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Fast hätten ihre Worte Nafai über die Schwelle getrieben. Sie hatte Elemaks Beleidigung wiederholt — und sie wußte, wie sehr Elemaks Worte ihn verletzt hatten, dies hatte er ihr schon vor langer Zeit eingestanden. Es war grausam und unfair von ihr, dies nun zu sagen. Von allen Menschen hätte sie wissen müssen, daß nicht der Wunsch, ein Held zu sein, ihn nun antrieb, sondern seine Leidenschaft, herauszufinden, was nun geschehen würde, sein Verlangen, dafür zu sorgen, daß es geschah. Wenn sie ihn also liebte, hätte sie dies verstehen müssen. Also wäre er beinah gegangen und hätte ihre bitteren Worte den gesamten Weg in die Berge hinauf mitgenommen.

Statt dessen ging er ins Kinderzimmer. Die Kinder schliefen noch, abgesehen von Schveja, die vielleicht von ihrem zwar leisen, aber intensiven Streit aufgewacht war. Nafai küßte ein Kind nach dem anderen, Schveja als letzte. »Ich suche jetzt den Ort, von dem die besten Träume kommen«, flüsterte er, um die anderen nicht aufzuwecken.

»Halte dir in allen Träumen einen Platz für mich frei«, erwiderte sie flüsternd.

Er küßte sie noch einmal und kehrte dann in die Küche zurück, den Hauptraum des Hauses, in dem Luet den Haferbrei in dem Topf über dem Feuer umrührte.

»Danke, daß du in deinen Träumen einen Platz für mich findest«, sagte er zu ihr. »Du bist in den meinen auch stets willkommen.« Dann küßte er sie, und zu seiner Erleichterung erwiderte sie den Kuß. Sie hatten das Problem nicht gelöst, aber einander bestätigt, daß sie sich noch immer liebten, auch wenn sie wütend aufeinander waren. Das reichte aus, ihn zufrieden und nicht grollend auf die Reise zu schicken.

Er würde diesen Frieden in seinem Herzen auch brauchen, denn es war offensichtlich, daß die Überseele den verborgenen Ort schützte, ohne es überhaupt zu wissen. Zumindest, so vermutete er, hatte irgend etwas die Menschen stets davon abgehalten, nach Vusadka zu gehen, wenn sie auf der Jagd gewesen waren. Und die Überseele besaß die Fähigkeit, die Menschen etwas vergessen zu lassen, das sie tun wollten und wovon die Überseele sie abhalten wollte. Doch die Überseele hatte diesen Ort nicht sehen können, hatte nicht einmal begriffen, daß sie ihn nicht sehen konnte! Das konnte nur bedeuten, daß die Abwehrmechanismen der Überseele sich gegen sie selbst gewandt hatten, und daher war es nicht wahrscheinlich, daß die Überseele sie abschalten konnte, damit Nafai passieren konnte. Ganz im Gegenteil — Nafai würde sich den Weg freikämpfen müssen, genau wie er und Issib sich vor so langer Zeit in Basilika den Weg vorbei an den Barrieren der Überseele hatten erkämpfen müssen; sie hatten sich zwingen müssen, Gedanken zu denken, die die Überseele verboten hatte. Doch jetzt ging es nicht nur um Gedanken, die zu denken er sich zwingen mußte: Jetzt mußte er sich zu einem Ort durchkämpfen. Zu einem Ort, den nicht einmal die Überseele sehen konnte.

»Ich muß dich überwinden«, flüsterte er der Überseele zu, während er über die Wiesen nördlich vom Haus ging. »Ich muß an deinen Barrieren vorbeigelangen.«

»Welchen Barrieren?‹

Es würde sehr schwer werden. Es ermüdete Nafai bereits, nur daran zu denken. Und es gab auch keinen cleveren Trick, mit dem er sich durch schummeln konnte. Er würde sich den Weg mit reiner, brutaler Willenskraft erkämpfen müssen. Falls er es konnte! Falls er stark genug dazu war!

Es dämmerte, und Nafai war der Verzweiflung nahe. Nachdem er einen ganzen Tag benötigt hatte, um hierher zu gelangen, hatte er einen gesamten zweiten Tag damit verbracht, immer und immer wieder dieselben nutzlosen Dinge zu versuchen. Er stand außerhalb der verbotenen Zone und bat die Überseele, ihm die Karte aller Wege zu zeigen, die alle Jäger eingeschlagen hatten. Er wollte feststellen, in welche Richtung er gehen mußte, um nach Vusadka zu gelangen. Er markierte die Richtung sogar mit einem Pfeil oder schrieb sie mit einem Stock in den Boden. Nachdem er dann kühn ausgeschritten war, stellte er kurz darauf fest, daß er sich wieder außerhalb der ›verborgenen‹ Zone befand, vielleicht hundert Meter von der Stelle entfernt, in der er die Richtung in den Boden geschrieben hatte. Hatte er ›Nordost‹ geschrieben, war er nach Westen gegangen; deutete sein Pfeil nach Osten, fand er sich im Süden wieder. Er kam einfach nicht an der Barriere vorbei.

Er schimpfte auf die Überseele, doch die Antworten, die er bekam, zeigten, daß sie offensichtlich nicht bemerkte, was sich hier abspielte. »Ich will von dieser Stelle aus in südöstliche Richtung gehen«, sagte er. »Hilf mir!« Und dann fand er sich tief im Norden wieder, und die Überseele sagte in seinem Verstand: Du hörst mir nicht zu. Ich habe dir gesagt, du sollst nach Südwesten gehen, und du hast mir nicht zugehört.

Nun ging die Sonne unter, und der Himmel wurde schnell dunkel. Er verabscheute die Vorstellung, morgen nach Dostatok zurückkehren zu müssen und vollständig versagt zu haben.

›Ich verstehe nicht, was du vorhast.«

»Ich will dich suchen«, sagte Nafai.

›Aber ich bin doch hier.‹

»Ich weiß, wo du bist. Aber ich kann nicht zu dir gelangen.«

›Ich hindere dich nicht daran.‹

Das mochte durchaus der Wahrheit entsprechen. Vielleicht war dies gar nicht das Werk der Überseele. Wenn man der Überseele die Macht gegeben hatte, die Gedanken der Menschen abzublocken, Menschen daran zu hindern, etwas auszuführen, was sie vorhatten … war es dann nicht möglich, daß die ersten Menschen auf Harmonie noch ganz andere Verteidigungen errichtet hatten, um diesen Ort zu schützen? Verteidigungen, die nicht unter der Kontrolle der Überseele standen — und die vielleicht sogar die Überseele selbst abwehrten?

Zeige mir alle Wege, die ich heute gegangen bin, sagte Nafai stumm. Zeige sie mir hier auf dem Boden.

Er sah sie — ein schwaches Leuchten, das zu Fäden auf dem Boden zusammenwuchs. Er sah, daß sie immer wieder von neuem begannen und zur Mitte des Kreises um Vusadka führten. Dann hörten sie abrupt auf, jeder einzelne. Ein Stück im Norden oder Süden begannen sie schließlich von neuem. Sie führten offensichtlich an der Grenze entlang.

Ihm fiel auf, wie präzise diese Grenze gezogen sein mußte. Er konnte sie immer nur höchstens einen Meter durchdrungen haben und war dann in eine andere Richtung weitergegangen. Er konnte sogar eine Linie auf den Boden ziehen, die die genaue Grenze markierte, hinter der die Überseele nichts mehr sehen konnte. Und da er es tun konnte, tat er es auch. Er nutzte die letzte halbe Stunde Tageslicht, um die Grenze mit einem Stock zu markieren und eine flache Furche von mehreren hundert Metern Länge in den Boden zu kratzen.

Während er die Grenze markierte, hörte er in der Nähe das Geheul von Pavianen, die einander schläfrig zuriefen, während sie zu ihren Schlaffelsen gingen. Erst, als er fertig war, die Dunkelheit sich herabgesenkt hatte und die Paviane wieder still waren, wurde ihm bewußt, daß einige der Schreie zwar außerhalb der Grenze begonnen, aber alle eindeutig innerhalb von ihr aufgehört hatten.

Natürlich. Die Grenze ist für Menschen undurchdringlich, aber andere Tiere sind nicht genetisch verändert worden, um für solche Einflüsse empfänglich zu sein. Also hatten die Paviane die Grenze ungestraft überschreiten können.

Wäre er doch nur ein Pavian!

Er konnte fast Issib hören, der leise sagte: »Bist du sicher, daß du keiner bist?«

Er suchte sich eine grasbewachsene Stelle auf einem niedrigen Hügel aus und rollte sich zum Schlaf zusammen. Die Nacht war klar, es bestand kaum eine Gefahr, daß es regnen würde, und obwohl es hier stärker abkühlte als in der Nähe von Dostatok — er war in der Nähe der Wüste, und die Luft war hier beträchtlich trockener —, würde er es durchaus bequem haben.

Bequem, aber er würde wohl kaum schlafen können.

Er träumte natürlich, aber er wußte nicht genau, ob der Traum eine Bedeutung hatte, oder er sich einfach nur deshalb deutlicher an ihn erinnerte als an die normalen Träume der Nacht, weil er so schlecht geschlafen hatte. In dem . Traum führte Jobar ihn durch ein Felsgewirr. Als sie zu einem winzigen Loch zwischen den Felsen kamen, duckte Jobar sich und kletterte problemlos hindurch. Nafai hingegen stand dort, betrachtete das Loch und dachte: Ich bin zu groß, um hindurchzupassen. Das stimmte natürlich nicht — Nafai sah selbst im Traum, daß das Loch gar nicht so klein war. Und doch kam er einfach nicht auf den Gedanken, sich zu bücken und hindurchzuwinden. Während er aufrecht dastand, suchte er nach einer Möglichkeit, wie er hindurchkommen konnte.