Jobar kam durch das Loch zurück und beruhte ihn an der Hand. Und bei seiner Berührung schrumpfte Nafai plötzlich und wurde zu einem Pavian. Nun hatte er nicht mehr die geringsten Schwierigkeiten, durch das Loch zu kommen. Er war kaum auf der anderen Seite, da nahm er wieder seine menschliche Größe an. Und als er sich umdrehte, um das winzige Loch zu betrachten, hatte es sich verändert — es war nun so groß wie ein Erwachsener, und er konnte es passieren, ohne sich bücken zu müssen.
Dieser Traum schien ihm am Morgen sehr vielversprechend zu sein. Nafai lag da, zitterte ab und zu in der Brise der frühen Dämmerung und dachte darüber nach, welche Einsichten er dem Traum entnehmen konnte. Der Traum reflektierte eindeutig seine Kenntnis, daß Paviane die Barriere problemlos überqueren konnten, was ihm hingegen, einem Menschen, nicht möglich war. Wenn er sich in einen Pavian verwandelte, würde er die Barriere ebenfalls überwinden können. Aber das hatte er sich bereits am Vorabend gewünscht, und Wünsche allein halfen ihm nicht weiter.
In meinem Traum, dachte Nafai, kam mir das Loch zu klein vor, um hindurchzukommen. Aber ich hätte jederzeit mühelos hindurchkommen können, weil es in Wirklichkeit so groß wie ein Mensch war. Die Barriere bestand nur in meinem Verstand — was für diese Barriere ebenfalls zutrifft. Je entschlossener ich bin, die Barriere zu überqueren, desto entschlossener werde ich zurückgewiesen. Nun ja … vielleicht ist es eben diese meine Absicht, die mich zurückdrängt.
Nein, das ist töricht. Die Barriere war bestimmt so entworfen, daß sie auch Menschen abwehrte, die gar nichts von ihrem Vorhandensein wußten. Umherstreifende Jäger, Forscher, Siedler, Händler — wer auch immer unabsichtlich auf Vusadka zuhielt: die Barriere würde ihn abweisen.
Andererseits hingegen war nur die leichteste Andeutung nötig, jemanden abzuweisen, auch wenn er nicht die feste Absicht hatte, sich nach Vusadka zu begeben. Dieser Jemand würde nicht einmal bemerken, daß er abgewiesen worden war. Schließlich hat keiner von uns in all den Jahren, die wir schon in Dostatok weilen, während unserer Jagdstreifzüge auch nur bemerkt, daß wir diese Gegend gemieden haben. Also definieren die Wege, die wir ursprünglich eingeschlagen haben, keine scharfe, klare Grenze, wie ich sie jetzt definiere. Und unsere Wege sind gar nicht so scharf abgebogen … wir haben einfach die Spur unserer Beute verloren oder uns aus einem anderen Grund allmählich abgewandt. Also muß die Kraft, die die Barriere einsetzt, mit meinem festen Entschluß wachsen, sie zu überschreiten. Und wenn ich einfach hier hindurchwandern könnte, wäre die Kraft der Barriere vielleicht viel schwächer.
Aber wie kann ich beiläufig und zufällig schlendern, da ich doch genau weiß, daß ich gehen muß?
Mit diesem Gedanken kam ihm der Plan. Er kam ihm auf einen Schlag und genau ausgearbeitet in den Sinn; und doch wagte er kaum, an ihn zu denken, um nicht die Barriere zu informieren und erneut zu scheitern, bevor er überhaupt angefangen hatte. Statt dessen konzentrierte er sich auf eine ganz andere Absicht. Er mußte jetzt jagen und Beute machen, um die Kinder zu ernähren. Er selbst hatte gewaltigen Hunger, und wenn er schon hungrig war, mußten die Jungen nahezu am Verhungern sein. Nur handelte es sich bei den Jungen, die er füttern wollte, um Paviane. Er erinnerte sich an die Paviane in Mebbekews Tal und fühlte sich verantwortlich, ihnen Fleisch zu bringen — wie Jobar ihnen Nahrung gebracht hatte, um den Weibchen zu gefallen und die Jungen zu stärken.
Also brach er an diesem Morgen in eine beliebige Richtung auf, wobei er sich keineswegs an Vusadka orientierte, und suchte, bis er die Kotkügelchen eines Hasen fand. Dann verfolgte er seine Beute, bis er — innerhalb einer Stunde — einen Pfeil durch sie hindurchjagen konnte.
Der Hase war natürlich nicht tot — Pfeile töten selten sofort, und normalerweise erledigte Nafai das Tier dann mit dem Messer. Doch diesmal ließ er es leben, auch wenn es verängstigt wimmerte; er zog den Pfeil aus dem Hinterlauf des Tieres und packte es an den Ohren. Die Geräusche, die es machte, waren genau das, was er brauchte — die Paviane würden sich viel mehr für ein lebendes, aber verletztes Tier interessieren. Er mußte sie nur noch finden.
Das war kein Problem — Paviane fürchten nur wenige Tiere, und vor denen verteidigten sie sich, indem sie wachsam waren und einander warnten. Also versuchte Nafai gar nicht erst, leise zu sein. Er fand sie in einem langen Tal, das von Westen nach Osten verlief und in dessen Mitte ein Bach floß. Als sie ihn erblickten, schauten sie auf. Sie hatten nicht die geringste Angst — Nafai befand sich noch in sicherer Entfernung — und betrachteten den Hasen mit großer Neugier.
Nafai näherte sich ihnen. Nun wurden sie wachsam — die Männchen richteten sich auf ihren Vorderpfoten auf und beschwerten sich ein wenig über ihn. Und Nafai verspürte großes Zögern, sich ihnen noch weiter zu nähern.
Aber ich muß zu ihnen, wenn ich ihnen das Fleisch geben will.
Also machte er noch ein paar Schritte und hielt ihnen den Hasen in der ausgestreckten Hand hin. Er wußte natürlich nicht genau, was sie von diesem Angebot halten würden. Vielleicht nahmen sie es als Beweis, daß er Tiere tötete, vielleicht aber auch als Indiz, daß er bereits seine Beute hatten und sie daher in Sicherheit waren. Aber einige von ihnen hielten den Hasen bestimmt für Fleisch, das sie essen konnten. Paviane waren nicht die besten Jäger auf der Welt, fraßen aber gern Fleisch, und dieser blökende Hase mußte ihnen als gute Mahlzeit vorkommen.
Er näherte sich langsam und verspürte bei jedem Schritt, daß sein Widerstreben wuchs. Aber er sah auch, daß immer mehr der Tiere — besonders die jungen Männchen — von ihm zu dem Hasen sahen. Er half ihnen, ungezwungener an das Fleisch zu denken, indem er stets den Blick abwandte, wenn einer ihn ansah — er wußte, jeder Augenkontakt würde sie nur herausfordern oder verängstigen.
Sie wichen vor ihm zurück, aber nicht weit. Wie er erwartet hatte, zogen sie sich zu ihren Schlaffelsen zurück. Er dachte immer wieder: Das ist keine gute Idee. Sie brauchen dieses Fleisch nicht. Doch er kämpfte die Gedanken nieder, versuchte, sich nur auf eins zu konzentrieren: Diese Mütter brauchen das Protein, ihre Jungen müssen es über die Milch aufnehmen. Ich muß ihnen dieses Fleisch bringen!
Das kannst du nicht, das ist dumm, laß den Hasen fallen und ziehe dich zurück!
Aber wenn ich das tue, kommt der Hase den stärksten Männchen zugute und nicht den Weibchen. Irgendwie muß ich näher an sie herankommen, damit auch die Jungen davon profitieren. Als Jäger dieses Stammes ist es meine Aufgabe, ihnen Fleisch zu bringen. Ich muß sie ernähren, und nichts darf mich davon abhalten.
Wie lange brauchte er dafür? Es war so schwer, sich darauf zu konzentrieren. Manchmal kam er sich so vor, als wäre er gerade wach geworden, obwohl er wußte, daß er nicht geschlafen hatte, und dann schüttelte er sich und ging weiter, hielt immer auf die Weibchen zu, die nun in der Nähe der Schlaffelsen Aufstellung bezogen.
Ich muß hinter sie gelangen, dachte er, noch näher an die Felsen heran. Ich muß auf die Seite kommen, auf der die Weibchen sind.