. Ob Elemak nun tatsächlich glaubte oder nicht, Nafai würde scheitern, sprach er so, daß Sevet und Obring dachten, es würde sich um nichts weiter als einen Fluchtversuch zur Stadt handeln. Er beabsichtigte nicht, ihnen zu sagen, daß Vas sie hatte töten wollen.

Oder er wußte es vielleicht nicht. Vielleicht wußte Luet es nicht. Als sie gesagt hatte, alle drei würden sterben, wenn sie auf den Vorsprung hinabstiegen, hatte sie vielleicht gemeint, Elemak würde sie töten, um ihre Flucht zu verhindern. Vielleicht war es noch immer ein Geheimnis.

»Geht den Weg wieder hinauf, den ihr gekommen seid«, sagte Elemak. »Dann wird es keine Bestrafung geben. Wir haben noch Zeit genug bis zum Morgen. Keiner außer uns muß erfahren, was geschehen ist.«

»Ja«, sagte Obring. »Natürlich, es tut mir leid, vielen Dank.«

Er ist so schwach, dachte Vas.

Obring ging an Elemak vorbei und stieg den Pfad hinauf. Sevet folgte ihm stumm.

»Geh schon voraus, Luet«, sagte Elemak. »Du hast heute nacht gute Arbeit geleistet. Ich erspare es mir, die Wasserseherin zu fragen, wie sie wissen konnte, daß sie vor ihnen hier sein mußte. Ich sage nur, hättest du sie nicht aufgehalten, hätte es in dieser Nacht Tote gegeben.«

Waren die anderen außer Hörweite? fragte Vas sich. Oder meinte Elemak noch immer, daß er sie getötet hätte — daß er sie eingeholt und für ihren Fluchtversuch bestraft hätte?

Luet ging an ihnen vorbei und folgte den anderen den Berg hinauf. Vas und Elemak waren allein.

»Was hattest du vor?« fragte Elemak. »Wolltest du sie hinabstoßen, während du sie auf den Vorsprung hinabläßt?«

Also wußte er es.

»Wenn du einem von ihnen etwas getan hättest, hätte ich dich auseinandergenommen.«

»Ach ja?« sagte Vas.

Elemaks Hand schoß vor, packte ihn an der Kehle und drückte ihn gegen die Felswand hinter ihm. Vas zerrte an Elemaks Arm, dann an seiner Hand, versuchte, die Finger zurückzubiegen. Er bekam keine Luft, und es tat weh. Elemak wollte ihn nicht nur einschüchtern, wollte nicht nur seine Macht demonstrieren, er wollte ihn töten, und Vas geriet in Panik. Gerade, als er nach Elemaks Augen kratzen, ihn irgendwie zwingen wollte, ihn loszulassen, legte Elemak die andere Hand um Vas’ Hoden und drückte zu. Der Schmerz war unbeschreiblich, und doch konnte er nicht schreien oder auch nur stöhnen, weil Elemak seinen Hals zuschnürte. Er mußte würgen, und einem Teil seiner Magensäure gelang es tatsächlich, sich an der Einschnürung vorbeizukämpfen; er schmeckte es im Mund. Das ist der Tod, dachte er.

Elemak drückte ein letztesmal zu, sowohl am Hals als auch an den Hoden, als wolle er ihm beweisen, daß er längst nicht seine gesamte Kraft aufgebracht hatte. Dann ließ er ihn los.