Wolfgang Hohlbein
Die schlafende Armee
Science Fiction Roman
Bechtermünz Verlag
CHARITY
von Wolfgang Hohlbein im Bechtermünz Verlagsprogramm:
Charity 01 - Die beste Frau der Space Force
Charity 02 - Dunkel ist die Zukunft
Charity 03 - Die Königin der Rebellen.
Charity 04 - In den Ruinen von Paris
Charity 05 - Die schlafende Armee
Charity 06 - Hölle aus Feuer und Eis
Charity 07 - Die schwarze Festung
Charity 08 - Der Spinnenkrieg
Charity 09 - Das Sterneninferno
Charity 10 - Die dunkle Seite des Mondes
Charity 11 - Überfall auf Skytown
Charity 12 - Der dritte Mond
Lizenzausgabe mit Genehmigung der
Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co. für Weltbild Verlag GmbH, Augsburg 1998
© 1990 by Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach
Umschlaggestaltung: Adolf Bachmann, Reischach
Umschlagmotiv: Luserke, Stuttgart
Gesamtherstellung: Presse-Druck Augsburg
Printed in Germany
ISBN 3-8289-0021-6
1
Der Gleiter schoß wie ein silberner Raubvogel aus der Sonne herab und eröffnete das Feuer. Es ging so schnell, daß selbst Kyles übermenschliche Reaktionen beinahe zu spät gekommen wären; es gelang ihm nicht, das Fahrzeug in einer halsbrecherischen Kurve herumzureißen und aus der Schußbahn zu bringen, aber die Energieabsorber heulten schrill auf. Charity spürte, wie die Wand hinter ihrem Rücken heiß wurde. Nicht zum ersten Mal, seit diese wahnwitzige Verfolgungsjagd begonnen hatte. Der Gleiter stöhnte wie ein großes, lebendes Wesen, das Schmerzen litt.
»Festhalten!« brüllte Kyle, als der Gleiter zum zweiten Mal heranschoß.
Diesmal eröffneten die Moroni aus größerer Entfernung das Feuer; zu weit entfernt, um ihr Ziel wirklich zu vernichten, wenn sie es trafen - aber nahe genug, um es zu beschädigen oder seine Ortungsgeräte für Augenblicke zu blenden.
Charity fand gerade noch Zeit, sich an dem nächstbesten Halt festzuklammern, als Kyle den Gleiter herumwarf und ihn so dicht über dem Boden dahinjagen ließ, daß er eine turmhohe Staubwolke hinter sich herzog und in seinem Sog Grasbüschel, Büsche und sogar kleinere Bäume entwurzelte. Die verwüstete Landschaft vor dem Fenster verwandelte sich in ein irrsinniges Durcheinander aus Farben und Formen, und die Maschinen unter ihren Füßen heulten so schrill, als würden sie jeden Moment explodieren.
Dieses tödliche Katz- und Mausspiel ging nun schon seit einer halben Stunde, und Kyle holte das Letzte aus den Maschinen heraus. Aber sie hatten gar keine andere Wahl. Das Jagdgeschwader, das die Moroni auf sie angesetzt hatten, hatte ganz eindeutig nicht den Befehl, sie lebend einzufangen. Das scheibenförmige Kampfschiff dort draußen war das dritte, auf das sie während der letzten halben Stunde gestoßen waren - und es hatte wie seine beiden Vorgänger das Feuer eröffnet, kaum daß es auf Schußweite herangekommen war. Daß sie überhaupt noch am Leben waren, verdankten sie einzig und allein Kyles übermenschlich schnellen Reaktionen. Aber irgendwann würden auch seine scheinbar unerschöpflichen Kraftreserven verbraucht sein, irgendwann würde er einen winzigen Fehler begehen, oder sie würden einfach in eine Situation geraten, die tatsächlich ausweglos war.
Das Schiff dort draußen war nicht nur wesentlich größer als die beiden Gleiter, auf die sie zuvor gestoßen waren; auch seine Bewaffnung war der ihres eigenen Schiffes so hoffnungslos überlegen, daß Kyles Versuch, es wie seine beiden Vorgänger schlichtweg anzugreifen und zu zerstören, fast in einem Fiasko geendet hätte. Charity wußte nicht, wie schwer ihr Gleiter beschädigt war, aber sie hatte das dumpfe Krachen gehört, mit dem die Lasersalve in den Rumpf des Fahrzeugs einschlug. Und seither hatte sich das Flackern roter, hektischer Warnleuchten auf dem asymmetrisch geformten Pult vor Kyle verstärkt, aber nach wie vor jagte Kyle den Gleiter im Tiefflug über das verheerte Land.
»Achtung!« brüllte Kyle. »Er kommt zurück!«
Wieder kippte die verschwommene Landschaft vor der Kanzel zur Seite, als Kyle das Schiff in einer Folge irrsinnig schneller Saltos aus der Schußbahn der grellen Lasersalven zu bringen versuchte. Die Maschinen unter ihren Füßen kreischten, und Charity glaubte abermals, das furchtbare Geräusch zerreißenden Metalls zu hören. Dann erschien plötzlich die gewaltige Silberscheibe des Verfolgers direkt vor dem Fenster, nah, entsetzlich nah, und Charity begriff voller Entsetzen, daß Kyle das Fahrzeug auf einen direkten Kollisionskurs gebracht hatte!
»Um Himmels willen!« schrie sie. »Was hast du vor?«
Wenn Kyle ihre Worte überhaupt hörte, so ignorierte er sie. Seine Finger schoben einen sonderbar geformten Schalter auf dem Pult bis zum Anschlag nach vorn, und sie spürte, wie der Gleiter noch einmal beschleunigte und mit einem Ruck seine Geschwindigkeit annähernd verdoppelte. Die riesige Scheibe des Kampfschiffes schien sie anzuspringen wie ein stählerner Mond, der jäh vom Himmel stürzte, dann schloß sie geblendet die Augen, als Kyle sämtliche Laserkanonen des Gleiters auf einmal abfeuerte und das Fahrzeug gleichzeitig in einer schier unmöglichen Bewegung zur Seite riß.
Der Rumpf des anderen Schiffes huschte so dicht vor dem Fenster vorbei, daß Charity glaubte, nur noch den Arm ausstrecken zu müssen, um ihn zu berühren. Und fast im gleichen Bruchteil einer Sekunde flutete eine Woge unerträglich grellen, weißen Lichtes in die Kanzel.
Sie schrie auf, schlug geblendet die Hand vor die Augen und drehte den Kopf zur Seite, und auch Net, die sich in den Sitz neben ihr gekauert hatte, stöhnte unterdrückt. Ein gewaltiges Krachen und Dröhnen ließ das Schiff erbeben, und wieder löschte eine grellweiße Lichtflut das Grau der heraufziehenden Dämmerung aus.
Charity spürte, wie der Gleiter wie ein Stein in die Tiefe zu fallen begann und im allerletzten Moment mit brutaler Wucht abbremste. Instinktiv spannte sie alle Muskeln in Erwartung des kommenden Aufpralles an, aber das Wunder geschah - der Gleiter kam, schaukelnd wie ein Schiff auf stürmischer See einige Meter über dem Boden, zum Halten und begann auf der Stelle zu kreisen; offensichtlich, ohne daß Kyle irgend etwas dagegen unternehmen konnte oder wollte.
Charity warf dem jungen Megamann im Pilotensitz einen besorgten Blick zu. Der Gleiter drehte sich weiter, und nach einem Augenblick kam der Verfolger wieder in Sicht: Er schwebte ein gutes Stück über ihnen. Charity konnte die rotglühenden Löcher in seinem Rumpf erkennen, wo ihn die Lasersalve getroffen hatte. Sein Pilot schien Schwierigkeiten zu haben, das Fahrzeug in der Luft zu halten, aber es bewegte sich bereits wieder auf sie zu; langsam, aber unaufhaltsam. Ein Feuerwerk dünner, blauer Blitze umspielte seinen Rumpf, doch Charity wußte von Kyle, daß dieses blaue Elmsfeuer nichts als die sichtbaren Auswirkungen des Energiefeldes waren, das den Gleiter einhüllte. Sie brauchten eine Atombombe, um dieses Ding zu knacken, dachte Charity zornig. Der Gleiter, den Kyle in Paris gestohlen hatte, war ein kleines Patrouillenfahrzeug und kein Kriegsschiff wie das Fahrzeug vor ihnen.
»Schieß ihn ab!« stöhnte Skudder, Er war zu Boden geschleudert worden und versuchte jetzt, sich in die Höhe zu ziehen, während er mit der freien Hand heftig auf die Flugscheibe deutete. »Warum feuerst du nicht?«