Выбрать главу

Antworte mir!

Aber er bekam keine Antwort.

Ein weiterer Traum war nötig, um Nafai zu bewegen, etwas zu tun. Diesmal war es Luet; Nafai erwachte aus einem tiefen Schlaf und stellte fest, daß sie winselte, stöhnte und dann aufschrie. Er schüttelte sie wach und sprach beschwichtigend auf sie ein, damit sie sich bereits beruhigt hätte, wenn sie aus ihrem Traum erwachte. »Ein Alptraum«, sagte er. »Du hast einen Alptraum.«

»Die Überseele«, sagte sie. »Sie hat sich verirrt. Sie hat sich verirrt.«

»Luet, wach auf! Du träumst.«

»Ich bin jetzt wach«, sagte sie. »Ich versuche, dir den Traum zu erzählen.«

»Du hast von der Überseele geträumt?«

»Ich habe in dem Traum mich selbst gesehen. Aber ich war jung — in Schvejas Alter. So, wie ich mich früher in Träumen sah.«

So lange ist es noch gar nicht her, dachte Nafai unwillkürlich, daß Luet in Schvejas Alter gewesen war. Sie war ein Kind gewesen, als er sie kennengelernt und geheiratet hatte, bei weitem noch keine fünfzehn Jahre alt. Wenn sie sich also als Kind sah, konnte es sich doch gar nicht so sehr von dem unterscheiden, wie sie sich heute sah. »Du hast dich also als Kind gesehen«, sagte Nafai.

»Nein — ich sah eine Person, die wie ich aussah, aber ich dachte; Das ist die Wasserseherin. Und dann dachte ich: Nein, das ist die Überseele, die das Gesicht und den Körper der Wasserseherin trägt. Wie du weißt, haben viele Frauen ja genau das von mir geglaubt.«

»Ja, das weiß ich«, sagte Nafai.

»Und dann wußte ich, daß ich die Überseele sah, sie aber mein Gesicht trug. Und sie suchte verzweifelt, suchte nach etwas und glaubte, sie habe es gefunden, aber dann betrachtete sie ihre Hände, und sie hatte es doch nicht. Und dann wußte ich, was sie jagte, immer im Kreis herum — eine riesige Ratte. Und dann fing sie sie ein und umarmte sie, doch die Ratte verwandelte sich in einen Engel und flog davon. Aber die Überseele hatte die Verwandlung nicht bemerkt und glaubte, die Ratte wäre ihr entwischt. Ich glaube, wir warten hier, weil die Überseele irgendwie verwirrt ist. Sie sucht etwas.«

Aber Nafais Gedanken konzentrierten sich auf die Ratten und Engel in ihrem Traum. »Also war es ein Traum vom Hüter?« fragte er. »Aber wie kann der Hüter vor hundert Jahren gewußt haben, daß die Überseele jetzt Probleme haben wird?«

»Wir vermuten nur, daß die Träume, die wir von der Hüterin bekommen, mit Lichtgeschwindigkeit reisen«, sagte Luet. »Vielleicht weiß die Hüterin mehr, als wir ihr zugestehen.«

Es zerrte an Nafais Nerven, daß die Frauen, die vom Hüter wußten, gelegentlich und instinktiv davon ausgingen, daß es sich um eine Hüterin handelte, genau wie sie die Überseele für ein weibliches Wesen gehalten hatten. Bei der Überseele hatte Nafai nichts dagegen, doch beim Hüter kam es ihm ziemlich arrogant vor. Vielleicht lag es nur am Sprachgebrauch — schließlich hieß es ja die Überseele —, vielleicht auch daran, daß Nafai wußte, daß die Überseele ein Computer war, aber nicht die geringste Ahnung hatte, was der Hüter der Erde sein mochte. Von der Sprachverwirrung einmal abgesehen — ein Computer war ein Ding, auch wenn es der Computer hieß. Falls der Hüter wirklich ein Gott war — oder so etwas ähnliches wie ein Gott —, dann verabscheute er den Gedanken, daß er weiblich sein mußte.

»Vielleicht beobachtet der Hüter uns und kennt uns gut und versucht nun, uns aufzuwecken — und durch uns die Überseele?«

»Die Überseele schläft nicht«, sagte Nafai. »Wir unterhalten uns ständig durch den Index mit ihr.«

»Ich habe dir erzählt, was ich in meinem Traum gesehen habe.«

»Dann werden wir morgen früh mit Issib und Zdorab sprechen. Vielleicht können sie über den Index etwas erfahren.«

»Jetzt«, sagte Luet. »Gehen wir sofort zu ihnen.«

»Und wecken sie mitten in der Nacht auf? Sie haben Kinder. Das wäre unverantwortlich.«

»Mitten in der Nacht wird es keine Unterbrechungen durch die Kinder geben«, sagte Luet. »Und außerdem dämmert es schon fast.«

Es stimmte; das erste Licht erhellte hinter ihrem Fenster aus Pergamentpapier den Himmel.

Zdorab war schon wach und öffnete die Tür, noch bevor Nafai und Luet sie erreicht hatten. Schedemei erschien kurz darauf, und nach ein paar geflüsterten Worten ging sie, um Issib und Huschidh zu holen. Dann versammelten sie sich in dem Haus, in dem der Index aufbewahrt wurde. Luet erzählte ihnen allen ihren Traum, und Zdorab und Issib durchstöberten sofort den Index und versuchten, Antworten zu finden.

Während sie schweigend warteten, wurde Luet als erste ungeduldig. »Ich bin im Augenblick hier nutzlos«, sagte sie. »Und die Kinder brauchen mich.«

»Mich auch«, sagte Huschidh, und Schedemei ging zögernd mit ihnen; sie alle kehrten zu ihren Häusern zurück. Nafai wußte, daß auch er nicht besonders nützlich war, wenn es um die Durchsuchung des Index ging — Issib und Zdorab hatten die Erkundung des Speichers der Überseele zu ihrem Lebenswerk gemacht, und er konnte nicht mit ihnen mithalten. Er wußte, den Frauen würde seine stillschweigende Annahme nicht gefallen, er könne bleiben, und Luet müsse gehen … aber er wußte auch, daß sie zutraf. Das Leben der Kinder war auf Luet ausgerichtet, die immer bei ihnen war, während Nafai so oft auf die Jagd ging, daß seine An- oder Abwesenheit von ihnen kaum bemerkt wurde. Nicht, daß es ihnen gleichgültig war, ob ihr Vater zu Hause war oder nicht — es war ihnen durchaus wichtig, veränderte ihren normalen Tagesablauf aber nicht.

Also blieb Nafai im Indexhaus, als Zodja und Issja ihre Fragen stellten. Er hörte ihr Gemurmel, und dann und wann stellten sie ihm eine Frage, aber eigentlich war er überflüssig.

Er griff über den Tisch und legte die Finger auf den Index. »Du hängst in einer Programmschleife, nicht wahr?«

»Ja«, sagte der Index. »Das wurde mir klar, als Luet den Traum vom Hüter bekam. Issib und Zdorab versuchen bereits, die Schleife zu finden.«

»Sie muß sich in deinen primitiven Routineprogrammen befinden«, sagte Nafai, »denn hätte sie sich in den Teilen von dir etabliert, die du selbst programmieren kannst, könntest du sie finden und mit einem Unterprogramm beheben.«

»Ja«, sagte der Index erneut. »Zdorab hat das sofort vermutet, und dort forschen wir zur Zeit nach.«

Nafai dachte an den Traum. »Du mußt angenommen haben, du hättest irgend etwas gefunden, aber in Wirklichkeit hast du gar nichts gefunden, und dann muß sich die Schleife gebildet haben«, sagte er.

»Ja«, sägte der Index. Er konnte doch nicht ungeduldig klingen, oder? »Issib hat dies von Anfang an vermutet, und deshalb versuchen wir, etwas zu finden, das ich selbst nicht wahrnehmen kann. Es ist sehr schwer, meine Speicher nach etwas zu durchsuchen, was ich nicht wahrgenommen habe.«

Nafai wurde klar, daß seine Gedanken weit hinter denen Zdorabs und Issibs zurückhingen, und er seufzte und nahm die Hand vom Index, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und wartete. Er verabscheute es, bei wichtigen Ereignissen nur Zuschauer zu sein. Genau das hat Elemak so oft von mir behauptet, sagte er sich garstig. Ich muß mich immer zum Helden jeder Geschichte machen, an der ich mitwirke. Was genau hat er damals gesagt? Wenn er mich nicht aufhalten würde, würde ich eine Möglichkeit finden, eines Tages in Elemaks Biographie der Protagonist zu sein. Daher glaube ich nun auch, ich müsse unbedingt dabei sein, wenn wir herausfinden, wieso die Überseele sich im Kreis dreht und ihre Zeit verschwendet, unsere Zeit verschwendet …

Unsere Zeit verschwendet? Ist es eine Zeitverschwendung, mit meiner Frau und meinen Kindern in Frieden und Überfluß zu leben? Dann sollte ich vielleicht den Rest meines Lebens verschwenden.