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»Jetzt gleich?«

»Jetzt gleich!«

Felss hatte sich schon zur Tür gedreht, als er sich noch einmal umwandte. »Sind Sie sicher, daß Sie nichts wollen?« fragte er. »Sie müssen entsetzliche Kopfschmerzen haben. Ich kann Ihnen eine Tablette geben, wenn Sie keine Spritzen mögen.«

Charity schüttelte zornig den Kopf - was das leise Hämmern hinter ihren Schläfen zu einem Stakkato dröhnender Paukenschläge anschwellen ließ - und sagte leise »Ja.«

Der Leutnant lachte ein leises, gutmütiges Lachen, während seine Hand in die rechte Jackentasche glitt. »Stolz ist eine feine Sache«, sagte er, »aber gegen Kopfschmerzen wirkt er nicht besonders.«

Charity schenkte ihm einen bösen Blick, wartete, bis er das kleine Tablettenröhrchen aufgeschraubt und zwei Pillen auf ihre ausgestreckte Hand geschüttet hatte, und würgte sie trocken herunter. Dann mußte sie husten, schüttelte aber den Kopf, als Felss den Arm hob und sie fragend ansah, um ihr auf den Rücken zu klopfen. »Schon gut«, sagte sie mühsam. »Es ... geht schon wieder.«

Für einen Mann, der sie noch vor weniger als zwei Stunden mit einer Schockwaffe niedergestreckt hatte, verhielt er sich plötzlich sehr leichtsinnig, denn er drehte ihr den Rücken zu, als er auf den Gang hinaustrat. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Pistolentasche an seinem Gürtel zu schließen. Vielleicht unterschätzte er sie einfach, weil sie eine Frau war.

»Was ist das hier?« fragte sie, während sie neben Felss durch den langen, sehr niedrigen Korridor ging, dessen Wände wie die Zelle aus dem gleichen nackten Beton bestanden. Unter der Decke zog sich ein Gewirr von Rohrleitungen und elektrischen Verbindungen hin, die zum Teil noch nicht einmal verkleidet waren. Diese Anlage mußte entweder in großer Hast oder mit sehr wenig Geld errichtet worden sein. Und sie war offensichtlich sehr alt. Es schien kein Metallteil zu geben, das nicht verrostet war. Trotzdem funktionierte das meiste offenbar noch. Von den Leuchtstoffröhren unter der Decke war nur jede zweite eingeschaltet; in regelmäßigen Abständen gab es kleine Videokameras an den Wänden, die ihren Schritten mit lautlosen Drehungen folgten.

»Leutnant Hartmann wird Ihnen alles erklären«, antwortete Felss freundlich. »Wir sind gleich da.« Er deutete auf eine Tür am vorderen Ende des Ganges. Charity sah ihn mit leiser Verärgerung an, sparte sich aber jede weitere Frage. Vielleicht waren es die Videokameras und die zweifellos dazugehörigen Mikrophone, die Felss plötzlich schweigsam werden ließen.

*

»Nun?« Unter normalen Umständen hätte Stern jetzt überrascht aufgeblickt, denn Leutnant Hartmanns Stimme klang vollkommen ruhig und sogar freundlich. Aber die Umstände waren nicht normal, und daher blickte Stern weiter und mit wachsender Besorgnis auf das Gewirr von winzigen Computermonitoren, Skalen und Anzeigeinstrumenten auf dem Pult vor sich. »Ich fürchte, da ist nichts mehr zu machen«, sagte er nach einer Weile. Er sah Hartmann mit eindeutig furchtsamem Gesichtsausdruck an. Doch Hartmann runzelte nur besorgt die Stirn und fixierte dann einige Sekunden lang einen imaginären Punkt irgendwo zwischen Stern und der Wand hinter ihm. »Was ist mit der Notbremse?« fragte er schließlich.

Stern schüttelte andeutungsweise den Kopf. »Zu spät«, sagte er. »Ich habe alles versucht. Aber die Computer haben Eindringlinge in der Sicherheitszone registriert. Da ist nichts mehr zu machen. Wir haben bereits seit einer Stunde Sekundär-Alarm.« Er zögerte einen Moment und faßte dann, durch Hartmanns ungewohnte Ruhe und Gelassenheit ermutigt, genug Mut, um mit der Hand auf einen der Kontrollmonitore an der Wand zu deuten und hinzuzufügen: »Wenn in den nächsten dreißig Minuten auch nur noch eine von diesen Flugscheiben auftaucht, dann wird der Primär-Alarm ausgelöst.«

Hartmann drehte sich herum und blickte auf den Schirm. Er war kein abergläubischer Mensch. Die Position, die er innehatte, hatte er aus dem einzigen Grund erhalten, daß er zu jenen Männern gehörte, denen man nachsagte, immer mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu stehen. Aber in diesem Moment begann er, an böse Omen zu glauben, denn Stern hatte noch nicht ganz zu Ende gesprochen, als auf dem grünleuchtenden Monitor der Radarüberwachung gleich ein ganzes Dutzend neuer, giftgrün flimmernder Punkte erschien.

Stern seufzte tief. »Das war's dann wohl«, sagte er niedergeschlagen. »Nichts auf der Welt kann den Weckvorgang jetzt noch aufhalten.«

Auch Hartmann seufzte. Er sah Stern nicht an, aber der Leutnant konnte erkennen, wie sich ein Ausdruck tiefer, ehrlich empfundener Sorge auf seinem Gesicht breitmachte. »Ja«, flüsterte er. Dann gab er sich einen sichtbaren Ruck, drehte sich wieder zu Stern herum und rang sich zu einem Lächeln durch.

»Halten Sie weiter die Augen offen, Stern«, sagte er. »Ich werde gehen und mich um unsere Gäste kümmern. Ich hoffe«, fügte er nach einer winzigen Pause und in verändertem Tonfall hinzu, »sie sind den Ärger wert, den sie uns bereiten.«

*

Sie gingen eine kurze, aus nackten, ungleichmäßig gegossenen Betonstufen bestehende Treppe hinab. Ein zweiter, etwas breiterer Gang nahm sie auf, von dem zahlreiche Türen abzweigten, aber Felss steuerte zielstrebig das Ende des Korridors an. Die Tür dort bewegte sich mit einem leisen, elektrischen Summen zur Seite, als sie sich ihr näherten.

Felss blieb dicht davor stehen und machte eine einladende Handbewegung. Charity zögerte einen Moment, ging dann aber an dem jungen Soldaten vorbei. Die Tür schloß sich hinter ihr selbsttätig wieder, sie hörte das leise metallische Klicken, mit dem das Schloß einrastete.

Der Raum, den sie betrat, überraschte sie. Sie hatte eine weitere, kahle Betonzelle erwartet - aber das Zimmer, in dem sie sich befand, hätte jedem guten Hotel zur Ehre gereicht; sah man von der Tatsache ab, daß es kein Fenster hatte. Die Wände waren mit Holzimitationen verkleidet, und es gab wenige, aber ausgesucht geschmackvolle Möbelstücke. An der gegenüberliegenden Wand hing ein riesiges Farbfoto, das das Panorama einer Stadt zeigte. Was Charity sofort ins Auge fiel, war der Umriß einer gewaltigen Kathedrale mit zwei spitzen Türmen, die sich vor dem glitzernden, blauen Band eines Flusses erhob. Dann erblickte sie einen grauhaarigen Mann, der in einem schweren Ledersessel hinter einem Schreibtisch saß und sie aus kalten, fast ausdruckslosen Augen musterte.

»Sie sind Leutnant Hartmann, vermute ich«, sagte Charity.

Hartmann nickte und deutete mit einer einladenden Geste auf eine kleine Couch, die an der Wand neben der Tür stand. »Ich erspare mir die Frage, wie Sie sich fühlen, Captain«, sagte er.

»Wahrscheinlich so, wie ich aussehe«, antwortete Charity.

Hartmann zauberte ein mitfühlendes Lächeln auf sein Gesicht. »So schlimm?«

»Sehe ich so schlimm aus?«

Hartmann lächelte wieder und nickte. »Ja. Diese Schockwaffen sind ekelhaft, ich weiß. Ich hatte selbst schon zweimal das Vergnügen...« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Aber lassen wir das. Im Ernst, Captain Laird - wie geht es Ihnen? Sind Sie verletzt?«

»Nein«, antwortete Charity. »Warum haben Ihre Männer auf uns geschossen?«

»Das ließ sich leider nicht vermeiden«, erwiderte Hartmann. »Sie hatten die Wahl zuzusehen, wie Sie und Ihre Freunde von den Ratten aufgefressen werden, oder Sperrfeuer in den ganzen Korridor zu legen. Ich nehme an, daß ihre Entscheidung im nachhinein Ihre Zustimmung finden wird, Captain Laird.«

»Spielt das eine Rolle?«

»Nein«, sagte Hartmann ruhig. Er schien noch mehr dazu sagen zu wollen, besann sich dann aber anders. Ein paar Sekunden sah er sie ausdruckslos, aber sehr aufmerksam von Kopf bis Fuß an, dann beugte er sich vor und nahm etwas von der Schreibtischplatte, das Charity als ihre ID-Plakette erkannte. Instinktiv hob sie die Hand und tastete nach der dünnen Kette an ihrem Hals. Sie war verschwunden.