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Das Wasser sank, der Spiegel fiel rapide. Volemak und Zdorab gingen gemeinsam die Nebenschlucht hinab. Sie fanden ein Gewirr halb entwurzelter Bäume und Sträucher vor — nicht einmal das Geröll und die Findlinge lagen noch dort, wo sie zuvor gelegen hatten.

Aber die Nebenschlucht war nichts im Vergleich zu der Hauptschlucht. Dort war nichts übriggeblieben. Noch vor einer Viertelstunde war sie mit üppiger Vegetation bewachsen gewesen — mit so üppiger, daß sie kaum hindurchgekommen waren und die Kamele oft durch den Bach in der Mitte hatten führen müssen. Nun haftete keine einzige Pflanze mehr an den Wänden der Schlucht. Das Erdreich selbst war bis auf die nackten Felsen fortgespült worden. Und auf dem Grund der Schlucht lagen nur noch ein paar schwere Felsbrocken und die tropfenden Ablagerungen, die das Wasser zurückgelassen hatte.

»Sieh doch, an den Rändern besteht der Boden der Schlucht aus kahlen Felsen«, sagte Volemak. »Aber in der Mitte haben sich die Sedimente festgesetzt.«

Es stimmte: Der Bach, der zurückgeblieben war — ein größerer als zuvor — schnitt einen vielleicht einen Meter tiefen Kanal durch den dicken Schlamm. Die neuen Ränder des Baches würden hier und da zusammenbrechen, und ein paar Meter Schlamm würden ins Wasser rutschen. Es würde eine Weile dauern, bis der Grund der Schlucht sich stabilisiert hatte.

»In sechs Wochen wird es hier so grün sein wie zuvor«, sagte Zdorab. »Und in fünf Jahren wird man nichts mehr davon sehen.«

»Was denkst du?« fragte Volemak. »Können wir diese Schlucht als sicheren Durchgang zum Meer benutzen, wenn wir uns am Rand halten?«

»Wir haben uns nur aus dem Grund für die Schlucht entschieden, weil Elemak gesagt hat, daß das Plateau nicht passierbar ist — dort blockieren tiefe Schluchten oder steile Hügel den Weg.«

»Also halten wir uns an den Rändern«, sagte Volemak. »Und hoffen.«

Es dauerte eine Weile, bis sie oben die Ladungen der Kamele überprüft und sich vergewissert hatten, daß sie während ihrer hastigen Flucht nichts verloren hatten. »Es nahm ein besseres Ende, als wir hoffen konnten«, sagte Volemak. »Wir haben nur ein Kamel verloren.«

Zdorab führte seine Stute heran und hielt Meb die Zügel hin.

»Nein«, sagte Meb.

»Bitte«, sagte Zdorab. »Mit jedem Schritt, den ich mache, ehre ich meinen tapferen Freund.«

»Nimm es«, flüsterte Volemak.

Meb nahm die Zügel entgegen. »Danke«, sagte er. »Aber heute hatten wir keinen einzigen Feigling unter uns.«

Zdorab umarmte ihn schnell, ging dann zurück und half gemeinsam mit Schedemei den Frauen mit Kindern auf die Kamele.

Es stellte sich heraus, daß weder Zdorab noch Meb noch Volemak den Rest des Tages über viel ritten. Sie schritten die Karawane ab und achteten darauf, daß die Kamele sich nicht dem dicken und trügerischen Schlamm in der Mitte der Schlucht näherten. Sie stellten sich vor, wie ein Kamel bis zum Kopf darin versank. Der Boden war naß, glatt und gefährlich, doch indem sie langsam weiterzogen, erreichten sie bald die Öffnung der Schlucht, die dort auf einen breiteren Fluß stieß.

Dort hatte es offensichtlich auch beträchtliche Schäden gegeben, denn das gegenüberliegende Ufer des Flußtals war ein einziges Durcheinander von Schlamm und Felsen. Zahlreiche Bäume waren entwurzelt worden, und an vielen Stellen lag der nackte Felsboden frei. Als sie dann den Fluß entlang zogen, sahen sie, daß beide Ufer verwüstet worden waren. Doch da die Kraft der Flutwelle hier schwächer als in dem engen Tal gewesen war, kamen sie durch die Trümmer, die diese hier zurückgelassen hatte, ironischerweise wesentlich langsamer voran.

»Hier entlang!« rief eine Stimme.

Es war Elemak, und Vas stand hinter ihm. Sie waren zu Fuß, aber die Kamele waren nicht weit von ihnen entfernt. Die beiden standen auf höherem Gelände. Um sie zu erreichen, mußten die anderen einen steilen, aber nicht besonders schwierigen Hügel überwinden.

»Wir haben einen Weg durch das Plateau gefunden!« rief Elemak.

Nach ein paar Minuten hatten sie sich am Anfang des Weges versammelt, den Elemak gefunden hatte und der durch den Wald führte. Während die Ehepartner sich umarmten, stellte Issib fest, daß der Wald hier bei weitem nicht so dicht war wie noch ein Stück höher den Berg hinauf. »Wir müssen fast auf Meereshöhe sein«, sagte er.

»Der Fluß macht dort drüben eine scharfe Biegung in westliche Richtung«, sagte Vas; einen Arm hatte er um Sevet gelegt, das Baby drückte er an seine Schulter. »Und von dort aus kann man das Reinigende Meer sehen. Zwischen diesem Fluß und dem im Süden liegt hauptsächlich offenes Grasland, hier und da vielleicht ein paar Bäume. Höheres Gelände, der Überseele sei Dank. Wir haben die Erdstöße gespürt, uns jedoch nichts dabei gedacht, als sie abklangen. Natürlich haben wir uns Sorgen gemacht, daß ihr sie vielleicht stärker wahrgenommen habt. Dann beharrte Elja plötzlich darauf, auf höheres Gelände zu steigen, um uns einen Überblick zu verschaffen, und kurze Zeit später hörten wir dieses grollende Geräusch, und der Fluß spielte verrückt. Wir fürchteten schon, er hätte alle Kamele mitgerissen, und ihr säßet noch auf ihnen.«

»Der Index hat Issib gewarnt«, sagte Volemak.

»Zum Glück waren wir nicht alle zusammen«, sagte Issib. »Vier weitere Kamele, und wir hätten sie verloren. Meb hat seine Stute verloren — weil er die Packtiere gerettet hat, wie ich hinzufügen möchte.«

»Das können wir uns alles erzählen, sobald wir das Nachtlager aufgeschlagen haben«, sagte Elemak. »Wir können die Ebene zwischen den Flüssen vor Anbruch der Dämmerung erreichen. Wir haben nur wenig Mond; deshalb müssen wir die Zelte noch vor der Dunkelheit aufgeschlagen haben.«

An diesem Abend saßen sie um das Feuer und blieben lange auf, teils, weil sie darauf warteten, daß das Abendessen gar wurde, teils, weil sie zu aufgeregt zum Schlafen waren, und teils, weil sie hofften, Nafai und Obring würden das Lager noch in dieser Nacht finden. Und sie erzählten ihre Geschichten. Und als Huschidh ihrer Schwester in dem Zelt, in dem sie allein mit ihrem Baby schlief, gute Nacht sagte, fügte sie hinzu: »Ich wünschte, du könntest es sehen wie ich, Luet. Diese Sturzflut hat etwas vollbracht, was sonst niemand hätte vollbringen können — alle Verbindungen zwischen uns sind viel stärker geworden. Und Meb … die Ehre, die ihm jetzt zufließt …«

»Eine schöne Abwechslung«, sagte Luet.

»Ich hoffe nur, sie steigt ihm nicht zu sehr zu Kopf«, sagte Huschidh, »oder alles wäre vergebens gewesen.«

»Vielleicht wird er langsam erwachsen«, sagte Luet.

»Vielleicht brauchte er auch nur die richtigen Umstände, um seine guten Seiten zu entdecken. Er hat nicht gezögert, sagt Issja. Er ist einfach abgestiegen und hat sein Leben aufs Spiel gesetzt, um Issib in Sicherheit zu bringen.«

»Und Zdorab hat den Index genommen und uns dann wieder hinab geführt …«

»Ich weiß. Ich behaupte ja nicht, daß lediglich Meb tapfer war. Aber du weißt doch, wie es mit Zdorab ist. Diese Geste von ihm … Meb sein Kamel zu überlassen. Es war sehr großzügig, und es half, die Gruppe stärker zu verbinden — aber er löschte damit auch die Erinnerung an die Rolle aus, die er selbst bei unserer Rettung gespielt hat. Wir haben nur auf Mebbekew geachtet.«

»Na ja, vielleicht will Zodja es so«, sagte Luet.

»Aber wir werden es nicht vergessen«, sagte Huschidh.

»Wohl kaum«, sagte Luet. »Und nun geh zu Bett! Den Babys ist es egal, wie wenig Schlaf wir diese Nacht bekommen — sie werden morgen zur gewohnten Zeit wieder hungrig sein.«

Nafai und Obring kehrten bereits ein paar Stunden nach Anbruch der Dämmerung zurück. Sie waren natürlich weit von der Sturzflut entfernt gewesen, aber auch auf der falschen Seite, so daß sie eine Stelle suchen mußten, an der sie entweder die Schlucht selbst oder den Fluß überqueren konnten. Schließlich hatten sie die Kamele oberhalb der Schlucht am Fluß entlang geführt, einen langen Umweg um die schlimmsten Verwüstungen gemacht und den Fluß dann — bei Ebbe — im flachen Morast und an den Sandbänken in der Nähe der Mündung überquert. »Die Kamele spielen langsam verrückt, wenn sie Wasser sehen«, sagte Nafai.