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Denn Nafai wurde allmählich ungeduldig. Wie alle anderen auch schätzte er das Leben, das sie in Dostatok führten, doch er konnte nicht vergessen, daß dies nicht das Ziel ihrer Reise war. Vor ihnen lag eine noch nicht bewältigte Aufgabe, eine Reise durchs All zu dem Planeten, auf dem die Menschheit ihrer Ursprung genommen hatte, die erstmalige Rückkehr der Menschen nach vierzig Millionen Jahren, und Nafai sehnte sich danach. Das Leben in Dostatok war schön, doch es war auch viel zu geschlossen und ordentlich. Hier schien alles sein Ende genommen zu haben, und Nafai mochte das Gefühl nicht, daß die Zukunft irgendwie von ihm abgeschnitten worden war und es keine weiteren Veränderungen mehr geben würde bis auf die vorhersagbaren, die mit dem Älterwerden einhergingen.

Überseele, sagte Nafai stumm, wirst du nun, da der Hüter der Erde erwacht ist, ebenfalls aufwachen? Wirst du uns auf die nächste Etappe unserer Reise schicken?

Nafai war sich genau bewußt, wie unterschiedlich seine und Luets Reaktionen auf Schvejas Traum waren. Er sah geringschätzig auf Luets Einstellung hinab und war gleichzeitig neidisch darauf. Er dachte geringschätzig von ihr, weil sie zugelassen zu haben schien, daß Dostatok ihre gesamte Welt wurde — sie interessierte sich hauptsächlich für die Kinder und dafür, ob dieser Traum bedeutete, daß sie ebenfalls Hellseherin werden würden. Und besonders freute sie sich darüber, daß ihre Schveja als erste wahre Träume geträumt hatte. Doch wie unwichtig war das alles im Vergleich dazu, daß der Hüter der Erde sich wieder rührte!

Und er war neidisch, weil sie mit ihrem derzeitigen Leben in Dostatok so verbunden war — er war unweigerlich der Ansicht, daß sie viel glücklicher war als er, denn ihre Welt drehte sich tatsächlich um die Kinder, die Familie, die Gemeinschaft. Ich lebe in einer größeren Welt, habe aber kaum eine Verbindung mit ihr; sie lebt in einer kleineren, kann sie aber verändern und sich von ihr verändern lassen, viel stärker, als es bei mir der Fall ist.

Ich kann nicht so werden wie sie, und sie kann nicht so werden wie ich. Einzelne Menschen waren ihr schon immer wichtiger als mir. Es ist meine Schwäche, daß ich mir der Gefühle anderer Menschen nicht so bewußt werde wie sie. Wäre ich ein so aufmerksamer und einfühlsamer Beobachter, wie sie es ist, hätte ich vielleicht nicht unabsichtlich die Dinge gesagt und getan, die dazu geführt haben, daß meine älteren Brüder mich so hassen. Dann hätte unser ganzes Leben vielleicht einen ganz anderen Verlauf genommen, und Elja und ich wären vielleicht Freunde geworden. Statt dessen gibt es selbst jetzt, da Elemak mich als Jäger respektiert und bei den Beratungen auf mich hört, keine Vertrautheit zwischen uns, und Elemak ist vor mir auf der Hut und hält nach Anzeichen Ausschau, ich könne versuchen, ihn zu verdrängen. Luet hingegen scheint unter den Frauen keinen Neid hervorzurufen. Als Wasserseherin könnte man sie genausogut als Rivalin für Mutters Dominanz über die Frauen sehen, wie Elemak Vaters Führung herausfordert und ich Elemaks Rivale bin, doch bei ihnen scheint es überhaupt kein Konkurrenzgefühl zu geben. Sie sind eins. Warum können Elemak und ich nicht eins sein? Und Elemak und Vater?

Vielleicht fehlt den Männern etwas, so daß wir uns niemals zusammenschließen und aus vielen Seelen eine machen können. Das wäre ein schrecklicher Verlust. Ich schaue Luet an und sehe, wie nah sie den anderen Frauen steht, selbst denen, die sie nicht so besonders gut leiden kann; ich sehe, wie nah sie und die anderen Frauen den Kindern stehen; und dann sehe ich, wie weit entfernt ich von den anderen Männern stehe, und komme mir so einsam vor.

Mit diesen Gedanken schlief Nafai endlich ein, doch erst ein paar Stunden vor der Dämmerung, und als er schließlich aufstand, stellte er fest, daß Luet genauso müde war. Den Haferschleim rührte sie praktisch im Halbschlaf um. »Und heute ist schulfrei«, sagte Luet, »und wir müssen uns um die Kinder kümmern und können noch nicht einmal ein Nickerchen halten.«

»Sollen sie doch draußen spielen«, sagte Nafai, »bis auf die Zwillinge natürlich, und die können wir vielleicht bei Schuja lassen. Dann können wir schlafen.«

»Oder wir könnten abwechselnd schlafen, statt sie zu anderen Leuten zu bringen«, sagte Luet.

»Abwechselnd schlafen?« sagte Nafai. »Wie langweilig.«

»Ich will schlafen«, sagte Luet. »Warum seid ihr Männer nie so müde, daß ihr nicht mehr an das eine denkt?«

»Männer, die nicht mehr an das eine denken, wie du es so schön ausdrückst, sind entweder Eunuchen oder tot.«

»Wir müssen deinen Eltern von Schvejas Traum erzählen«, sagte Luet.

»Wir müssen allen davon erzählen.«

»Der Ansicht bin ich nicht«, sagte Luet. »Das würde zuviel Eifersucht hervorrufen.«

»Ach, wen außer dir interessiert schon, welches Kind als erstes wahre Träume hatte?« Doch schon in dem Augenblick, da er dies sagte, wußte er, daß es alle Eltern interessieren würde und es richtig von ihr war, Eifersucht zu vermeiden.

Sie schnitt ihm eine Grimasse. »Du stehst so völlig über dem Neid, o Edler, daß es mich neidisch macht.«

»Es tut mir leid«, sagte er.

»Und außerdem«, sagte sie, »wäre es nicht gut für Schveja, wenn wir ein großes Aufheben darum machen würden. Sieh dir doch an, was mit Dza passiert ist, als wir ihren Geburtstag zu einem Fest gemacht haben — sie schikaniert die anderen Kinder ziemlich herum, und das macht Schuja Sorgen. Nach diesem öffentlichen Aufruhr ist es nur noch schlimmer geworden.«

»Manchmal bekomme ich mit, daß sie die anderen Kinder auf völlig sinnlose Botengänge schickt, und dann will ich ihr Vernunft einprügeln …«

»Aber Herrin Rasa sagt …«

»Ich weiß. Daß Kinder ihre eigene Gemeinschaft etablieren und sich auf ihre Weise mit der Tyrannei befassen müssen«, sagte Nafai. »Aber ich frage mich, ob sie wirklich recht hat. Schließlich konnte ihre Erziehungstheorie nur in Basilikas Schoß gedeihen. Könnten wir unsere Konflikte zu Beginn der Reise nicht als Folge eben gerade dieser Methode sehen?«

»Nein, das könnten wir nicht«, sagte Luet. »Besonders deshalb nicht, weil jene Personen, die den meisten Ärger verursacht haben, die geringste Zeit von Herrin Rasa erzogen wurden. Namentlich Elemak und Mebbekew, die ihre Schule verließen, sobald sie in das Alter kamen, in dem sie selbst entscheiden durften, sowie Vas und Obring, die nie Schüler von ihr waren.«

»Andererseits, meine liebe Analytikerin, ist Zdorab der beste von uns und war nie ihr Schüler, während Kokor und Sevet, ihre eigenen Töchter, genauso schlimm wie die schlimmsten anderen sind.«

In diesem Augenblick kamen Serp und Spei, die Zwillinge, auf wackligen Beinen in die Küche, und mit dem offenen Gespräch unter Erwachsenen war es vorbei.

Als sie endlich Gelegenheit fanden, sich für kurze Zeit hinzulegen, waren sie aufgrund ihrer alltäglichen Pflichten so hellwach, daß sie nicht mehr schlafen wollten. Also gingen sie zu Volemaks und Rasas Haus, um mit ihnen über den Traum zu sprechen.

Auf dem Weg dorthin kamen sie an einer Gruppe älterer Jungen vorbei, die mit ihren Steinschleudern übten. Sie blieben stehen und schauten eine Weile zu, hauptsächlich um zu sehen, wie sich ihre beiden älteren Jungs machten, Schatva und Motiga. Die Jungen bemerkten natürlich, daß sie beobachtet wurden, und versuchten sofort, ihre Eltern zu beeindrucken. Doch Luet und Nafai interessierten sich nicht so sehr dafür, welche Fortschritte sie mit der Schlinge gemacht hatten, sondern wie ihr Verhältnis zu den anderen Kindern war. Motiga war natürlich eine entsetzliche Nervensäge — er war sich deutlich bewußt, daß er jünger als die anderen war, und seine dummen Streiche und Albernheiten waren seine Strategie, mit der er sich Zutritt zum inneren Kreis verschaffen wollte. Schatva hingegen gehörte vom Alter her zu ihnen, und seinen Eltern bereitete Sorgen, wie biegsam er war — wie sehr er Pro] a zu verehren schien, einen stolzierenden Hahn, der nicht einmal einen Bruchteil des Respekts verdient hatte, den Schatva ihm entgegenbrachte.