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»Die gesamte Ostseite der Stadt ist zusammengebrochen«, sagte Issib. »Nun ist sie nur noch ein Berg. Doch diese Seite blieb erhalten. Zehn Millionen Jahre lang. Aber wie lange noch? Die Bäche höhlen sie von innen aus. Irgendwann wird sie einstürzen. Vielleicht ganz plötzlich. Ein Teil gibt nach, und damit wird der Druck auf die anderen Teile zu groß, und das ganze Gebilde bricht zusammen wie eine Sandburg am Strand.«

»Wir haben eine der Städte der Helden gesehen«, sagte Luet.

»Und die Legenden haben sich als wahr erwiesen«, sagte Obring. »Was mich zu der Frage führt, ob sich die Stadt Skudnoij ebenfalls irgendwo hier in der Gegend befand.«

»Der Index sagt, nein«, erwiderte Issib. »Ich habe ihn gefragt.«

»Schade«, sagte Obring. »Das ganze Gold!«

»Ja, genau«, sagte Elemak. »Und wo möchtest du es verkaufen? Oder willst du es essen? Oder zu Mänteln verarbeiten?«

»Ach, dann darf ich jetzt nicht einmal mehr von ungeheuerlichem Reichtum träumen?« sagte Obring trotzig. »Sind nur noch praktische Träume erlaubt?«

Elemak zuckte die Achseln und ließ es dabei bewenden.

Nachdem sie die Gegend um Raspjatny verlassen hatten — und sie brauchten einen ganzen Tag, um an der westlichen Seite der Stadt vorbeizuziehen, die tatsächlich die gesamte Flanke des Berges bedeckt zu haben schien —, zogen sie einen hohen Paß hinauf, der auf seiner gesamten Länge eine gleichbleibende Breite aufwies, also künstlich geschaffen worden zu sein schien. »Das war einmal die häufig befahrene Straße zwischen den Städten des Feuers und den Städten der Sterne«, sagte Issib. »Nun führt sie nur noch in die Wüste.«

Der Paß endete, und eine weite, trockene Savanne breitete sich unter ihnen aus; sie stellten fest, daß die Insel hier schmaler wurde. Im Osten sahen sie die See der Sterne, und weit im Westen den blauen Glanz der südlichen Ausläufer des Reinigenden Meeres. Als sie hinabstiegen, verloren sie das Meer im Westen aus den Augen, denn auf das Drängen der Überseele hin blieben sie am östlichen Ufer, weil dort mehr Regen fiel und sie in der See fischen konnten.

Der Weg war schwierig; hier war es sehr trocken, so daß sie Brunnen graben mußten. Und er war heiß — eine tropische Sonne brannte auf sie hinab. Doch Elemak und Volemak hatten in ihrer Jugend gelernt, in solch einem Gelände zu überleben, und sie kamen gut voran. Zehn Tage, nachdem sie den Paß durch das Dalatoi-Gebirge verlassen hatten, befahl die Überseele ihnen, sich nach Süden zu wenden, obwohl die Küste nach Südosten verlief, und als sie sanft ansteigende Hügel erklommen, wuchs immer mehr Gras, und dann sprenkelten einige Bäume die Landschaft. Sie zogen über niedrige und verwitterte Berge, zogen ein Flußtal hinab, weitere Hügel hinauf und dann durch das schönste Land, das sie je gesehen hatten.

Kleine Wälder wechselten sich mit weiten Wiesen ab; Bienen summten über Wildblumen und verhießen leicht zu sammelnden Honig. Sie stießen auf Bäche mit klarem Wasser, die alle in einen breiten, gewundenen Fluß führten. Schedemei stieg von dem Kamel ab und untersuchte den Boden. »Das ist kein Wüstengrasland«, sagte sie. »Nicht nur Wurzeln. Hier gibt es richtigen Mutterboden. Wir können diese Wiesen bebauen, ohne sie zu zerstören.«

Zum erstenmal auf ihrer Reise machte Elemak sich nicht die Mühe, mit Volemak vorauszureiten, um eine Lagerstätte auszusuchen. Hier gab es keinen Ort, an dem sie nicht hätten halten und ein Nachtlager aufschlagen können.

»Dieses Land könnte die Bevölkerung Seggidugus ernähren, und niemand würde Mangel leiden«, sagte Elemak. »Meinst du nicht auch, Vater?«

»Und wir sind die einzigen Menschen hier«, erwiderte er.

»Die Überseele hat diesen Ort für uns vorbereitet. Zehn Millionen Jahre lang hat diese Insel auf uns gewartet.«

»Dann bleiben wir hier? Diese Insel ist unser Ziel?«

»Vorerst«, sagte Volemak. »Mindestens einige Jahre. Die Überseele ist noch nicht bereit, uns zu den Sternen zu führen, zurück zur Erde. Also haben wir hier vorerst unsere Heimat gefunden.«

»Für wie viele Jahre?« fragte Elemak.

»So viele, daß wir Holzhäuser bauen und unsere armen, alten Zelte zu Markisen und Vorhängen verarbeiten können«, sagte Volemak. »Es wird keine weiteren Reisen zu Land oder See für uns geben. Wir werden diesen Ort erst verlassen, wenn wir zu den Sternen aufbrechen. Also nennen wir ihn Dostatok, denn er wird mit seinem Überfluß all unsere Bedürfnisse befriedigen. Den Fluß nennen wir Rasa, denn er ist stark und voller Leben und wird uns immer alles geben, was wir brauchen.«

Rasa nickte sanft, um die Ehre dieser Namensgebung zu bestätigen; dabei lächelte sie ganz leise, was Luet als Zeichen dafür deutete, daß Rasa durchaus wußte, daß ihr Gatte mit dieser Namensgebung versöhnlich wirken wollte.

Sie erbauten ihre Siedlung auf einem niedrigen Vorgebirge, das einen Blick auf die Mündung des Flusses Rasa bot, der sich dort in den Südlichen Ozean ergoß — denn sie waren weit nach Süden vorgestoßen und hatten das Reinigende Meer und die See der Sterne hinter sich gelassen. Nach einem Monat hatten alle Familien Holzhäuser mit Strohdächern, und in dieser geographischen Breite konnten sie fast das gesamte Jahr über ernten, so daß es keine Rolle spielte, wann sie säten; es regnete fast jeden Tag, und schwere Stürme zogen schnell vorbei, ohne Schäden anzurichten.

Die Tiere waren hier so zahm, daß sie vor den Menschen keine Furcht hatten; sie domestizierten wilde Ziegen, bei denen es sich eindeutig um Nachkommen jener Tiere handelte, die auch in den Hügeln vor Basilika gehalten wurden. Nun wurde Kamelmilch endlich zu einer Flüssigkeit, die nur junge Kamele trinken mußten, und der Ausdruck ›Kamelkäse‹ wurde zu einem Euphemismus für das, was gut genährte Babies in ihren Windeln zurückließen. In den nächsten sechs Jahren wurden weitere Kinder geboren, bis es insgesamt fünfunddreißig davon gab, von Achtjährigen bis hin zu mehreren, die erst ein paar Wochen alt waren. Die Familien bestellten gemeinsam ihre Felder und teilten sich die Ernten gerecht; dann und wann gingen die Männer gemeinsam auf die Jagd und brachten Fleisch nach Hause, das sie trockneten und pökelten, und Felle, die sie gerbten. Rasa, Issib und Schedemei eröffneten eine Schule und kümmerten sich um die Unterweisung der Kinder.

Nicht, daß ihr Leben lediglich aus Freude und Frieden bestanden hätte. Es gab Streitigkeiten — wegen einer unbedeutenden Sache sprach Kokor ein ganzes Jahr lang nicht mehr mit Sevet; und es kam zu einem Streit zwischen Meb und Obring, der dazu führte, daß Obring sich ein Stück von den anderen entfernt ein neues Haus baute. Es gab Ärger – einige waren der Ansicht, daß andere nicht genug arbeiteten, und hielten ihre Arbeit für wertvoller als die der anderen. Und es gab eine ständige Spannung zwischen den Frauen, die Rasa als ihre Führerin anerkannt hatten, und den Männern, die davon auszugehen schienen, daß keine Entscheidung endgültig war, bis Volemak oder Elemak sie bestätigt hatten. Doch sie überstanden all diese Krisen, all diese Spannungen und fanden schließlich zu einem gewissen Ausgleich der Führungsansprüche von Volemak, der den Zielen der Überseele treu ergeben war, Rasas weitsichtigem Mitleid und Elemaks sturen Entscheidungen bezüglich allem, was ihr Überleben betraf. Jedes Unglück, das sie vielleicht in ihren Herzen empfanden, wurde in Schach gehalten und von der schweren Arbeit begraben, die den Rhythmus ihres Lebens bestimmte. Und es löste sich in jenen Augenblicken auf, da sie reichliches Glück und uneingeschränkte Liebe erlebten.

Das Leben während dieser Jahre war so gut, daß jeder einzelne von ihnen sich irgendwann einmal bei dem Wunsch ertappte, die Überseele möge sie vergessen und in Frieden und glücklich in Dostatok leben lassen.