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»Bewegt euch ganz vorsichtig!« befahl Charity im Flüsterton. »Und behaltet die Nerven. Ein einziger Schuß - und wir sind alle tot!«

Charity schickte ein Stoßgebet zum Himmel, auf daß sie sich nicht täuschte. Aus einem Grund, den sie nicht einmal zu ahnen vermochte, schienen diese mutierten Ratten Menschen nicht als ihre Feinde zu betrachten. Aber was, dachte sie schaudernd, wenn der Kampf gegen die Riesenamöbe ihren Blutdurst einmal geweckt hatte und sie vielleicht das Erbe ihrer primitiveren, räuberischen Vorfahren spürten? Oder wenn sie einfach hungrig waren?

Langsam, Schritt für Schritt, zogen sie sich zurück. Charitys Nerven waren bis zum Zerreißen angespannt, und die Gesichter Skudders und der drei anderen glänzten vor Schweiß. Früher oder später, dachte sie, würde einer von ihnen einen Fehler machen. Eine unbedachte Bewegung, ein Stolpern, vielleicht auch nur ein erschrockener Laut - und die Ratten würden sich auf sie stürzen und sie zerreißen, wie sie es mit dem riesigen Monstrum getan hatten.

Das mühsame Knirschen uralter Scharniere ließ sie überrascht aufblicken. Plötzlich standen sie vor einer rechteckigen Tür, die von gelbem Licht und zwei gewaltigen, monströsen Gestalten erfüllt war. Sie waren mehr als zwei Meter groß mit silber glänzender Haut, eckigen Köpfen und einem einzigen, goldenen Auge.

Charity hatte nicht einmal mehr Zeit, einen erschrockenen Ruf auszustoßen. Einer der Riesen hob den Arm, und das letzte, was Charity bewußt wahrnahm, war ein hellgrüner Blitz und ein unerträglicher Schmerz, der ihr Bewußtsein auslöschte.

5

Das Erwachen war eine Qual. Jede einzelne Zelle in ihrem Körper schien in Flammen zu stehen, und das dumpfe, mühsame Schlagen ihres Herzens schickte vibrierende Schmerzwellen bis in ihre Finger- und Zehenspitzen. Sie wollte die Augen öffnen und konnte es nicht.

Aber sie wußte, was sie getroffen hatte.

Ein Teil ihres Bewußtseins hatte es noch begriffen, ehe es von der grünen Lichtflut der Schockwaffe aus ihrem Körper herausgeprügelt worden war. Und der erste klare Gedanke, zu dem sie nach einer Weile fähig war, war die Frage, welches Gefühl nun stärker in ihr war: die Überraschung, diese beiden Gestalten hier unten zu erblicken, oder die Verwirrung, daß sie von ihnen angegriffen worden waren.

Sie fand keine Antwort auf diese Frage. Immerhin gelang es ihr nach einigen Minuten, die Augen zu öffnen. Sie lag lang ausgestreckt auf einer niedrigen Metallpritsche, die sich in einer winzigen, fast völlig kahlen Kammer aus Beton befand. Unter der Decke gab es eine einfache Lampe, deren nackte Glühbirne von einem rostigen Metallkorb geschützt wurde. Auf der linken Seite der Pritsche entdeckte sie eine ebenfalls rostige Tür. Die Kammer war so klein, daß der verbliebene Platz zwischen der Pritsche und ihr kaum ausreichen konnte, sie völlig zu öffnen. Einer der silbernen Riesen hing am Fußende der Pritsche an der Wand, aber er hatte seine Form verändert und sah jetzt schlaff und faltig aus, wie ein Ballon, aus dem die Luft entwichen war.

Die silberne Haut war das Metallgewebe eines uralten ABC-Anzuges, und das einzelne große Auge die Sichtscheibe eines Helmes. Auf der linken Schulter des ABC-Anzuges befand sich ein kleiner, dunkelblauer Aufnäher, der eine Flagge in Schwarz und Rot und Gold und die Worte Lt. Felss zeigte. Charity kramte eine Minute lang in ihrer Erinnerung, ehe ihr einfiel, daß dies die Farben der vereinigten Deutschen Republik waren. Offensichtlich hatte sie ihre Flucht aus Paris weiter weggebracht, als sie bisher angenommen hatte.

Durch das Metall der Tür drangen Schritte. Ein Schlüssel klirrte im Schloß, dann wurde ein offensichtlich sehr schwergängiger Riegel zurückgeschoben, und die Tür schwang ein Stück auf, ehe sie unsanft gegen die Metallkante ihrer Pritsche stieß. Charity verzog das Gesicht, als die Erschütterung einen scharfen Schmerz durch ihren Nacken schießen ließ, und versuchte, sich aufzusetzen.

Vom Gang drang grelles Neonlicht herein, so daß die Gestalt, die in der Tür aufgetaucht war, im ersten Moment nur als flacher, riesiger Schatten zu erkennen war. Dann gewöhnten sich ihre Augen an die plötzliche Helligkeit, und sie sah, daß ein riesiger, noch recht junger Mann vor ihr stand. Er hatte kurzgeschnittenes, braunes Haar und ein offenes Gesicht, das ihr sympathisch gewesen wäre, hätte sie seinen Anblick nicht unwillkürlich mit dem grausamen Schmerz assoziiert, den ihr die Schockwaffe zugefügt hatte. Bekleidet war er mit einer engsitzenden, schlichten Uniform in dunklem NATO-Oliv, auf deren rechten Schulter sich das Abzeichen auf seinem Schutzanzug wiederholte; allerdings ohne seinen Namenszug.

Der Soldat schien überrascht, sie bei vollem Bewußtsein vorzufinden, denn er blinzelte einen Moment lang verwirrt zu ihr herab, ehe er seinen hünenhaften Körper ungeschickt durch die nur halb geöffnete Tür zwängte und sie hinter sich wieder schloß.

»Sie sind wach?« fragte er. Er sprach englisch mit einem sonderbar harten Akzent, der Charity endgültig klarmachte, wo sie gelandet war.

»Wie Sie sehen.« Sie hatte verärgert klingen wollen oder wenigstens herablassend, aber ihre Stimme war flach und müde und klang in ihren eigenen Ohren wie die einer fremden, uralten Frau.

Einen Moment lang blickte der junge Soldat auf sie herab, dann zuckte er mit den Schultern, griff in die Innentasche seiner Jacke und zog ein schmales Lederetui hervor, das er aufklappte, während er sich auf die Kante ihrer Pritsche sinken ließ. »Ich weiß, es ist eine dumme Frage«, sagte er, »aber wie fühlen Sie sich?«

»Ausgezeichnet«, antwortete Charity, während sie sich weiter aufrichtete. Diesmal gelang es ihr, wenigstens eine Spur von bissigem Spott in ihre Stimme zu zwingen. Der Soldat sah flüchtig auf, und in seinen Augen erschien ein Lächeln.

Charity sah, daß das Etui eine gefüllte Wegwerfspritze enthielt, die er jetzt herausnahm.

»Was haben Sie vor?« fragte sie mißtrauisch. Hastig setzte sie sich ganz auf und zog die Knie an den Körper.

»Das wird Ihnen guttun«, antwortete der Soldat, während er die Spritze gegen das Licht hob, das linke Auge zukniff und den Kolben hochdrückte, so daß ein einzelner schimmernder Tropfen aus der Nadel quoll. »Kein Grund, sich Sorgen zu machen«, sagte er. »Aber Sie müssen wahnsinnige Kopfschmerzen haben.«

»Vielleicht habe ich gern Kopfschmerzen?« sagte Charity scharf.

Der junge Soldat ließ die Spritze sinken und sah sie stirnrunzelnd an, und Charity fügte hinzu: »Tun Sie das Ding weg!«

Einen Moment lang reagierte er nicht. Es hätte Charity nicht gewundert, wenn er versucht hätte, ihr die Injektion mit Gewalt zu verabreichen. Aber dann zuckte er nur mit den Achseln, legte die Spritze in das Etui zurück und klappte es zu.

»Wie Sie wollen«, sagte er. »Jeder hat seine Vorlieben, nicht wahr?«

Charity blickte ihn ärgerlich an. »Wo bin ich hier?« fragte sie. »Wieso haben Sie auf uns geschossen?«

»Das mußte sein«, antwortete der Soldat. Das Bedauern in seiner Stimme klang echt. »Alles andere wird Ihnen Leutnant Hartmann erklären, sobald er mit Ihnen reden kann, Captain Laird.«

Charity hatte Mühe, sich ihre Überraschung, daß er offensichtlich wußte, wer sie war, nicht zu deutlich anmerken zu lassen. »Wer ist dieser Hartmann?« fragte sie.

Eine Sekunde lang sah der Soldat sie überrascht an, dann wandte er den Kopf und blickte den ABC-Anzug an, der am Fußende ihrer Pritsche an der Wand hing. Er nickte, und ein anerkennendes Lächeln huschte über seine Lippen.

»Unser IVD«, antwortete er.

»IVD?«

»Idiot vom Dienst«, erklärte Felss lächelnd. »Ein ziemliches Rindvieh. Aber leider auch mein Vorgesetzter - und zumindest im Moment der Boß hier unten.«

»Dann bringen Sie mich zu ihm«, verlangte Charity.